Yuval Harari: "Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen"
Verlag C.H.Beck, München 2017, 576 Seiten, 24,95 Euro
Erscheint am 16. Februar
Die Digitalisierung produziert immer mehr "Nutzlose"
Durch die Fortschritte bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz drohe die Entstehung einer neuen gesellschaftlichen "Klasse der Nutzlosen", warnt Yuval Harari. Menschen, denen es nicht nur an Arbeit, sondern auch an Sinn fehlen wird.
In seinem neuen Buch "Homo Deus" erzählt der israelische Historiker und Bestseller-Autor Yuval Harari eine Geschichte der Zukunft, wie sich die Welt im 21. Jahrhundert entwickeln wird.
Vor allem drohe eine Spaltung der Gesellschaft in "Gottgleiche" und "Nutzlose": "Wenn man die künstliche Intelligenz immer weiter verbessert, werden Maschinen und Computer den Menschen bei immer mehr Aufgaben übertreffen und werden Millionen Menschen vom Arbeitsmarkt verdrängen", sagte Harari im Deutschlandradio Kultur.
"So wie die Industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts eine neue Klasse hervorbrachte, die urbane Arbeiterklasse, werden wir im 21. Jahrhundert die Erschaffung der Klasse der Nutzlosen erleben. Menschen ohne wirtschaftliche Bedeutung und dadurch auch ohne politische Macht."
Lebenssinn im Computerspiel finden
Selbst wenn es gelänge, all diese "Nutzlosen" ökonomisch zu versorgen, frage er sich, worin dann der Sinn deren Lebens bestehe. Zum Beispiel in Computerspielen, meint Harari:
"Da gibt es eben viele, die meinen, dieser neue Sinn des Lebens entsteht beispielsweise durch Computerspiele in 3D, indem man immer mehr in virtuelle Welten eintaucht, in diesen virtuellen Welten aufgeht, dort seine Emotionen auslebt und viel stärkere Emotionen letzendlich erlebt als in der echten Welt."
Diesen gegenüber stünde eine "gottgleiche Elite", die ambitionierter sei als der biblische Gott.
"Wenn man der Bibel glaubt, gelang es Gott nur, organisches Leben zu erschaffen", so Harari. "Aber wir versuchen, das erste nicht-organische Wesen der Geschichte zu erschaffen. Wenn uns das gelänge, wären wir mächtiger als der Gott der Bibel." (uko)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Mit "Eine kurze Geschichte der Menschheit" hat er einen Weltbesteller gelandet, er ist viel diskutiert worden, allein in Israel stand er drei Jahre auf der Bestsellerliste und wurde in viele Sprachen übersetzt: der israelische Universalhistoriker Yuval Harari. Nun hat er seinen Blick von unserer Geschichte in die Zukunft verschoben, übermorgen erscheint bei uns sein neues Werk "Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen" auf Deutsch. Und wir wollen in dieser Woche mit Experten über seine Thesen reden, aber zuerst natürlich mit ihm selbst! Professor Harari, schönen guten Tag!
Yuval Noah Harari: Hallo!
Wenn Menschen sich zu Göttern upgraden
von Billerbeck: Der Mensch, sagen Sie, ist an einem entscheidenden Punkt der Geschichte. Jahrtausendelang haben wir uns ja damit beschäftigt, die Welt besser zu machen, und jetzt beginnen wir, uns selbst zu verbessern. Leben soll erschaffen und verändert werden, Organisches mit künstlicher Intelligenz verschmolzen werden, ja, wir wollen sogar den Tod abschaffen. Technik, ist das also die neue Religion, wollen wir selbst die neuen Götter werden?
Harari: Ja, ich denke, man kann sagen, dass die Menschen im 21. Jahrhundert versuchen werden, sich zu Göttern upzugraden. Wir versuchen, göttliche Fähigkeiten zu erwerben. Wenn Gott in der Bibel Pflanzen und Tiere und Menschen nach seinen Wünschen kreiert, versuchen wir, mithilfe der Technologie die Macht zu erwerben, Körper, Gehirne und Geist herzustellen und Leben nach unseren Wünschen zu schaffen. Tatsächlich tun wir etwas noch Ambitionierteres als der Gott der Bibel: Wenn man der Bibel glaubt, gelang es Gott nur, organisches Leben zu schaffen. All die Alligatoren, Giraffen, Bäume und Menschen, die Gott erschuf, waren streng organische Wesen. Aber wir versuchen, das erste nicht organische Wesen der Geschichte zu erschaffen. Wenn uns das gelänge, wären wir mächtiger als der Gott der Bibel.
Eine neue Klasse der "Nutzlosen"
von Billerbeck: Nun klingt das nach einer faszinierenden Idee, was Sie da schildern, also den Menschen verbessern, bis er gottgleich ist und eine neue Menschenart, die Sie Homo Deus nennen, entstanden ist. Also dieses Zusammenspiel zwischen unseren Körpern mit Maschinen. Sie allerdings, so steht es in Ihrem Buch, glauben nicht, dass das klappt, zumindest nicht für die allermeisten Menschen. Was fürchten Sie?
Harari: Nun, ich sehe viele Gefahren. Eine davon ist in den Augen vieler Experten: Wenn man die künstliche Intelligenz immer weiter verbessert, werden Maschinen und Computer die Menschen bei immer mehr Aufgaben übertreffen und werden Millionen Menschen vom Arbeitsmarkt verdrängen. So wie die Industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts eine neue Klasse hervorbrachte, die urbane Arbeiterklasse, werden wir im 21. Jahrhundert die Erschaffung der Klasse der Nutzlosen erleben: Menschen ohne wirtschaftliche Bedeutung und dadurch auch ohne politische Macht.
Eine andere Gefahr: In der Vergangenheit hatten wir die Macht, die äußerliche Welt, also Flüsse, Wälder, Tiere, unsere Umwelt zu kontrollieren; wenn wir im 21. Jahrhundert auf ähnliche Art die Fähigkeit erlangen, unsere innere Welt zu manipulieren, unseren Körper, unser Gehirn, unseren Geist, wir aber die Balance, unsere inneren Systeme nicht verstehen, besteht die Gefahr, dass wir unsere Macht missbrauchen und unser psychisches System vollkommen aus dem Gleichgewicht bringen.
von Billerbeck: Sie beschreiben in Ihrem Buch ja auch eine gewaltige Ungleichheit, die Sie entstehen sehen, von der nur wenige profitieren, die anderen aber irrelevant werden, also eine neue Zwei-Klassen-Gesellschaft. Wer wird denn darüber entscheiden, wer zu dieser neuen biologischen Kaste gehören wird? Also, wer wird Gott und wer ist nutzlose Masse?
Harari: Nun, das ist ja keine Prophezeiung. Technik kann ja zu verschiedenen Folgen führen. Wenn wir uns das 20. Jahrhundert anschauen, wo aufgrund der Industriellen Revolution Elektrizität plötzlich so wichtig geworden ist und alles, was mit Elektrizität an Erfindungen einherging, dann hat es den Kommunismus gegeben, es hat den Faschismus gegeben und es hat westliche Demokratien gegeben, die haben sich alle der Elektrizität bedient. Aber das heißt ja nicht, dass es die Schuld der Erfindung der Elektrizität war. Und genauso ist es auch jetzt im 21. Jahrhundert, wenn ich an die Biochemie oder an die künstliche Intelligenz denke, dann kann man sich fragen: Benutzt man das zum Wohle der Gesellschaft oder aber führt das eben dazu, dass es zu einer Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen kommt, in eine nutzlose Masse und in eine gottgleiche Elite?
In ein neues Level der virtuellen Realität eintreten
Aber ich sage ja nicht, dass das so kommen muss und dass es unausweichlich so sein wird, ich sage nur, es besteht diese Gefahr und wir müssen anfangen, darüber nachzudenken, wir müssen anfangen, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, damit sich diese Gefahr nicht bewahrheitet. Eine andere Frage, die wir uns natürlich stellen müssen, selbst wenn wir in der Lage wären, alle Menschen zu versorgen, ihnen Essen, ein Haus über dem Kopf und Medizin zu verschaffen, dass sie eigentlich ein sorgenfreies Leben leben können, worin besteht dann noch der Sinn des Lebens, wenn sie keine Jobs mehr haben, wenn sei keine Arbeit mehr haben und wenn sie eigentlich, in Anführungszeichen, nutzlos sind?
Und da gibt es eben viele, die meinen, dieser neue Sinn des Lebens entsteht beispielsweise durch Computerspiele in 3-D, in denen man immer mehr in virtuelle Welten eintaucht, in diesen virtuellen Welten aufgeht, dort seine Emotionen auslebt und viel stärkere Emotionen letztendlich erlebt als in der echten Welt. Und eigentlich hat diese Entwicklung ja schon begonnen, weil immer mehr Menschen immer mehr Zeit mit Computerspielen und im Cyberspaße verbringen. Andere Experten sagen wiederum, das ist ja alles gar keine neue Entwicklung, seit Tausenden von Jahren gibt es diese Form der virtuellen Realität, nur war das bisher eben die Religion. Weil, was tun Menschen, die einer Religion angehören? Sie versuchen, sich sozusagen für eine andere Stufe des Lebens zu qualifizieren, sie sammeln brav Punkte, und wenn sie genug Punkte erreicht haben, dann dürfen sie nach dem Tod in ein neues Level dieser virtuellen Realität eintreten.
von Billerbeck: Ins Paradies also?
Harari: Yes, in paradise.
Heute sterben mehr Menschen an zu viel Essen als durch Krieg
von Billerbeck: Das klingt alles ziemlich düster, wenn man das hört, weil das so die grundlegenden Fragen unseres Menschseins berührt, was Sie da beschreiben: Was sind wir eigentlich, was tun wir eigentlich, wenn wir keine Arbeit mehr haben? Dann spielen wir Computerspiele und das wird der Sinn unseres Lebens. Wenn man Ihr Buch liest, hat man trotzdem so einen Moment lang das Gefühl: Wir können diese Entwicklung noch verhindern. Was müssen wir denn tun, damit das geschieht, damit wir uns als Menschen nicht verlieren?
Harari: Natürlich gibt es Grund zur Hoffnung. Der Mensch hat es immer verstanden, gewisse Technologien dann doch so für sich zu nutzen, dass es nicht zum Schlimmsten gekommen ist. In den 40er- und 50er-Jahren, als die Atombombe kam und wir im Nuklearzeitalter lebten, hatten viele wirklich die Angst, es würde nach diesem Kalten Krieg ein Dritter Weltkrieg folgen und das sei das Ende der Welt und auch das Ende der Menschheit. Nun, das ist eben nicht geschehen. Heutzutage sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, als durch gewalttätige Kriege beispielsweise.
von Billerbeck: Thank you very much! Yuval Harari war das, der israelische Historiker von der Universität Jerusalem. Das Gespräch mit ihm hat Jörg Taszman übersetzt, Herr Harari, ganz herzlichen Dank!
Harari: Vielen Dank!
von Billerbeck: Und das Buch von ihm, "Homo Deus", erscheint übermorgen bei C. H. Beck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.