Der polnische Pater Maciej Zięba

Solidarność-Kämpfer und Papst-Vertrauter

08:48 Minuten
Maciej Zieba in Rom
Maciej Zieba: „Ich liebte die Freuden des Lebens." Dann wurde er Priester. © Catholic News Service
Von Martin Sander · 21.06.2020
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Die Solidarność war die erste staatsunabhängige Gewerkschaft jenseits des Eisernen Vorhangs. Der Wissenschaftler Maciej Zięba war von Anfang an mit dabei. Und entschloss sich dann für ein Leben im Orden der Dominikaner.
Die katholische Kirche der heiligen Gottesmutter von Tschenstochau steht in Wrocław, dem ehemaligen Breslau. Im Pfarrhaus dahinter treffe ich den Dominikaner Maciej Zięba. 40 Jahre nach Gründung der Gewerkschaft Solidarność blickt Zięba zurück auf sein außergewöhnliches Leben zwischen Religion und Politik. Als Dominikaner brachte er es bis zum polnischen Provinzial seines Ordens. Zugleich zählt er zum Urgestein der Opposition gegen das kommunistische Regime und war ein Pionier der Solidarność. 1954 kam er in Wrocław zur Welt. Bereits im Alter von 13 Jahren habe ihn die Politik gepackt, erzählt Zięba:
"Das war 1968, als die Studenten streikten, den Campus besetzten und riefen: Die Presse lügt! Wir fordern Meinungsfreiheit! Schafft die Zensur ab! – Vor meinem Elternhaus, ganz in der Nähe der Technischen Hochschule, sah ich plötzlich Polizeieinheiten aufmarschieren, in ihren Helmen, mit kläffenden Hunden, die die Studenten verschrecken sollten. Unter ihnen war mein Cousin. Da brachten wir ihm eine Schlafdecke. Mein Herz schlug für die Studenten: Die Presse lügt, wir wollen Meinungsfreiheit – und die Machthaber schicken uns ihre bewaffnete Miliz mit diesen Hunden? Von da an wusste ich mit meinen 13 Jahren: Es ist ein schlechtes System."

Der spätere Papst: ein katholischer Freigeist

Doch auch die katholische Kirche, den bedeutendsten Gegenspieler der Partei im kommunistischen Polen, fand Zięba als Jugendlicher nicht sonderlich anziehend:
"Von den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils unter Johannes XXIII. war damals in Polen kaum etwas angekommen. Die Liturgie war in Latein. Meine Mutter, eine denkende, kluge Katholikin, erkannte, dass ich als Jugendlicher große Probleme mit dem Glauben hatte. Ich verbarg vor ihr, dass ich nicht in die Kirche ging. Sie stellte mich deswegen aber nie zur Rede. Stattdessen legte sie mir Bücher von klugen Leuten ans Herz, zum Beispiel von Gilbert Keith Chesterton oder von Karol Wojtyła. So zeigte sie mir ein anderes, modernes Gesicht der Kirche."
Das Europäische Zentrum der Solidarność in Gdansk.
Das Europäische Zentrum der Solidarność in Gdansk.© akg-images / Hervé Champollion
In den 1960er- und 70er-Jahren gehörte Karol Wojtyła, der spätere Papst Johannes Paul II., zur reformfreudigen Minderheit innerhalb der katholischen Kirche Polens. Anknüpfend an die Ethik von Max Scheler und Emmanuel Levinas bemühte sich Wojtyła um den interreligiösen Dialog. Damit beeindruckte er den jungen Maciej Zięba, damals Student der Naturwissenschaften an der Technischen Hochschule Wrocław. Zięba befreundete sich mit staatskritischen Protestanten aus der DDR:
"Wir trafen uns oft in den Ferien und beteiligten uns zusammen über Jahre am Neubau von Kirchen in Polen. 1976 arbeiteten wir gemeinsam in Ostberlin auf einem jüdischen Friedhof. Das war sehr bereichernd, wobei die Deutschen es schwerer hatten als wir. Denn die Stellung der katholischen Kirche in Polen war stark, die der Protestanten in der DDR schwach, und entsprechend hart waren die Schikanen, die sie von den Machthabern erdulden mussten."

Gemeinsam gegen den sozialistischen Staat

In dieser Zeit, also in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre, entstand in Polen erstmals ein breites Bündnis von Regimekritikern. Katholische Intellektuelle, wie Maciej Zięba, taten sich mit linken Dissidenten zusammen, die Marxisten gewesen waren und Religion als "Opium fürs Volk" betrachtet hatten. Plötzlich erkannten beide Lager, dass es Sinn hatte, sich gemeinsam gegen den sozialistischen Staat aufzulehnen.
Lech Walesa (Mitte rechts) während einer Kundgebung von Solidarność in Danzig.
Lech Walesa (Mitte rechts) während einer Kundgebung von Solidarność in Danzig.© imago images / Eastnews
Adam Michnik, einer der bedeutendsten linken Dissidenten, aus kommunistischer Familie, schrieb 1977 – verfolgt von der Geheimpolizei – in einem katholischen Kloster das illegale Buch "Die Kirche, die Linke, der Dialog". Zięba war begeistert:
"Ich schloss mich mit vier, fünf Studienkollegen in meinem Zimmer ein, nahm die Fotokopie einer Seite dieses Buchs, las sie und gab sie dem nächsten weiter. Als wir so nach fünf Stunden mit der Lektüre durch waren, kam die nächste Schicht in mein Zimmer und so weiter, bis alle meine Bekannten es gelesen hatten. Danach wollte ich mich mit Michnik persönlich treffen. Wir haben uns getroffen und uns angefreundet."

Papstbesuch ermutigt zur Gründung der Gewerkschaft

1978 bestieg Karol Wojtyła den Papstthron. 1979 besuchte er seine polnische Heimat und zog die vom Kommunismus enttäuschten Massen in seinen Bann.
"Dein Geist stiege herab und verändere das Antlitz der Erde. Dieser Erde"
"Als er wieder wegfuhr, waren wir wie betäubt: Unser Land ist ein anderes. Wir sind anders. Wir stellten fest, wir waren nicht Tausende oder Zehntausende, sondern Millionen. Nun, ein Jahr später entstand die Solidarność."
Zehntausende Polen gedenken in Danzig der Opfer der Unterdrückung der Unruhen von 1970 (45 Tote) nach einer drastischen Erhöhung der Lebensmittelpreise. Aufnahme in Danzig am 16. Dezember 1980.
Zehntausende Polen gedenken in Danzig der Opfer der Unterdrückung der Unruhen von 1970 (45 Tote) nach einer drastischen Erhöhung der Lebensmittelpreise. Aufnahme in Danzig am 16. Dezember 1980.© akg-images / Philippe Ledru
Die Solidarność war die erste staatsunabhängige Gewerkschaft im Ostblock und Maciej Zięba ihr Mann der ersten Stunde in Wrocław. Von Beginn an war diese Gewerkschaft mit der katholischen Kirche verknüpft.
Als der katholische Arbeiterführer Lech Wałęsa am 31. August 1980 auf der Danziger Lenin-Werft einen Kompromiss mit der kommunistischen Regierung aushandelte, trug er eine Rosenkranzkette um den Hals. Seine Unterschrift leistete er mit einem riesigen Kugelschreiber, auf dem der polnische Papst abgebildet war.

Entscheidung für ein Leben als Ordensbruder

Zięba, damals noch Wissenschaftler am Institut für Meteorologie und Wasserwirtschaft in Wrocław und Solidarność-Kämpfer, gab seinem Leben 1981 eine unvermittelte Wende. Er trat in den Dominikaner-Orden ein:
"Ich liebte die Freuden des Lebens. Vorher war es mir nicht in den Sinn gekommen, Priester zu werden. So etwas hätte ich für absurd gehalten. Als ich dann mit meiner Freundin, einer Medizinstudentin, ein Konzert besuchte, kam mir plötzlich diese Eingebung. Aufgeführt wurde gerade Dvořáks Te Deum, mir eigentlich viel zu pathetisch. Obwohl ich Rationalist war, spürte ich gerade in diesem Augenblick, wie mich die Idee, Geistlicher zu werden, anzog, als käme sie nicht aus mir heraus, sondern so, als würde sie nach mir greifen."
Vier Jahrzehnte sind seither vergangen. Auch als Dominikaner-Pater kämpfte Maciej Żięba für die Solidarność. Zugleich wurde er zu einem engen Vertrauten von Papst Johannes Paul II.

Die Erben der Opposition sind heute verfeindet

Nach der Jahrtausendwende baute er in Danzig, auf dem Gelände der ehemaligen Leninwerft, das Europäische Solidarność-Zentrum auf, das an das große Erbe der Oppositionsbewegung erinnert. Doch die Erben der Solidarność sind heute untereinander zutiefst verfeindet. Die einen sind liberale EU-Anhänger, die anderen rechte Nationalisten.
Eine Frau wechselt Blumen am Denkmal des ermordeten Priesters Jerzy Popieluszko vor der ehemaligen Lenin-Werft in Gdansk.
Das Denkmal des ermordeten Priesters Jerzy Popieluszko vor der ehemaligen Lenin-Werft in Gdansk.© imago images / Gerlinde Schmidt
Zięba machte das Zerwürfnis depressiv. Eine Zeitlang verfiel er sogar dem Alkohol. Inzwischen gibt es in Polen nicht einmal mehr gemeinsame Jubiläumsveranstaltungen. Den Zerfall der Solidarność, die ihm so viel bedeutete, nimmt der Dominikaner hin – mit Wehmut und kühler Vernunft:
"Es gibt da eine Logik, dass Massenbewegungen für ein einziges Ziel viele Menschen verbinden und positive Energie freisetzen. Aber wenn sie ihr Ziel erreicht haben, dann ist es vorbei und alles zersplittert. Ich finde das traurig und hätte es gern anders. Aber die Geschichte lehrt uns: Es ist so."
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