Der Hipster aus philosophischer Sicht

Jung und heiter - und trotzdem ein Spießer

Ein junger Mann mit Vollbart geht mir einem Kaffee in der Hand über eine Straße und Blick auf sein Handy.
Der Vollbart ist eine Art Markenzeichen des Hipsters. © imago / Westend61
Robert Zwarg im Gespräch mit Joachim Scholl · 14.06.2017
Hipster gibt es überall, doch keiner will so genannt werden. Er will etwas Besonderes sein und stellt dabei gerne sein kulturelles Geheimwissen heraus. Das Phänomen des Hipsters spiegele auch eine "Krise von Subjektivität", meint der Philosoph Robert Zwarg.
Ein Typus scheint sich etabliert zu haben: Der Hipster ist zum Gegenstand kulturhistorischer Studien geworden. Der Philosoph Robert Zwarg hat zusammen mit Kollegen verschiedenster Disziplinen einen Sammelband geschrieben: "Destruktive Charaktere. Der Hipster und andere Krisenphänomene".
Ist der Hipster Mainstream oder Ausweis und Krone der Individualität? Dem Phänomen begegne man meist mit einem spöttischem Unterton, stellt Robert Zwarg im Deutschlandfunk Kultur fest:
"Das ist nämlich eigentlich das Interessante an der Hipster-Figur. Dass jeder sie kennt. Dass alle der Meinung sind, dass man sie in den urbanen Zentren, in anderen westlichen Ländern und überall trifft. Aber dass niemand von sich sagen würde, dass er oder sie ein Hipster ist."

Der Hipster hat ein "übersteigertes Distinktionsgebaren"

Spott und Kritik am Hipster hätten eine Gemeinsamkeit, sagt Zwarg. Man unterstelle ihm meist ein "übersteigertes Distinktionsgebaren":
"Dass er anders als die meisten Leute etwas ganz Besonderes sein möchte. Und das trägt er nach außen, entweder durch bestimmte Accessoires, durch einen besonders auffälligen Vollbart, durch Tätowierungen, durch bestimmte modische Versatzstücke, die die anderen nicht haben. Durch ein kulturelles Geheimwissen, dass er meistens die besten Bands und die besten Partys kennt."
Genau dieser Aspekt sei für ihn und seinen Mitherausgeber Chris Wilpert aus philosophischer Hinsicht interessant gewesen, erzählt Zwarg. Die Kritik an dem "übersteigerten Individualismus" von Hipstern drücke zugleich eine "Krise von Subjektivität" aus:
"Dass sowohl der Hipster als auch die Leute, die ihn wahrnehmen, merken, dass es in der Welt, wie sie heute ist, immer schwerer ist, überhaupt noch etwas Besonderes zu sein. Und das alle Leute auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, da Schritt zu halten. Und am Hipster agiert man aus, dass das relativ schwer ist."

Walter Benjamin über den Vorläufer: "Destruktive Charaktere"

Am Anfang des kulturhistorischen Bandes steht ein Text von Walter Benjamin über "destruktive Charaktere". Er habe damals natürlich nicht den Typus des Hipsters im Blick gehabt, sagt Zwarg. Trotzdem eigne sich dieser Essay für Vergleiche zur Jetzt-Zeit: Nämlich für die Beschreibung kultureller und gesellschaftlicher Verwerfungen, aus denen der Typus des Hipsters überhaupt erst hervorgegangen sei:
"Der Hipster ist natürlich so etwas wie der destruktive Charakter par excellence. Dass sich fast alle darauf einigen können, dass er irgendetwas kaputt macht. Der Unterschied zum Text von Benjamin ist natürlich, dass Benjamin das – und damit stand er durchaus im sozialen Kontext der Zwischenkriegszeit – dass Benjamin das eigentlich positiv gemeint hat. Dass also die Idee von Zerstörung – um Platz für etwas Neues zu schaffen – noch positiv besetzt war."

Stets "jung und heiter"?

Der Text enthalte - in der Sprache Benjamins – viele der Eigenschaften, die man auch heute dem Hipster zuspreche:
"Es heißt beispielsweise: Der destruktive Charakter sei jung und heiter. Und dann denkt man an den Vorwurf der Ironie, dass man nichts ernst nimmt, der dem Hipster immer wieder begegnet. Also jemand, der sich für etwas Besseres hält als alle anderen."

Robert Zwarg/ Chris W. Wilpert (Hrsg.):
"Destruktive Charaktere. Hipster und andere Krisenphänomene"
Ventil Verlag, Mainz 2017
144 Seiten, 14 Euro

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