Der weibliche Pilot

Rezensiert von Alicia Rust · 23.12.2007
In "Schneidige deutsche Mädel" schildert die Autorin Evelyn Zegenhagen das mühsame Bestreben der ersten Frauen in der Luftfahrt. In der Nazi-Zeit wurden Frauen gegen Ende des Krieges in kriegerischen Luftgefechten eingesetzt, die zivile Luftfahrt wurde nur langsam durch Pionierinnen wie Elly Beinhorn für das weibliche Geschlecht erobert.
"Niemand würde in dem jungen Menschen mit dem kurz geschnittenen Haar, der da in ölverschmierter Arbeitskluft an den Motoren herumschraubt und herumhämmert, die junge Frau erkennen, die in fünf Erdteilen berühmt ist",

schrieb der "Völkische Beobachter" am 23. August 1935.

"Und das ist das Schöne an Elly Beinhorn: Sie kümmert sich nicht ums Berühmtsein. Sie ist nur eins: ein schneidiges Deutsches Mädel."

Nichts illustriert das Dilemma der ersten deutschen Fliegerinnen besser als jene Jubelarie des Nazi-Propagandablatts: Kaum waren die "schneidigen Mädels" in der Luft, wurden sie auch schon fürs Vaterland eingespannt. Ein Missbrauch, dem sich Elly Beinhorn, die damals berühmteste weibliche Fliegerin Deutschlands, durchaus zu entziehen wusste. Von der Sehnsucht nach Ferne getrieben, ausgestattet mit der nötigen Portion an Mut und einer großen Begabung für die Fliegerei, ging sie unbeirrt ihren Weg. Doch der Anfang ihrer einzigartigen Karriere schien zunächst voller Hürden:

"Ich wollte Fliegen lernen um auf diese Art in andere Erdteile raus zu kommen. Dann bin ich zu dem Präsidenten des Hannoverischen Aeroclubs gegangen und der hat dann gesagt ich wäre leider verrückt. Man sagte mir, es gäbe gar keine Möglichkeit als Frau die Fliegerei irgendwie beruflich auszuüben."

Elly Beinhorn lernte dennoch fliegen. Gegen den Widerstand ihrer Eltern und gegen die Entmutigungen einer zutiefst patriarchalisch geprägten Gesellschaft.
Gerade einmal 22 Jahre alt, hatte sie bereits ihren A-Schein in der Tasche. Fortan war die junge Fliegerin auf fast allen Flugtagen Deutschlands vertreten. Beinhorn trat jedoch nicht nur als Reklamefliegerin wie viele ihrer Kolleginnen an, auch als Charterfliegerin machte sie sich rasch einen Namen. So überquerte sie bereits im Mai 1930 erstmals die Alpen. Nur ein Jahr darauf sollte sie bereits ihren ersten Flug nach Afrika antreten. Über die Umstände berichtete ein Reporter:

"Von einem beneidenswerten Optimismus beseelt, fliegt sie völlig allein von Berlin nach Portugiesisch-Guinea in einem spielzeugartigen Klemmdecker, der nur weniger Benzin braucht als ein amerikanisches Durchschnittsauto. Ausrüstung? Zwei Hutkoffer, ein Handkoffer und eine Aktentasche. Mehr geht nicht in die Kiste hinein. Geldmittel? Ein fröhliches unbekümmertes Lachen ist die Antwort."

Es sind Frauen wie Elly Beinhorn, denen die Historikerin und Journalistin Evelyn Zegenhagen mit ihrem Buch "Schneidige deutsche Mädel. Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945" ein Denkmal gesetzt hat – und ein feministisches obendrein. Allein in Deutschland gab es zwischen 1918 und 1945 über 100 motorfliegende und viele Hundert – wenn nicht gar Tausende - segelfliegende Frauen. Frauen wie Thea Rasche, Hanna Reitsch, Luise Hoffmann, Martha Pix, Beate Uhse, Antonie Straßmann und viele andere.

"Der Zugang zur kommerziellen Fliegerei blieb deutschen Fliegerinnen allerdings verschlossen: Deutschland hatte die 1924 beschlossene, 1925 bestätigte Resolution der CINA - zu Deutsch: Commission Internationale de Navigaton Aérienne - übernommen, wonach nur Männern die Betätigung als Piloten kommerzieller Flugzeuge gestattet war."

Die historische Bedeutung der Fliegerinnen für die Gesellschaft der Weimarer Republik und des "Dritten Reichs" wird in "Schneidige deutsche Mädel" in der Art einer kollektiven Biografie gewürdigt. Zugleich weist Evelyn Zegenhagen nach, dass die fliegerischen Aktivitäten deutscher Frauen ein Phänomen von wesentlich größerer sozialer, ökonomischer und vor allem politischer Bedeutung war als bislang angenommen. Dies ist insofern interessant, als sich die Aktivitäten der Frauen in einer Zeit entwickeln konnten, in der "Gleichberechtigung" noch ein Fremdwort war. Einer Zeit des technischen Machbarkeitswahns, der größenwahnsinnigen kommerziellen und militärischen Ambitionen. Technische Bereiche galten - ganz traditionell – einer rein männlichen Welt vorbehalten. Und so verlief der Vormarsch der Fliegerinnen zunächst alles andere als zielgerichtet. Frauen verwirklichten sich zwar:

"Jedoch leisteten sie keinen aktiven Beitrag, um das emanzipatorische Selbstverständnis der Frauen in der Weimarer Republik zu vertiefen und weiterzuentwickeln. Die Gleichsetzung von "Sportfliegerin" mit "Emanzipation" war zuallererst eine Kampagne in den Medien der späten 20er Jahre, die von der tatsächlichen konservativen Rollenaufteilung in der Gesellschaft ablenken sollte."

Für ihre Recherche beließ es die Historikerin Evelyn nicht bei der Auswertung der rund 100 Lebensläufen der prominentesten Fliegerinnen. Zumal sich die Nachforschungen angesichts der vielen "Tabus" durch die Nazi-Zeit als durchaus problematisch erwiesen.

So recherchierte Zegenhagen im Ausland, führte Interviews mit Fliegerinnen, Zeitzeugen und Luftfahrtexperten und griff – zum großen Glück für den Leser – vielfach auf bislang unerschlossene Nachlässe zurück.

So gelingt der Autorin eine umfangreiche und durchaus kritische Würdigung der Pilotinnen. Deren Einbindung in das NS-Regime beleuchtet sie nüchtern und ohne zu richten:

"Dass viele Fliegerinnen sich nach 1933 zumindest temporär in das Interesse der nationalsozialistischen Diktatur stellten, kann angesichts dieser Ausgangsbedingung nicht verwundern. Dass das unkritische, bedingungslose Engagement dieser Fliegerinnen – einschließlich ihrer Verwendung im Zweiten Weltkrieg – die grundsätzliche Situierung von Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft nicht veränderte, überrascht angesichts der politischen Realitäten ebenso wenig."

Immer wieder kursierten in der Bevölkerung auch Gerüchte über alliierte Fliegerinnen im Einsatz über Deutschland, wie das Tagebuch von Karin Mannesmann belegt. Am 13. November 1940 notierte sie etwas über eine kanadische Fliegerin, die in ihrem Flieger über Berlin abgeschossen wurde. Schwer verletzt wollte diese wissen, ob sie Siemens getroffen habe, damit sie beruhigt sterben könne.

"Bei uns gibt es für Frauen keine Möglichkeit zu solchem Einsatz."

notiert die Fliegerin Karin Mannesmann eifersüchtig in ihr Tagebuch, dem bislang einzigen Dokument, in dem eine deutsche Fliegerin während des Krieges den Wunsch einer aktiven weiblichen – wenn auch nichtkriegerischen - Teilnahme an einer Kampfhandlung äußert.

"Das Schlachtfeld des Mannes, so hatte Adolf Hitler immer wieder betont, war der Krieg. Das Schlachtfeld der Frauen das Kinderbett. Somit konnte und durften deutsche Frauen im "Dritten Reich" keinerlei militärische Wertigkeit zukommen. Bei Kriegsbeginn bestand allerdings auch keine Notwendigkeit, auf die Dienste von Fliegerinnen zuzugreifen...."

Erst ab 1944 sollten Frauen schließlich auch direkt in sogenannten Überführungsgeschwadern der Luftwaffe Verwendung finden. Genaue Zahlen über den Einsatz von deutschen Fliegerinnen während des Zweiten Weltkriegs gibt es allerdings bis zum heutigen Zeitpunkt nicht. Das räumt auch die Historikerin Evelyn Zegenhagen freimütig ein.

Anders als so manche ihrer Kolleginnen hatte die erst kürzlich verstorbene Fliegerin Elly Beinhorn die NSDAP nicht als Karrieresprungbrett benutzt. Auch hatte sie es - wie viele ihrer damaligen Kolleginnen - nicht nötig. Als Pionierin der Lüfte, als Preisträgerin zahlreicher Auszeichnungen, als erste Frau, die in einem Kleinflugzeug die Welt umrundet hatte.

Dass 1936 ihre Hochzeit mit dem bekannten Rennfahrer Bernd Rosenmeyer und ihr darauf folgender Rückzug in die Mutterschaft von den Nazis gleichwohl zu Propagandazwecken missbraucht wurde, dafür konnte sie wenig. Vielmehr gab sie nach Kriegsende gegenüber der US-Militärregierung an, dass ihre auffallend "nicht-nationalsozialistische Tendenz" in ihren zahlreichen Vorträgen ihr durchaus einige Schwierigkeiten eingebracht hatte.

Mit "Schneidige Deutsche Mädels" ist der Historikerin Evelyn Zegenhagen eine mitunter etwas sperrig zu lesende aber durchaus wertvolle Auseinandersetzung mit einem bisher unterbelichteten Thema gelungen. Eine Bereicherung in der Geschichte der deutschen Fliegerei.


Evelyn Zegenhagen: Schneidige deutsche Mädel.
Wallstein Verlag, Göttingen 2007