Der neue Geist des Kapitalismus

Du hast 1000 Euro – mach was draus!

Viele Eurobanknoten liegen in einem Briefumschlag auf einem Tisch, fotografiert am 10.01.2018 in Sieversdorf (Brandenburg)
Mehr Freiheit und Würde versprechen sich manche vom bedingungslosen Grundeinkommen. Doch wäre ein Grundeinkommen nicht einfach nur ein weiterer Schritt zur Unternehmerisierung und Ökonomisierung des Selbst? © dpa / Patrick Pleul
Ein Standpunkt von Timo Daum · 04.12.2018
Die Debatte ums Grundeinkommen passt perfekt zum neuen Geist des Kapitalismus, meint Timo Daum. Denn der macht jeden zu seines Glückes Schmied. Doch ist es wirklich eine gute Idee, dafür die Idee der öffentlichen Daseinsvorsorge aufzugeben?
Das deutsche Erfolgsmodell der auf Lohnarbeit basierenden Sozialversicherungen ist in Frage gestellt. Ein Grundpfeiler der "Sozialen Markwirtschaft" und des Klassenkompromisses der Nachkriegszeit wackelt.
Diskutiert wird stattdessen ein neues Modell sozialer Sicherung, das bedingungslose Grundeinkommen – kurz BGE. Das passt gut in eine Zeit, in der wir uns von der proletarischen Arbeit verabschieden und eine neue Figur auftritt: der Arbeitskraftunternehmer, Solo-Selbständige oder Entrepreneur des Selbst.
Ironischerweise ist es das Kapital selbst, das den Nachkriegskompromiss aufkündigt und die Arbeiter und Angestellten in seinen Fabriken und Bürotürmen gar nicht mehr so richtig ausbeuten möchte.

Ein neuer Geist des Kapitalismus?

Die Politik reagiert jetzt darauf. Die SPD verkündet den Abschied von Hartz IV und trägt mit dem Vorschlag eines Sabbaticals fürs Arbeitnehmer dem Trend nach lebenslangem Lernen Rechnung. Auch die Grünen sind mit dem Vorschlag von Robert Habeck, ein bedingungsloses Grundeinkommen für Bedürftige einzuführen, am Puls der Zeit.
Die Berliner Initiative "Mein Grundeinkommen" fackelt derweil nicht lange, sie machen es einfach: Seit ihrer Gründung vor vier Jahren haben sie bereits über 100 Grundeinkommen verlost und durch Crowdfunding finanziert. Über die vorerst letzte Gewinnerin auf der Plattform ist zu lesen: "Der Gewinn des Grundeinkommens hat in der Künstlerin Katrin einen unglaublichen Tatendrang ausgelöst. Während ihres Jahres mit Grundeinkommen schrieb sie ein Buch, verwirklichte eine Ausstellung und baute sich zudem ein weiteres berufliches Standbein auf."
Bereits zur Jahrtausendwende beschrieben Wissenschaftler den Einzug einer neuen Managementkultur und eine nachfolgende Veränderung der damit einhergehenden Werte, Lebensentwürfe und Vorstellungen. Was früher die Fabrik war, sei heute das Projekt. Ein "neuer Geist des Kapitalismus" habe sich entfaltet.
Aus Arbeitern und Angestellten in festen Abteilungen mit steilen Hierarchien werden in der schönen neuen Projektwelt Teammitglieder mit wechselnden Rollen und Aufgaben. Der Vorgesetzte wird zum Coach, agiert eher wie ein Yogalehrer denn wie ein Unteroffizier und ist Vorbild und Kumpel zugleich.

Verbesserung der eigenen "employability" ist Chefsache

Im Zuge des "neuen Geistes des Kapitalismus" werden lebenslanges Lernen, die unternehmerische Validierung der eigenen Biografie und das Managen des Selbst zur daily operation – zur täglichen Aufgabe. Der Selbstunternehmer und die Selbstunternehmerin lösen die Angestellten ab und machen die Weiterentwicklung und Verbesserung der eigenen employability – zur Chefsache.
Das bedingungslose Grundeinkommen wäre ein weiterer Schritt in diese Richtung. Es passt zur Projektorientierung des neuen Kapitalismus wie die berühmte Faust aufs Auge. Damit wird ein Projekt, das als Daseinsvorsorge und Menschenrecht gedacht war, zusehends in eine Debatte überführt, bei der die individuelle Freiheit des Einzelnen innerhalb des Kapitalismus im Vordergrund steht: Du hast 1000 Euro. Mach was draus!
Die implizite Kritik an der Erwerbsarbeit als zentralem Lebensprinzip, die das Grundeinkommen auszeichnet, und weswegen es den Fans des alten Fabrik-Systems von links bis rechts ein Dorn im Auge ist, wird nun zur unternehmerischen Selbstermächtigung umdefiniert. Jeder ist seines Glückes Schmied.
Wie wäre es stattdessen über eine öffentlich finanzierte, kostenlose allgemeine Grundversorgung zu diskutieren, die etwa Bildung, Gesundheit, Mobilität und Wohnen umfasst?

Timo Daum hat Physik studiert und arbeitet als Hochschullehrer in den Bereichen Medien, Online und digitale Ökonomie. Er veröffentlicht zu Themen der digitalen Ökonomie, hält Vorträge und organisiert Konferenzen und Workshops rund um Fragen des digitalen Kapitalismus. Sein Buch "Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie" wurde mit dem Preis "Das politische Buch 2018" der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet.

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