Der polnische Dichter Tomasz Różycki

„Ich fühle mich wie ein Gespenst der Poesie“

Häuser am Ufer der Oder in Höhe des Stauwehrs in Opole, dem ehemaligen Oppeln in Oberschlesien, aufgenommen am abend des 05.07.2007.
Różyckis Familie kam nach dem Zweiten Weltkrieg nach Oppeln. Sein Verhältnis zu seiner Heimat thematisiert Różycki auch in seinen Gedichten. © picture-alliance/ dpa / Forum Marek Maruszak
Tomasz Różycki im Gespräch mit Frank Meyer · 27.11.2018
Persönlich, ironisch und gesellschaftskritisch: Tomasz Różycki gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Dichtern Polens. Nun ist sein Sammelband "Der Kerl, der sich die Welt gekauft hat" auch auf Deutsch erschienen.
Frank Meyer: In den Gedichten von Tomasz Różycki, da begegnet man stattlichen Germanentöchtern oder auch Inseln, an denen einem die Wale aus der Hand fressen. Tomasz Różycki kommt aus Polen, er ist Jahrgang 1970, und er gilt als wichtigster Dichter des Landes in seiner Generation. Bei uns ist jetzt eine Sammlung seiner Gedichte erschienen unter dem Titel "Der Kerl, der sich die Welt gekauft hat". Das sind beeindruckende Gedichte, sehr persönliche, sehr politische, sehr ironische sind dabei. Ich habe vor der Sendung mit Tomasz Różycki gesprochen und ihn zuerst gefragt: Der Kerl, der sich die Welt gekauft hat, aus dem Titel des Buches, was ist das denn für ein Kerl?
Tomasz Różycki: Dieser Titel ist mir gekommen, als ich ein bestimmtes Musikstück hörte, und so ist es oft bei mir, dass ich mich inspirieren lasse zu Titeln von Stücken, besonders der Rockmusik. Ich brauche immer um anzufangen, einen poetischen Band zu schreiben oder Gedichte zu schreiben, eine Inspiration, und das ist meistens die erste Zeile oder der Titel. Diese erste Zeile muss eine gewisse rhythmische Dynamik haben, eine innere Aufladung, die mich dann inspiriert zum Weiterschreiben, aber nicht nur rhythmisch, sondern auch inhaltlich, also ein Sinn, der dann auch dem gesamten Text dann eine Richtung vorgibt. Und oft ist es so, dass diese erste Zeile oder der Titel dann sehr häufig in verschiedenen Gedichten eines Bandes wieder auftaucht oder dass zumindest Anspielungen darauf wieder auftauchen. Dieser Titel ist mir gekommen, als ich ein Lied von David Bowie gehört habe. Ich bin kein besonderer Fan von David Bowie und glaube, das war von Nirvana gespielt, aber das Lied hieß, "The Man Who Sold The World". Ich kam dann von dort auf den Gedanken, vielleicht mache ich mal einen Titel, "Der Mann, der sich die Welt gekauft hat".

Mit Poesie die Welt entzaubern

Meyer: Und man begegnet diesem Kerl in New York City in Ihren Gedichten, und man hat so den Eindruck, dass Sie länger dort waren und dass das offenbar ein für Sie sehr anregender, lyrisch produktiver Ort war, weil mehrere Gedichte entstanden sind, die darauf Bezug nehmen. Was hat denn diese Stadt New York City für Sie so anregend gemacht?
Różycki: New York damals, das war mein erster Aufenthalt in New York, als ich diese Gedichte schrieb. Für mich war die Stadt eine Herausforderung, erst mal, weil ich das erste Mal da war, zweitens, weil es ohnehin eine inspirierende Stadt war, und für mich war es eben eine ganz neue andere Welt. Man sagt ja auch von Amerika, es ist die Neue Welt, und ich hab das so als Herausforderung für mich empfunden, wie komme ich poetisch mit dieser neuen Welt zurecht.
Ich kam nach New York und lebte in einem Hotel über dem 20. Stock, also sehr hoch, und hatte diesen Blick nach unten auf die Leute, auf die kleinen Menschen, auf Alkoholgeschäfte, Liquors and Wines, und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass ich weiterhin fliege. Ich war gerade mit dem Flieger in New York angekommen und hatte immer noch das Gefühl, ich fliege eigentlich weiter und diese ganze Welt ist eine verzauberte Welt. Das war so mein Ehrgeiz, dass ich mit meinen Gedichten diese Welt entzaubere und wieder in den Zustand komme, in dem ich normalerweise in der Welt bin.
Meyer: Diese Gedichte findet man in diesem Buch, das jetzt bei uns erschienen ist. Das ist eine Auswahl aus sieben Gedichtbänden von Ihnen, Bücher, die zwischen 1997 und 2016 erschienen sind, also 20 Jahre Schreiben von Tomasz Różycki, und das Erste dieser Bücher, das hieß "Vaterland". Das haben Sie geschrieben, da müssen Sie so ungefähr Mitte 20 gewesen sein. Was hat Sie damals in den 90er-Jahren dazu gebracht, ein Buch mit dem Titel "Vaterland" herauszubringen?
Różycki: Die Frage ist berechtigt, warum Vaterland. Damals war eine Zeit, wo ich wirklich mir einen bestimmten Raum angeeignet habe, und zwar den Raum, in dem ich von Kindheit an gelebt habe. Das war so die Zeit, so wie ich mir New York mit meinen Gedichten ein bisschen nicht gezähmt, aber angeeignet habe, so war das auch mit diesem Wohnraum.
Es ist ja so, dass meine Familie 1945/46 aus Lwów, aus Lemberg, nach Oppeln kam, nach Opole, und sie kam dort in diese vormals deutschen Wohnungen, und dieses Erlebnis, dieser Wechsel hat eigentlich meine ganze Kindheit geprägt, und eigentlich sind auch alle meine Gedichtbände über diese Erfahrung. Das hatte zur Folge, dass ich die ganze Zeit so eine Art Fremdheit in der Luft liegen spürte. Das war nicht so, dass diese Fremdheit lastete, aber sie war deutlich zu spüren, und es war wie ein Doppelleben – die eine Mythologie war dort im Osten geblieben, im Lemberger Raum, und die Mythologie hier, am neuen Wohnort, die war fremd. Und sie war auch germanisch geprägt und wahrscheinlich auch daher mein Versuch, mich damit auseinanderzusetzen.

Gedichte und Geschichte

Meyer: Es gibt auch ein Gedicht von Ihnen, um ein kurzes Beispiel zu geben, das heißt eben auch "Vaterland", und da liest man in der ersten Strophe: "März, die Herrschaftszeit der fetten Winde von jenseits der Oder, in Erlen und Hecken lärmen die germanischen Götzen." Später ist auch noch vom Kauderwelsch der stattlichen Germanentöchter die Rede. Ich nehme an, das sind große Eichen oder so was, diese Germanentöchter. Also Sie haben sich über Ihre Gedichte dann tatsächlich auch die deutsche Geschichte dieser Region angeeignet?
Różycki: Das war wirklich so, dass ich versucht habe, mir das anzueignen. Es war ja so, als ich nach Krakau kam zum Studium, haben die Kommilitonen mich dort oft boshaft gefragt, als sie hörten, ich komme aus Oppeln, haben sie gefragt: Und, gibt's dort eine polnische Botschaft? Also ich war jemand, der aus einer Gegend kommt, wo man wusste, dass es nicht eindeutig ist, und daher auch der Titel. "Vaterland" war also ein bisschen aus Trotz verliehen, so als Gegenbewegung, weil ich ja wusste, ich musste mir das alles erarbeiten. Es war klar, dass meine Familie keine deutschen Wurzeln hatte, wie in Schlesien oft der Fall, sondern aus einer ganz anderen Gegend kamen.
Meyer: "Vaterland" eben, der deutsche Titel für den auch in Polen erschienen Gedichtband. Es gibt auch ein Gedicht aus diesem Band, das heißt, "Nun also Krieg", dieses Gedicht, und darin liest man die Zeilen: "Wir haben wohl einfach zu lange geschlafen und das Wesentliche vergessen, da man uns jetzt Rechnungen bringt, die Zufuhr kappt, da unsere Papiere jetzt einem anderen Staat gehören, der Gelächter und Furcht weckt." Und als ich das las, von diesem Staat, der Gelächter und Furcht weckt – ich muss zugeben, ich hab das erst mal ganz naiv gelesen, als wären es alles Gedichte von heute in diesem Band, mir ist erst danach klar geworden, dass dieses Gedicht 20 Jahre alt ist. Aber ich dachte auch dann, dass man es vielleicht auch auf Ihre Erfahrung mit dem gegenwärtigen polnischen Staat anwenden kann, dieses Gedicht. Ich weiß nicht, wie ist das für Sie?
Różycki: Das Gedicht ist ja wirklich 20 Jahre alt, und damals war eine andere politische Situation, aber enthält natürlich auch universale Sinnebenen, die weiterhin gültig sind. Wenn es nach meiner Meinung damals vor allem metaphorisch zu interpretieren war, dieses Gedicht, dann kann man es heute fast wörtlich nehmen. Und wenn ich heute gefragt werde, bezieht sich dieses Gedicht auch auf die Jetztzeit, den jetzigen polnischen Staat, dann kann ich das eindeutig bejahen.
Meyer: Gibt es denn in Polen eine Tradition solcher Lyrik, die sich auch mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation auseinandersetzt, oder stehen Sie da mit solchen Gedichten ziemlich alleine da?
Różycki: Ich stehe da auf keinen Fall alleine, es gab in Polen schon immer eine starke Tradition von gesellschaftskritischen, politisch kritischen Gedichten und Poeten, gerade im Kommunismus war das der Fall, als man nicht alles direkt sagen konnte. In letzter Zeit hat sich das vielleicht geändert von einer strikt politischen Behandlung der Dinge zu einer mehr gesellschaftlichen, aber ich würde nicht sagen, dass ich da alleine stehe, im Gegenteil: Es gibt viele Autoren, die viel expliziter politische Kritik üben als ich, und ich finde, meine Gedichte sind eigentlich eher metaphorisch zu lesen und nicht so direkt.

Vom Leben als Poet

Meyer: Ich würde gern noch auf eine andere Seite Ihrer Gedichte schauen, die mir auch besonders viel Freude gemacht hat, auf die ironische Seite, auch auf eine vielleicht besonders subjektive, zum Beispiel dieses Thema: Was macht das Gedichteschreiben eigentlich mit mir. Das taucht zum Beispiel auf in Ihrem Gedicht "Kaffee und Tabak". Da schreiben Sie: "Als ich anfing zu schreiben, wusste ich noch nicht, wozu die Gedichte mich machen, wie sie mich strafen, in ein Gespenst mich verwandeln, ewig unausgeschlafen, mit pergamentener Haut, in einen torkelnden Wicht." Fühlen Sie sich tatsächlich als Dichter manchmal jetzt so als dichtendes Gespenst, wie Sie das hier beschrieben haben?
Różycki: Das ist wirklich ein sehr autobiografisches Gedicht, und eigentlich muss ich sagen, ich fühle mich täglich wie ein Gespenst der Poesie. Es ist ja so, dass man wirklich oft nicht ausgeschlafen ist, dass man so das Gefühl hat, man hat einen irgendwie gestörten Realitätsbezug, man fühlt sich wie leicht bekifft, also Schlaflosigkeit, Alkohol, das alles spielt eine Rolle. Und dann muss ich sagen, dass ich, wenn ich Gedichte schreibe, die am Anfang gar nicht niederschreibe, sondern sie mir innerlich oder leise immer wieder vorspreche, bis sie die Form haben, die ich will. Und das gilt auch für eine ganze Serie von Gedichten. Ich gehe spazieren und spreche die ständig nach, bis ich das Gefühl habe, sie stimmen, und dann schreibe ich sie auf.
Meyer: Den Eindruck hat man manchmal auch, dass es etwas von einem gehenden, von einem bewegenden Gedicht hat, was Sie schreiben. Ich wollte aber auch noch sagen zu diesem Gedicht, was ich gerade ein bisschen vorgelesen habe, wo es um die Kosten des Dichtens geht, es gibt auch ein Gegengedicht, könnte man sagen, "Korallenbucht". Da heißt es: "Als ich anfing zu schreiben, wusste ich nicht, wie reich es mich macht und dass ich mir gleich eine Insel kaufe, hinfliege, vielleicht zwölfmal täglich, und dass mit der Gischt Flaschen antreiben und mir Wale im Licht aus der Hand fressen." Da hört man dann, wie reich Sie offenbar auch beschenkt werden durchs Gedichteschreiben, und man merkt, dass ich hier noch gerne lange weiterzitieren würde aus dem Buch, aus Ihren beeindruckenden Gedichten. Wir haben die Zeit hier leider nicht, aber man kann ja Ihre Gedichte zum Glück lesen in Ihrem Buch "Der Kerl, der sich die Welt gekauft hat", Gedichte von Tomasz Różycki, herausgegeben und aus dem Polnischen übersetzt von Bernhard Hartmann, in der Edition fotoTAPETA ist das Buch erschienen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Różycki: Danke schön!
Meyer: Und vielen Dank auch an Olaf Kühl, der unser Gespräch hier gedolmetscht hat, und er hat übrigens auch schon ein Buch von Tomasz Różycki übersetzt, "Zwölf Stationen" heißt das, 2009 im Luchterhand-Literaturverlag erschienen. Herr Kühl, bestimmt auch ein hervorragendes Buch.
Olaf Kühl: Eins der schönsten, wenn nicht das schönste von Tomasz Różycki.
Meyer: Also haben wir zwei Leseempfehlungen hier. Vielen Dank auch an Sie!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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