Der nutzlose Mensch der Zukunft

Ruhiggestellt in virtuellen Welten?

Gewebe, Stoff, Struktur
Ist das Matrix-Szenario plausibel? © imago / Blickwinkel
Von Christian Schiffer · 16.02.2017
Die Digitalisierung produziere eine "Klasse der Nutzlosen", meint der Historiker Yuval Harari. Wie also lebt künftig der Großteil der Menschheit? Unser Autor ist dem Gedanken nachgegangen, wie sich das Leben in einer Matrix abspielen könnte.
Ausschnitt: "Ich weiß, dass dieses Steak nicht existiert. Ich weiß, dass, wenn ich es in meinen Mund stecke, die Matrix meinem Gehirn sagt, dass es saftig ist, und ganz köstlich. Unwissenheit ist ein Segen!"
"Unwissenheit" ist ein Segen, das sagt der Bösewicht Cypher aus dem Film Matrix. Und irgendwie hat er ja recht: Denn es ist doch letztlich egal, ob das saftige Steak nun virtuell ist oder nicht, wenn es schmeckt, dann schmeckt es halt. In Matrix hängen die Menschen im Real Life in großen Tanks, während ihnen eine Computersimulation eine reale Welt vorgaugelt, unsere Welt, mit belebten Städten, wärmender Sonne und eben saftigen Steaks.
Matrix ist eine düstere Science-Fiction-Dystopie, doch mittlerweile gibt einige Menschen, die das Szenario für durchaus plausibel halten, darunter auch Elon Musk. Der Chef des Elektroauto-Pioniers Tesla glaubt, dass die Chance, dass wir nicht in einer Art Matrix leben, lächerliche eins zu einer Milliarde beträgt. 2016 erklärt er auf einer Konferenz:
"Das Argument für die Behauptung, dass wir in einer Simulation leben ist das Folgende: Vor 40 Jahren gab es mit 'Pong' das erste Computerspiel und es bestand nur aus zwei Balken und einem Punkt. Heute haben wir Spiele, die fotorealistisch aussehen und die von Millionen Menschen gleichzeitig gespielt werden können - und die jedes Jahr besser werden. Und jetzt kommt natürlich die virtuelle Realität hinzu und wenn man diesen Fortschritt weiterdenkt, dann werden die Spiele irgendwann nicht mehr unterscheidbar sein von der Realität."
Tatsächlich ist der technogische Fortschritt beeindruckend. Die Welten, die heute am Computer zu sehen sind, lassen sich kaum noch von unserer echten Welt da draußen unterscheiden - und per Virtual Reality kann man mittlerweile in diese Welten eintauchen - man ist mittendrin, statt nur dabei.
Längst arbeiten die Forscher daran nicht nur optische Reize zu simulieren, auch olfaktorisch soll die virtuelle Welt sich der realen Welt immer mehr annähern, es wird zudem mit Anzügen experimentiert, die Tastsinn und Wiederstand imitieren können. Am Ende könnte eine Art Holodeck stehen, wie man es aus Star Trek kennt. Ein Raum, in dem man jede Realität erschaffen kann, die man möchte.

Psychologe: Virtuelle Realität für viele Menschen von Vorteil

Und diese Realität könnte sehr viel attraktiver sein als die wirkliche Welt. Hier könnte immer die Sonne scheinen, hier könnte man immer am Stand liegen und Cocktails schlürfen mit kleinen Schirmchen im Glas - und natürlich wären hier auch immer die Steaks saftig. Früher, im 18 Jahrhundert, versuchten vor allem Frauen dem tristen Alltag zu entkommen, in dem sie Romane lasen – schnell war die Rede von der sogenannten "Lesesucht".
In Zukunft könnten sich arbeitslos gewordene Menschen aus der Realität verabschieden und ein besseres Leben im Virtuellen führen. Und nicht nur die: In der Folge "San Junpero" der gefeierten Science Fiction Serie "Black Mirror" werden alte Menschen, die in der echten Welt ans Bett gefesselt sind, in eine Simulation versetzt und können sich dort wieder jung fühlen, tanzen, trinken und lieben.
Der Israeli Shiban Youssef ist Psychologe und erforscht an der Uni Regensburg die Wirkung von virtueller Realität auf en Menschen. Er glaubt: Virtuelle Realität könnte für viele Menschen das Leben lebenswerter gestalten.
Youssef: "Das ist doch ein Argument! Wenn man sagt, ich muss das Leben mit einer Krankheit leben, wo ich mich nicht bewegen kann und nicht essen kann und so weiter versus ich kann ein simuliertes Leben bekommen, in dem ich alles habe und 1000 Mal besser … Da werde ich die Person verstehen, die sagt: Ich will das haben!"
Schon seit Platon und seinem Höhlengleichnis diskutiert die Menschheit über Realität und Nicht-Realität über Eskapismus und Realitätsflucht. Der Herr-der-Ringe-Autor J. R. R. Tolkien sagte einmal in einem vielbeachteten Vortrag, dass man niemanden verachten solle, der sich in einem Gefängnis befindet und versucht herauszukommen.
Für viele Menschen könnte die virtuelle Realität einen Weg in die Freiheit weisen, und wer daran etwas falsch findet, der muss vor allem daran arbeiten, die Realität, die wirkliche, die echte Realität, lebenswerter zu machen, als sie heute für viele Menschen ist.
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