Der Held als ambivalente Figur

Rezensiert von Alexander Schuller · 27.12.2009
Der "Merkur" nimmt Helden in Büchern und Filmen genauer unter die Lupe. Die strahlenden Hauptfiguren sind ganz Leben und ganz Tod zugleich.
Man hätte erwarten können, dass der "Merkur" dem Pazifisten, dem Popsänger, dem Kriegsdienstverweigerer, dem Öko-Bauern, dem Entwicklungshelfer, dem Wahlhelfer, dem multifunktionalen Partei- und Gewerkschaftsfunktionär oder auch nur dem generalisierten Mitmenschen, dem da draußen im Lande, ein Heft gewidmet hätte. Stattdessen machte man einen klugen, vorsichtigen Versuch, sich dem Thema zu nähern. Das ging nicht immer reibungslos - die Hemmungen waren immer wieder zu spüren – aber es gelang.

Das Heft hat drei Abschnitte: Einen Theorie-Teil, einen Literatur-Teil und einen Kino-Teil. Es gibt in diesem Band keinen definierten Helden, keine definierte Vorgabe, aber ein gutes Suchen. Dennoch geht es um eine Grundfrage, eine grundlegend zu klärende Dichotomie: Ist der Held eine funktionale Figur, historisch und sozialstrukturell variabel, mal als Ikone, als Star, als Geheimnis dechiffrierbar und damit verfügbar? Oder ist der Held eine anthropologische Konstante mit leicht transzendenten Bezügen? Partizipiert der Held also an der Gestaltung des menschlichen Schicksals? Diese Frage stellt sich auch – anscheinend ungern, wenn man zwischen den Zeilen liest. Ute Frevert:

"Dass Heldentum ein knappes Gut war, das sich nur um den Preis seiner Entwertung vervielfältigen ließ, erfuhr auch die deutsche Linke. Mehr noch als völkische oder national-bürgerliche Sozialmilieus verallgemeinerte die sozialistische Arbeiterbewegung den Status des Helden. Heldisch war die Mutter, die sich für ihre Kinder aufopferte; heldisch war der Vater, der sich von der täglichen Mühsal nicht unterkriegen ließ, sondern die Aufrichtigkeit und die Humanität bewahrte. Eine solche Inflationierung und Veralltäglichung des Heldentums, machte zwar den sozialen Gleichheits-und Solidaritätsvorstellungen der Arbeiter entsprechen; die Aura des Heldischen aber ging dabei verloren."

"Genau genommen feierte man hier die Apotheose des bürgerlichen Leistungsdenkens, das sich allerdings mit dem heldischen Ideal noch nie gut vertragen hatte. Prämierte der Heroismus die Handlung an sich, die potentiell tödliche Selbstüberwindung im Dienst einer übergeordneten Wertidee, ging es dem Leistungsethos um das Ergebnis gesteigerter individueller Leistungsfähigkeiten."

Mit diesem Abgesang auf den mehrwertfördernden Helden konstatiert Frevert:

"Es ist eben dieser idealische Überschuss, der dieses Freiheitsversprechen, das den eigentlichen Reiz des Begriffs darstellt und seine Langlebigkeit erklärt – auch wenn sich das, was Heldenhaftigkeit jeweils konkret ausmacht, zeitlich, räumlich und sozial stark unterscheidet." (Frevert, S. 812)

Trotzdem bleibt die Figur des Helden immer auch doppelbödig, bedrohlich. Ganz Leben und ganz Tod, beides zugleich. Unheimlich vor allem ist die freundliche Nähe des Helden zum Tod, zum Opfergang - der Held als der dem Scheitern Geweihte, Täter und Opfertier, von Anfang an außer sich und Selbst-los. Das macht der Historiker Egon Flaig deutlich:

"Ohne Kampf und ohne Einsatz des Lebens kein Heldentum. Heldentum bedarf keiner Gemeinschaft; doch keine Gemeinschaft kommt ohne Heldentum aus. Gemeinschaften bewähren sich nur, wenn eine ausreichende Quote von opferbereiten Menschen für die Werte der Gemeinschaft eintritt und im Ernstfall das Äußerste gibt. Vorbehaltlose Hingabe ist ein kulturgeschichtliches Faktum ersten Ranges, wie Jacob Burckhardt uns klargemacht hat. Er hat die Quote der opferbereiten Menschen zum Maßstab erhoben, um die Größe einer Epoche zu messen. Nichts ist richtiger."

Der Held hat eine historische Funktion. Die aber kann er nur erfüllen, wenn er seine Existenz anthropologisch begreift. Nur indem er seinem eigenen Gesetz, seiner Ehre gehorcht und keinem Zweck, erfüllt er seinen Zweck. Gibt es die Helden heute noch, die "das heroische Phantasma", von dem das "Merkur"-Heft spricht, zu verwirklichen versuchen? Wenn ich die Beiträge richtig gelesen habe, dann gibt es viele solcher Helden. Es sind die muslimischen Selbstmordattentäter.


"Heldengedenken. Über das heroische Phantasma"
Sonderheft Merkur Heft 9/10, 63. Jahrgang, Sept./Okt. 2009
Sonderheft Merkur: "Heldengedenken. Über das heroische Phantasma"
Sonderheft Merkur: "Heldengedenken. Über das heroische Phantasma"© promo