Der "listige Kaukasier"
Der Potsdamer Historiker Jochen Laufer hat eine umfassende Studie vorgelegt, die sich mit Stalins Deutschlandpolitik in den Jahren 1941-1945 befasst.
Wie kaum ein anderer hat Josef Stalin das Antlitz Ost- und Mitteleuropas im 20. Jahrhundert geprägt. Er persönlich gestaltete die Grenzen in dieser Region, die bis heute bestehen, er veranlasste umfassende ethnische Säuberungen und Bevölkerungsverschiebungen. Er ließ in den unterworfenen Ländern, sofern er sie nicht direkt der Sowjetunion einverleibte, sowjethörige kommunistische Regime installieren. Trotzdem wird sein Beitrag zur Gestaltung der Geschichte des 20. Jahrhunderts im öffentlichen Diskurs geradezu marginalisiert. Allerdings gibt es nur wenige quellengestützte Untersuchungen, die sich explizit mit Stalins Deutschlandpolitik vor und während des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzen.
Es ist daher erfreulich, dass der Potsdamer Historiker Jochen Laufer nun eine umfassende Studie vorlegt, die sich mit Stalins Deutschlandpolitik in den Jahren 1941 bis 1945 befasst. Laufer gehört zu den wenigen deutschen Historikern, die seit Jahren intensiv in den Moskauer Archiven arbeiten.
Das Bild, das Laufer zeichnet, zeigt Stalin als einen geschickt agierenden Politiker und nicht als den blutigen Herrscher, der er vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg war. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass dieser Massenmörder den Historiker durchaus beeindruckt. So bezeichnet Laufer Stalin als den "listigen Kaukasier" und schreibt in seiner Einleitung :
"In diesem Buch tritt Stalin als Macht- und Realpolitiker – als sowjetischer Machiavelli, als sowjetischer Führer [...] und als Kremlchef [...] – auf; er wird jedoch nur selten als Diktator bezeichnet. Der kommunistische Friedensstifter wird in dieser Untersuchung zuerst an seinen außenpolitischen Aktivitäten, an seinen internen Überlegungen und seinen öffentlichen Äußerungen zu Deutschland und den internationalen Beziehungen gemessen." (S. 13 f.)
Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion veranlasste Stalin zu einer grundlegenden Revision seiner Deutschlandpolitik. Er sann auf Vergeltung, der als Erste die Russlanddeutschen zum Opfer fielen, worauf jedoch Laufer nicht eingeht. Stalins wichtigste Kriegsziele in Bezug auf Deutschland waren neben dem militärischen Sieg die Aufspaltung Deutschlands, die Zerschlagung der deutschen Industrie und die "Zurückdrängung" der deutschen Siedlungsgebiete, was ihm auch weitgehend gelang.
Die wirtschaftliche Entwaffnung erreichte Stalin durch massive Demontagen, die Aufspaltung vollzog er durch die Gründung der DDR im Jahr 1949. Die deutschen Siedlungsgebiete ließ er bis zur Linie Oder/Lausitzer Neiße zurückdrängen und zugleich die polnischen nach Westen verschieben.
Die Westalliierten billigten und unterstützten diese Maßnahmen, wenngleich sie deren Umfang später in Frage stellten. Stalin kümmerte sich jedoch nicht um deren Bedenken und setzte seine Vorstellungen von den neuen Grenzen mit Gewalt durch, was er gegenüber Molotow schon im Mai 1942 erklärt hatte. Stalin:
"Die Frage der Grenzen [ ... ] werden wir mit Gewalt entscheiden."
In all diesen Ereignissen und Prozessen spielte Stalin, der stets vorpreschte, die beherrschende Rolle. Churchill und Roosevelt waren Stalin nicht gewachsen; es gelang ihm mühelos, die beiden zu täuschen. Sogar Churchill – der nicht so naiv wie Roosevelt war – ließ sich von Stalin einwickeln. Der war zynisch, entschlossen, rücksichtslos, schreckte vor keinem Verbrechen zurück, war vollkommen frei in seinen Entscheidungen. Er brauchte keine Rücksicht zu nehmen auf unzufriedene Wähler und interne Parteikritiker, auf öffentliche Meinung und Medien. Außerdem kannte er die Verhältnisse in Ost- und Mitteleuropa, die für die sowjetische Außenpolitik von Anfang an eine zentrale Rolle spielten, viel besser als seine amerikanischen und britischen Verbündeten.
Letztendlich entscheidend war jedoch der Umstand, dass die Rote Armee die Wehrmacht besiegte und die sowjetischen Panzer bis zur Elbe vorstießen. Dies erlaubte Stalin, in den besetzten Gebieten ganz nach eigenem Gutdünken zu schalten und zu walten. Seine westalliierten Bündnispartner waren zunächst nicht willens und später nicht imstande, ihn aufzuhalten.
"Wenn die Westmächte durch ihre Kriegführung jemals Einfluss auf die Nachkriegspolitik der UdSSR in Deutschland und Europa hätten nehmen können, dann 1941/1942, als die UdSSR am schwächsten war und damit der Hilfestellungen aus dem Westen am stärksten bedurfte." (S. 107)
""Über Stalins Nachkriegspläne wurde weder in Amtsstuben noch am Verhandlungstisch, sondern zuallererst an der deutschen Ostfront entschieden"." (S. 297)
Das Buch "Pax Sovietica" ist eine klassische Politikgeschichte, und Laufers Verdienst liegt darin, dass er die Deutschlandpolitik Stalins detailliert herausarbeitet und hervorragend durch Quellen belegt. Widerspruch verdient allerdings seine Darstellung der Jahre 1939 bis 1941. Laufer stützt sich auf Publikationen mit Thesen, die Stalin im Jahre 1948 persönlich formulierte und unter fremdem Namen im großen Stil verbreiten ließ. Es handelt sich dabei um die Behauptung, dass Stalin, als er den Hitler-Stalin-Angriffspakt unterzeichnete, defensiv handelte, um den Krieg von der Sowjetunion abzuwenden.
Es finden sich auch andere kleinere Fehler und Unzulänglichkeiten, die jedoch bei dem Umfang und der Komplexität der Arbeit nicht verwundern sollten und deren Wert nicht mindern. "Pax Sovietica" sollte Pflichtlektüre sein - nicht nur für Spezialisten, sondern auch für interessierte Laien.
Jochen Laufer: Pax Sovietica. Stalin, die Westmächte und die deutsche Frage 1941-1945
Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2009
Es ist daher erfreulich, dass der Potsdamer Historiker Jochen Laufer nun eine umfassende Studie vorlegt, die sich mit Stalins Deutschlandpolitik in den Jahren 1941 bis 1945 befasst. Laufer gehört zu den wenigen deutschen Historikern, die seit Jahren intensiv in den Moskauer Archiven arbeiten.
Das Bild, das Laufer zeichnet, zeigt Stalin als einen geschickt agierenden Politiker und nicht als den blutigen Herrscher, der er vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg war. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass dieser Massenmörder den Historiker durchaus beeindruckt. So bezeichnet Laufer Stalin als den "listigen Kaukasier" und schreibt in seiner Einleitung :
"In diesem Buch tritt Stalin als Macht- und Realpolitiker – als sowjetischer Machiavelli, als sowjetischer Führer [...] und als Kremlchef [...] – auf; er wird jedoch nur selten als Diktator bezeichnet. Der kommunistische Friedensstifter wird in dieser Untersuchung zuerst an seinen außenpolitischen Aktivitäten, an seinen internen Überlegungen und seinen öffentlichen Äußerungen zu Deutschland und den internationalen Beziehungen gemessen." (S. 13 f.)
Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion veranlasste Stalin zu einer grundlegenden Revision seiner Deutschlandpolitik. Er sann auf Vergeltung, der als Erste die Russlanddeutschen zum Opfer fielen, worauf jedoch Laufer nicht eingeht. Stalins wichtigste Kriegsziele in Bezug auf Deutschland waren neben dem militärischen Sieg die Aufspaltung Deutschlands, die Zerschlagung der deutschen Industrie und die "Zurückdrängung" der deutschen Siedlungsgebiete, was ihm auch weitgehend gelang.
Die wirtschaftliche Entwaffnung erreichte Stalin durch massive Demontagen, die Aufspaltung vollzog er durch die Gründung der DDR im Jahr 1949. Die deutschen Siedlungsgebiete ließ er bis zur Linie Oder/Lausitzer Neiße zurückdrängen und zugleich die polnischen nach Westen verschieben.
Die Westalliierten billigten und unterstützten diese Maßnahmen, wenngleich sie deren Umfang später in Frage stellten. Stalin kümmerte sich jedoch nicht um deren Bedenken und setzte seine Vorstellungen von den neuen Grenzen mit Gewalt durch, was er gegenüber Molotow schon im Mai 1942 erklärt hatte. Stalin:
"Die Frage der Grenzen [ ... ] werden wir mit Gewalt entscheiden."
In all diesen Ereignissen und Prozessen spielte Stalin, der stets vorpreschte, die beherrschende Rolle. Churchill und Roosevelt waren Stalin nicht gewachsen; es gelang ihm mühelos, die beiden zu täuschen. Sogar Churchill – der nicht so naiv wie Roosevelt war – ließ sich von Stalin einwickeln. Der war zynisch, entschlossen, rücksichtslos, schreckte vor keinem Verbrechen zurück, war vollkommen frei in seinen Entscheidungen. Er brauchte keine Rücksicht zu nehmen auf unzufriedene Wähler und interne Parteikritiker, auf öffentliche Meinung und Medien. Außerdem kannte er die Verhältnisse in Ost- und Mitteleuropa, die für die sowjetische Außenpolitik von Anfang an eine zentrale Rolle spielten, viel besser als seine amerikanischen und britischen Verbündeten.
Letztendlich entscheidend war jedoch der Umstand, dass die Rote Armee die Wehrmacht besiegte und die sowjetischen Panzer bis zur Elbe vorstießen. Dies erlaubte Stalin, in den besetzten Gebieten ganz nach eigenem Gutdünken zu schalten und zu walten. Seine westalliierten Bündnispartner waren zunächst nicht willens und später nicht imstande, ihn aufzuhalten.
"Wenn die Westmächte durch ihre Kriegführung jemals Einfluss auf die Nachkriegspolitik der UdSSR in Deutschland und Europa hätten nehmen können, dann 1941/1942, als die UdSSR am schwächsten war und damit der Hilfestellungen aus dem Westen am stärksten bedurfte." (S. 107)
""Über Stalins Nachkriegspläne wurde weder in Amtsstuben noch am Verhandlungstisch, sondern zuallererst an der deutschen Ostfront entschieden"." (S. 297)
Das Buch "Pax Sovietica" ist eine klassische Politikgeschichte, und Laufers Verdienst liegt darin, dass er die Deutschlandpolitik Stalins detailliert herausarbeitet und hervorragend durch Quellen belegt. Widerspruch verdient allerdings seine Darstellung der Jahre 1939 bis 1941. Laufer stützt sich auf Publikationen mit Thesen, die Stalin im Jahre 1948 persönlich formulierte und unter fremdem Namen im großen Stil verbreiten ließ. Es handelt sich dabei um die Behauptung, dass Stalin, als er den Hitler-Stalin-Angriffspakt unterzeichnete, defensiv handelte, um den Krieg von der Sowjetunion abzuwenden.
Es finden sich auch andere kleinere Fehler und Unzulänglichkeiten, die jedoch bei dem Umfang und der Komplexität der Arbeit nicht verwundern sollten und deren Wert nicht mindern. "Pax Sovietica" sollte Pflichtlektüre sein - nicht nur für Spezialisten, sondern auch für interessierte Laien.
Jochen Laufer: Pax Sovietica. Stalin, die Westmächte und die deutsche Frage 1941-1945
Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2009