Der letzte Jude in Afghanistan

Zebulon allein zu Haus

24:46 Minuten
Zebulov Simentov sitzt in seiner Wohnung auf dem Teppich und liest, vor sich zwei Porzellangefäße mit Nüssen.
Auch die Familie von Zebulon Simentov lebt in Israel. Für ihn ist klar: "Ich bin Afghane und werde hier sterben." © Imago / ZUMA Press
Von Emran Feroz · 17.10.2019
Audio herunterladen
Einst lebten in Afghanistan tausende jüdische Familien. Heute ist in Kabul gerade noch eine Synagoge übrig: Dort wohnt Zebulon Simentov seit Jahren allein. Ein besonderer Mensch, für sich, für das Judentum und für Afghanistan. Ein Besuch.
Zebulon Simentov wurde im Jahr 1959 in Herat geboren, dem einstigen Zentrum des Judentums in Afghanistan. Die späteren Unruhen im Land ab 1978, der Einmarsch der Roten Armee 1979, die Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 und nicht zuletzt die Anziehungskraft des Staates Israel ab 1948, ließen alle Juden emigrieren.
Heute gibt es in Afghanistan kaum noch religiöse Minderheiten. 99,9 Prozent der Menschen sind Sunniten oder Schiiten. Es gibt wenige Hindus, Sikhs und Christen.

Seine Familie lebt in Israel

Von der jüdischen Gemeinde ist nur Zebulon Simentov übrig geblieben. Hebräisch spricht er nicht, wie seine Familie, die in Israel lebt:
"Meine Frau, meine Töchter und meine Schwestern leben in Israel. Ich habe sie dort einmal besucht, doch ich wollte dort nicht bleiben. Meine Heimat ist Afghanistan. Außerdem wollte ich dort nicht mehr hin, nachdem ich mich von meiner Frau getrennt hatte."
Zebulon Simentov lehnt am Lesepult in der Synagoge.
Das Gebet liest Zebulon Simentov in Kabuls letzter Synagoge meistens allein. Selten kommen Juden aus dem Ausland zu Besuch.© Emran Feroz
Zebulon Simentov lebt in der letzten Synagoge Kabuls. Die liegt in der "Gasse der Blumenhändler" von Shar-e Naw, einem der besseren Stadtteile der afghanischen Hauptstadt. Das blaue Eingangstor ist mit Davidsternen verziert.
Hier ist Simentov sehr bekannt, meint ein Nachbar, wegen seiner Kippa und seinem Naturell: "In seiner Gasse kennt ihn jeder. Zebulon ist ein ziemlich auffälliges Männlein. Wir haben hier stets unseren Spaß mit ihm. Er ist etwas cholerisch, doch daran haben wir uns schon längst gewöhnt."
Simentov vermietet einige Zimmer der Synagoge für Kabuler, die eine kurzfristige Bleibe suchen oder an Gäste aus dem Ausland. Neulich war ein Reise-Blogger da.
Drew Binsky aus New York drehte gleich einen YouTube-Film über den letzten Juden in Afghanistan.

"Ich werde auch hier sterben"

Nach Kabul kam Zebulon Simentov in den 80er-Jahren, um hier als Antiquitätenhändler zu arbeiten. Damals gab es noch eine kleine jüdische Gemeinde. An der Macht war der umstrittene kommunistische Präsident Mohammad Najibullah, der als früherer Chef des brutalen afghanisch-kommunistischen Geheimdienstes KHAD an Entführungen, Folter und Morden zehntausender Afghanen mitwirkte.
Er wurde von den Sowjets installiert und war bei einem Teil der Bevölkerung verhasst. Später gab er sich als feinfühliger Patriot, der nur das Beste für sein Volk wolle und Frieden und Dialog anstrebe. Aufgrund dessen wird der Ex-Präsident von anderen Teilen der afghanischen Gesellschaft bis heute idealisiert und verehrt.
Zu seinen Bewundern zählt auch Zebulon Simentov: "Uns ging es sehr gut, das waren noch gute Zeiten. Najib war ein guter Führer. Von den Vorwürfen gegen ihn halte ich nichts. Die Verbrechen, von denen manche sprechen, gehen viel mehr auf die Kappe seiner Vorgänger, allen voran Präsident Babrak Karmal. Wäre Najib am Leben gewesen, hätte Hamid Karzai nicht genug Stimmen bekommen, um zum Präsidenten gewählt zu werden."
Nach dem Abzug der Roten Armee 1989 eroberten die Mudschaheddin Kabul. Ein fürchterlicher Bürgerkrieg begann, der weite Teile der Stadt zerstörte. 1996 begann die Taliban-Herrschaft. Ex-Präsident Najibullah wurde von den Taliban hingerichtet.

Zwei Juden in Kabul unter der Herrschaft der Taliban

In den 90er-Jahren lebten noch zwei Juden in der Kabuler Synagoge: Isaak Levy, der zuerst da war, und Zebulon Simentov. Beide hassten sich und zeigten sich gegenseitig bei den Taliban an. Als "Hexenmeister" oder "Bordell-Betreiber" bezeichneten sie den jeweils anderen. Als Folge landeten sie beide im Gefängnis und wurden dort verprügelt, stritten weiter und wurden von den Taliban wieder entlassen. Isaak Levy starb 2005.
Übrig blieb Zebulon, der hier bis zum Ende bleiben will: "Ich bin Afghane. Punkt. Ich bin hier geboren und werde auch hier sterben. Warum sollte ich nach Israel gehen oder in irgendein anderes Land auswandern?"
Zebulon Simentov (links) und ein Jugendfreund in den 80er-Jahren in Kabul. Sie umarmen sich auf einem Foto.
Erinnerungen auf einem Foto: Zebulon Simentov (links) und ein Jugendfreund in den 80er-Jahren in Kabul.© Emran Feroz
In seiner Lebensgeschichte spiegeln sich alle Umbrüche des modernen Afghanistans der vergangenen Jahrzehnte. Als letzter Vertreter seiner Religion ist er inzwischen selbst ein Teil der Geschichte. Er hofft auf Frieden im Land. Nur so könne es eine Rückkehr der jüdischen Afghanen geben.
"Falls Frieden in Afghanistan einkehrt – so Gott will – werden viele Juden zurückkehren und in ihrer einstigen Heimat investieren. Unser Land hat so viele Bodenschätze, es ist das Herz Asiens."
Mehr zum Thema