Karl Ove Knausgård: "Der Morgenstern"

Zwischen Verheißung und Weltuntergang

06:42 Minuten
Das Cover des Buchs "Der Morgenstern" von Karl Ove Knausgård.
© Luchterhand

Karl Ove Knausgård

Aus dem Norwegischen von Paul Berf

Der MorgensternLuchterhand, München 2022

894 Seiten

28,00 Euro

Von Peter Urban-Halle · 14.04.2022
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Zehn Personen an zwei warmen Augusttagen in der norwegischen Stadt Bergen. Alle stecken in einer mehr oder weniger schweren Lebenskrise. Über allem geht mit einem Mal ein neuer Stern auf. Ein Zeichen der Verheißung oder des Weltuntergangs?
Immer wieder rätselhafte Zeichen: Unzählige Krebse im Wald, ein totgetretenes Kätzchen, eine Leiche, bereit zur Organentnahme, die wieder die Augen aufschlägt, eine vermisste Death-Metal-Band – all das verheißt nichts Gutes. Das untrügliche Zeichen aber, dass etwas nicht stimmt und die Welt am Abgrund stehen könnte, ist ein neuer Stern, der plötzlich am Himmel steht.

Zehn Personen in der Krise

Wir folgen zehn Personen, sie leben im norwegischen Bergen, dieser schönen, aber regenreichen Stadt am Meer, die oft zwischen sonnigen Phasen und Wolkenbrüchen schwankt. Die zehn Personen sind sehr verschieden, aber eines eint sie: Alle stecken sie in einer mehr oder weniger schweren Lebenskrise.
Karl Ove Knausgård steht lässig vor einem Hotel und blickt in die Kamera.
Verbietet sich keinen Gedanken: der norwegische Autor Karl Ove Knausgård, hier in Frankfurt am Main.© IMAGO / Hartenfelser
Arne sorgt sich um seine manisch-depressive Frau Tove. Die Pastorin Kathrine erkennt plötzlich die Leere ihres Daseins und will nicht mehr zurück zu Mann und Kindern. Die junge, talentierte Iselin lässt sich von ihren Selbstzweifeln beherrschen und begnügt sich damit, Kassiererin zu sein.
Die Krankenschwester Solveig fragt sich, was ihre Tochter Line quält. Der desillusionierte und frustrierte Journalist Jostein gibt sich dem Alkohol hin und ist auf der Suche nach dem Scoop seines Lebens.

Frage nach dem Sinn des Lebens

Über allem schwebt die Frage nach dem Sinn des Lebens, oder eher: nach dem Unterschied zwischen „glauben“ und „wissen“. Damit eng verbunden ist die Frage nach Leben und Tod.
„Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der helle Morgenstern“, sagt Jesus in der Offenbarung, dem letzten Buch des Neuen Testaments. Aber bei Jesaja war der Morgenstern der Teufel, heißt es bei Knausgård weiter.
Im Zeichen des neuen Sterns über Bergen befinden sich diese Menschen an einem entscheidenden Punkt ihres Daseins. Sie stehen zwischen Verheißung und Apokalypse.

Ein neuer, fantastischer Weg für Knausgård

Am Schluss seines autobiografischen Projekts „Min kamp (Mein Kampf) 1-6“ schrieb Knausgård erleichtert, er sei mit der Literatur fertig. Das ist er offenbar nicht. Man erkennt seinen Stil, der unprätentiös und einfach ist. Aber mit dem „Morgenstern“ hat er einen neuen, im wahrsten Sinne fantastischen Weg betreten.
Sein klares Denken bewahrt den Autor vor jeder Esoterik. Er verbietet sich keinen Gedanken, dazu gehört aber auch, dass er sich selbst immer wieder Fragen stellt. Unverständlich deshalb der Vorwurf des sogenannten „literarischen Manspreading“; die weiblichen Figuren des Romans sind nämlich ebenso ausführlich gezeichnet wie die männlichen, egal ob es sich um eine Pastorin oder eine Kassiererin handelt. Jeder Person, so unterschiedlich sie sind, schenkt Knausgård ihre eigene Stimme.

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