Der General und die Demokratie
"Wir müssen aufhören, wie im Dschungel zu leben." Das sagt General Konaté, der sich 2008 an die Macht in Guinea geputscht hat. Das bitterarme Land in Westafrika hofft auf einen Neubeginn in der Demokratie.
Sékouba Konaté sieht nicht wirklich aus wie ein Mann, der die Demokratie nach Guinea bringen könnte - nach 52 Jahren Diktatur. Der General, der sich vor gut zweieinhalb Jahren an die Macht geputscht hatte, aber erst vor gut einem halben Jahr selbst das höchste Staatsamt übernommen hatte, sieht sich als Garant für die demokratische Entwicklung des Landes, Ein fülliger, kurzatmiger General mit etwas zu straff sitzender Uniform in Tarnoptik, mit roten Barett auf dem kahlgeschorenen Schädel und breitem Gurt um die Hüfte. Äußerst martialisch sieht Sékouba Konaté an diesem Abend aus. Es ist der Tag vor dem ersten Wahlgang in dem westafrikanischen Land. Der Mittvierziger hat die 24 Präsidentschaftskandidaten noch einmal in seinen Palast einbestellt - und liest ihnen die Leviten:
"Wir müssen aufhören, wie im Dschungel zu leben – in einem Staat ohne Seele, ohne Autorität und ohne Persönlichkeit. Jemand hat mal gesagt: Wenn der Staat zu stark ist, erdrückt er uns. Ist er aber zu schwach, gehen wir unter."
Der Grund für die Standpauke: Zwei Tage zuvor waren vier Menschen ums Leben gekommen, weil sich die Konvois zweier Wahlkämpfer im Hinterland der Hauptstadt Conakry begegnet waren - die Anhänger beider politischer Lager bewarfen sich mit Steinen, prügelten sich und schlugen Schieben ein, an Autos wie Geschäften. Der General ist sauer, dass die beiden Präsidentschaftsanwärter ihre Anhänger nicht zurückgehalten haben.
Von diesem Vorfall abgesehen verläuft die Kampagne friedlich - die Stimmung ist euphorisch, vor allem unter den jungen Leuten, egal ob auf dem Land oder in der Millionenstadt Conakry. Die Jugendlichen erwarten viel von dem neuen Mann an der Staatsspitze - deshalb säumen sie seit Stunden die Einfallstraße, stehen auf Brücken, tanzen auf Busdächern - nur um ihrem Kandidaten zuzujubeln:
"Unser Präsident wird gleich kommen. Wir stehen hier und warten. Schauen sie doch die ganzen Leute: Vom Hafen bis zur Stadtgrenze in 36 Kilometern Entfernung sieht das so aus."
Zweieinhalb Millionen Menschen leben in der Hauptstadt, das ist ein Viertel der Bevölkerung Guineas. Der Großteil von ihnen lebt in Blechhütten - oder genauer gesagt vor diesen. Denn das Leben in den vielen Elendsvierteln der Stadt spielt sich auf der Straße ab, es wird gekickt, geredet und gewaschen. In den Wellblechbaracken ist es nämlich dunkel, Strom und Wasser gibt es hier nicht, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Sämtliche Hoffungen der Menschen ruhen auf einer neuen, demokratisch legitimierten Regierung:
"Ich warte seit 6 Uhr heute morgen, um zu wählen. Ich will einfach nur Arbeit. Wir Frauen leiden doch am meisten."
Sechs Kinder hat die 42-Jährige, ihr Mann hat keinen Job, einmal am Tag gebe es etwas zu essen, erzählt sie. Guinea zählt zu den ärmsten Ländern Afrikas; und das, obwohl es in der fruchtbaren Küstenebene aussieht wie im Garten Eden: Mangos, Ananas, Bananen, Maniok und Reis wachsen hier, die Fischer kommen jeden Tag mit Booten voller Fische vom Meer zurück, Hühner und Ziegen laufen zwischen den mit Reisig bedeckten Lehm-Hütten umher - doch leisten kann sich die Nahrungsmittel kaum jemand:
"Wir wollen, dass unser Land sich endlich entwickelt. Wir sind zu hungrig, wir haben nicht zu essen, verdienen kein Geld. Wir sterben vor Hunger. Wir brauchen endlich einen Präsidenten, der unser Land voranbringen kann, die Jugend hat einfach genug gelitten."
Wir leben doch in der Hölle hier, klagt ein 18-Jähriger. Er sei gerade mal ein Jahr auf der Schule gewesen, erzählt er und schaut dabei deutlich älter als 18 und sehr traurig aus - mit leerem Magen kann man eben nicht lernen, schiebt er als Erklärung hinterher.
52 Jahre waren die Menschen in dem westafrikanischen Land quasi von der Außenwelt abgeschnitten, vergessen von der internationalen Staatengemeinschaft. Im Jahre 1958 entließ der französische Staatspräsident General de Gaulle Guinea nach einem Referendum in die Unabhängigkeit. Sekou Touré, der erste Präsident des neuen Staates, weigerte sich jedoch, wie die anderen ehemaligen Kolonien der Communauté francaise beizutreten - dem früheren französischen Pendant zum britischen Commonwealth. Frankreich zog daraufhin nicht nur seine Armee, sondern schlagartig auch seine Verwaltungsbeamten und seine Investitionen ab - ein wirtschaftlicher Aderlass, der seinesgleichen sucht in der Geschichte Westafrikas.
Sekou Touré, der Vater der Unabhängigkeit, führte daraufhin den Sozialismus in Guinea ein - das Land isoliert sich weiter, der Ex-Postgewerkschafter entwickelt sich mehr und mehr zu einem Diktator. 1984 stirbt Touré - nach einem Staatsstreich übernimmt Lansana Condé die Macht. Ein weiteres Vierteljahrhundert Alleinherrschaft folgen - den wirtschaftlichen Niedergang des bitterarmen Landes hält auch Condé nicht auf. Gleichzeitig leidet Guinea unter einem beispiellosen Ansturm von Flüchtlingen - hunderttausende Menschen suchen hier Schutz vor den Bürgerkriegen in ihren Heimatländern.
"Sie wissen", sagt der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen Said Djinid, "dass sie in einer Region unterwegs sind, in der viele ehemalige Bürgerkriegsländer liegen wie die Elfenbeinküste, Liberia und Sierra Leone. Und das Nachbarland Guinea-Bissau schafft es noch immer nicht, aus seiner Dauerkrise hinauszukommen. Guinea ist das einzige Land, das keinen bewaffneten Konflikt gekannt hat. Dafür hat das Land seit seiner Unabhängigkeit kaum Fortschritte gemacht. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass dieses Land stabilisiert wird mit seinen unglaublichen Ressourcen."
Bislang nämlich hat sich nur eine kleine Clique an den Bodenschätzen bereichert. Riesige Bauxitvorkommen für die Aluminiumproduktion lagern im Norden Guineas, zudem finden sich Diamanten, Eisenerz und Uran unter der Erde. Im krassen Gegensatz zu dem Ressourcenreichtum stehen die Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung: Die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten in ganz Afrika, in den meisten Landesteilen gibt es weder ständig Strom noch fließend Wasser, wie die Guinea-Expertin des französischen Außenministeriums, Ann-Laure Hare erklärt:
"Es gibt ein kleines Leitungsnetz, das funktioniert zwei Stunden am Tag. Die Leute drehen deshalb den Wasserhahn nie zu, stellen riesige Bottiche darunter, damit das Wasser, wenn es denn kommt, die Vorratsbehälter füllen kann. Das reicht wenigstens für den täglichen Bedarf."
Dabei herrscht an Wasser kein Mangel. Der wichtigste Strom West-Afrikas, der Niger, entspringt in den Bergen Guineas, die Quelle des Senegal und des Gambia-Flusses liegen ebenfalls in dem 10-Millionen-Einwohner-Land. Und hunderte kleiner Fluss- und Bachläufe ergießen sich an der palmengesäumten Küste ins Meer.
Condé Camera ist Student der Verwaltungswissenschaften an der Hochschule in der Kleinstadt Dubreka, gut eine Stunde Autofahrt von der Hauptstadt Conakry entfernt. Der 20-Jährige nennt es einen schlechten Scherz, dass es ausgerechnet in der fruchtbaren Tiefebene von Dubreka kein fließend Wasser gibt:
"Man sagt, Guinea sei der Wasserspeicher Westafrikas. Doch hier gibt es weder funktionierende Wasserleitungen noch eine intakte Stromversorgung. Der Strom kommt so gegen sechs oder sieben Uhr abends, um Mitternacht wird er wieder abgeschaltet. Ein anderes Mal gibt’s von Mitternacht bis sechs Uhr morgens Strom. Dann kann es aber genauso gut vorkommen, dass eine Woche lang überhaupt kein Strom mehr fließt."
"Die Lebensumstände in Guinea sind einfach mies", fasst der junge Mann die Situation zusammen. Wirklich, sagt er, damit auch ja keine Zweifel aufkommen.
Es ist ein Teufelskreis - ohne funktionierende Infrastruktur siedeln sich keine Unternehmen an, ohne Firmen keine Arbeitsplätze, ohne Chancen auf einen Job, keine Motivation, die Kinder auf eine Schule zu schicken. Drei von vier Guineern können weder lesen noch schreiben, sie schlagen sich irgendwie durchs Leben: Wir wursteln uns eben so durch, sagt dieser 13-Jährige. Der Junge hält eine Glasflasche in der Hand, sie ist mit einer gelblich schimmernden Flüssigkeit gefüllt: Benzin. Wenn an der Tankstelle der Sprit mal wieder Aus ist, schlägt die Stunde des 13-Jährigen. Dann holt er seine gesammelten Ein-Liter-Flaschen aus der Wellblechhütte und verkauft sie - Autofahrer und Generatorenbesitzer müssen für diesen 24-Stunden-Service allerdings tief in die Tasche greifen: Sprit aus der Flasche kostet doppelt so viel wie an der Zapfsäule.
Keine Frage, bei aller landschaftlichen Schönheit wird eines rasch deutlich bei einer kurzen Reise durch Guinea: Das Land liegt wirtschaftlich am Boden, die Jugendlichen haben keine Perspektiven, ihre Eltern sind beschäftigt mit dem täglichen Überlebenskampf. Vor dem neuen Präsidenten liegt deshalb eine Mammutaufgabe, meint denn auch der UN-Sonderbeauftragte Said Djinid.
"Die wirkliche Phase des Übergangs kommt erst noch", sagt der Mann von den Vereinten Nationen. "Der zukünftige Präsident wird alle Hände voll zu tun haben, er braucht die Unterstützung seiner Landsleute, aber auch Hilfe von außen, damit er echte Reformen anpacken kann: Wirtschaftlich, politisch und institutionell. Nur so kann das Land wieder aufgerichtet werden."
Genau so stellt sich Interimspräsident Sékouba Konaté die Arbeitsteilung vor: Um den wirtschaftlichen Fortschritt dagegen muss sich der direkt gewählte Nachfolger kümmern. Doch allein, dass überhaupt Wahlen stattfinden können, sei doch ein Erfolg, erklärt General Konaté und wendet sich an die 24 Kandidaten:
"Ich weiß, Sie hatten Angst, dass ich Ihre Erwartungen nicht erfülle. Die Macht und ihre Anziehungskraft hätten mich trunken gemacht, dachten Sie. Doch Sie haben feststellen müssen, dass Sie Vertrauen haben können in unsere guten Absichten und in unsere Fähigkeit, offen miteinander umzugehen. Gemeinsam werden wir den Lauf der Geschichte und das Schicksal Guineas wenden."
Voraussichtlich Anfang August wird es nun zu einer Stichwahl kommen - die beiden bestplatzierten Kandidaten treten dann noch einmal an. Es ist ein Duell wie aus dem Drehbuch: Ein alerter, jugendlich aussehender Ex-Ministerpräsident gegen die Ikone der Oppositionsbewegung, den 72-jährigen Alpha Condé. Alt gegen jung, Freiheitskämpfer gegen Mitläufer.
"Wir sind glücklich, dass der General der Versuchung widerstehen konnte und die Armee Guineas mit ihrer großen Vergangenheit versöhnt hat", sagt Alpha Condé. "Es zeigt sich: Wenn ein Militär ein Versprechen abgibt, dann hält er es auch. Sie werden sehen: Das Volk wird sich erkenntlich zeigen."
Mandela Westafrikas nennen sie den emeritierten Hochschulprofessor hier: Alpha Condé hat lange im französischen Exil gelebt, saß dann nach seiner Rückkehr in den 90er Jahren zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Seither ist Condé ein Held. Er ist der einzige Kandidat, der Thema eines Reggae-Songs ist. "Liberez Alpha Conté" (Lasst Alpha Condé frei) heißt der Titel, den der Taxifahrer vorspielt auf die Frage, welchen Kandidaten er denn bei den Wahlen unterstütze.
Cellou Diallo ist der genaue Gegenentwurf zu Alpha Condé: Randlose Brille in modischer Rechtecksform, perfekt sitzender Anzug, smartes Siegerlächeln. Diallo strahlt ohne Zweifel Erfolg aus. In seiner eigenen Volksgruppe, den Peul, kommt der ehemalige Zentralbankchef und Ministerpräsident hervorragend an - dafür misstrauen die anderen Stämme ihm, so wie sie den Peul insgesamt misstrauen. Die Peul leben im trockenen Hochland Guineas, sie sind erfolgreiche Händler und Geschäftsleute - den anderen Völkern in Guinea gelten sie als Halsabschneider. Die Diallo-Unterstützer rennen gegen dieses Vorurteil an und wehren sich nach Kräften:
"Das ist keine ethnische Wahl und auch keine religiöse - wir unterstützen ihn, weil er ein solides Pogramm hat und nicht, weil er zu dieser oder jener Volksgruppe."
Es ist die große offene Frage dieser Wahl: Werden die jeweiligen Wahlverlierer das Ergebnis anerkennen, auch wenn der zukünftige Präsident weder zum eigenen politischen Lager noch zur eigenen Volksgruppe gehört? Das ist auch die Angst des Präfekten von Kissidougo, einer Stadt im Süden Guineas, dort, wo die Tropen beginnen mit ihrer üppigen Vegetation, wo die Grüntöne in ihrem Nuancenreichtum einem die Augen fast übergehen lassen. Commandant Elarge Camara ist ein alter Kämpfer, sitzt in einer Uniform mit Springerstiefeln vor den Würdenträgern der Stadt. Und was macht der Kommandeur? Er gibt Nachhilfe in Demokratie:
"Die unterschiedlichen Kandidaten, die jetzt zur Wahl stehen, sind alles Guineer. Sie stehen als ein Synonym für eine Familie, die wächst. In dieser Familie kann man acht oder zehn Söhne treffen, es sind anständige Jungs, die jeden Morgen auf dem gemeinsamen Feld der Familie ihrer Arbeit nachgehen."
Guinea bewegt sich in die richtige Richtung - davon sind die Menschen im Land überzeugt. Sie wollen die Vergangenheit abschütteln. Noch allerdings steckt die Demokratie in den Kinderschuhen, nach mehr als einem halben Jahrhundert Ein-Parteinherrschaft misstrauen die Guineer ihren neu geschaffenen demokratischen Institutionen wie dem Obersten Gerichtshof oder der Nationale Wahlbehörde, wittern Wahlbetrug und Einflussnahme. Und ob sich das Militär wirklich einem demokratisch gewählten Präsidenten beugen wird, ist die große offene Frage. Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Außenpolitiker im Europäischen Parlament und oberster EU-Wahlbeobachter in Guinea, glaubt jedenfalls, dass der Interimspräsident General Sékouba Konaté es ernst meint mit der Demokratisierung des Landes:
"Er hat sehr klar gemacht, dass die Streitkräfte nicht bereit sind, ein Kippen des Prozesses zu tolerieren. Das ist in diesem Land ein wichtiges Signal. Die Übergangsregierung und die Streitkräfte ziehen an einem Strang. Ja, man kann denen - bisher jedenfalls - trauen."
Das Militär ist müde, sagt Said Djinid, der UN-Repräsentant für Westafrika. Es steckt voller junger Männer, die aus Mangel an Alternativen bei der Armee gelandet sind, nicht aus Überzeugung. Weiter gegen die eigenen Landsleute kämpfen wollen die Soldaten nicht mehr. Vielleicht ist das der entscheidende Grund, warum der Übergang zur Demokratie in Guinea tatsächlich klappen könnte.
"Wir müssen aufhören, wie im Dschungel zu leben – in einem Staat ohne Seele, ohne Autorität und ohne Persönlichkeit. Jemand hat mal gesagt: Wenn der Staat zu stark ist, erdrückt er uns. Ist er aber zu schwach, gehen wir unter."
Der Grund für die Standpauke: Zwei Tage zuvor waren vier Menschen ums Leben gekommen, weil sich die Konvois zweier Wahlkämpfer im Hinterland der Hauptstadt Conakry begegnet waren - die Anhänger beider politischer Lager bewarfen sich mit Steinen, prügelten sich und schlugen Schieben ein, an Autos wie Geschäften. Der General ist sauer, dass die beiden Präsidentschaftsanwärter ihre Anhänger nicht zurückgehalten haben.
Von diesem Vorfall abgesehen verläuft die Kampagne friedlich - die Stimmung ist euphorisch, vor allem unter den jungen Leuten, egal ob auf dem Land oder in der Millionenstadt Conakry. Die Jugendlichen erwarten viel von dem neuen Mann an der Staatsspitze - deshalb säumen sie seit Stunden die Einfallstraße, stehen auf Brücken, tanzen auf Busdächern - nur um ihrem Kandidaten zuzujubeln:
"Unser Präsident wird gleich kommen. Wir stehen hier und warten. Schauen sie doch die ganzen Leute: Vom Hafen bis zur Stadtgrenze in 36 Kilometern Entfernung sieht das so aus."
Zweieinhalb Millionen Menschen leben in der Hauptstadt, das ist ein Viertel der Bevölkerung Guineas. Der Großteil von ihnen lebt in Blechhütten - oder genauer gesagt vor diesen. Denn das Leben in den vielen Elendsvierteln der Stadt spielt sich auf der Straße ab, es wird gekickt, geredet und gewaschen. In den Wellblechbaracken ist es nämlich dunkel, Strom und Wasser gibt es hier nicht, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Sämtliche Hoffungen der Menschen ruhen auf einer neuen, demokratisch legitimierten Regierung:
"Ich warte seit 6 Uhr heute morgen, um zu wählen. Ich will einfach nur Arbeit. Wir Frauen leiden doch am meisten."
Sechs Kinder hat die 42-Jährige, ihr Mann hat keinen Job, einmal am Tag gebe es etwas zu essen, erzählt sie. Guinea zählt zu den ärmsten Ländern Afrikas; und das, obwohl es in der fruchtbaren Küstenebene aussieht wie im Garten Eden: Mangos, Ananas, Bananen, Maniok und Reis wachsen hier, die Fischer kommen jeden Tag mit Booten voller Fische vom Meer zurück, Hühner und Ziegen laufen zwischen den mit Reisig bedeckten Lehm-Hütten umher - doch leisten kann sich die Nahrungsmittel kaum jemand:
"Wir wollen, dass unser Land sich endlich entwickelt. Wir sind zu hungrig, wir haben nicht zu essen, verdienen kein Geld. Wir sterben vor Hunger. Wir brauchen endlich einen Präsidenten, der unser Land voranbringen kann, die Jugend hat einfach genug gelitten."
Wir leben doch in der Hölle hier, klagt ein 18-Jähriger. Er sei gerade mal ein Jahr auf der Schule gewesen, erzählt er und schaut dabei deutlich älter als 18 und sehr traurig aus - mit leerem Magen kann man eben nicht lernen, schiebt er als Erklärung hinterher.
52 Jahre waren die Menschen in dem westafrikanischen Land quasi von der Außenwelt abgeschnitten, vergessen von der internationalen Staatengemeinschaft. Im Jahre 1958 entließ der französische Staatspräsident General de Gaulle Guinea nach einem Referendum in die Unabhängigkeit. Sekou Touré, der erste Präsident des neuen Staates, weigerte sich jedoch, wie die anderen ehemaligen Kolonien der Communauté francaise beizutreten - dem früheren französischen Pendant zum britischen Commonwealth. Frankreich zog daraufhin nicht nur seine Armee, sondern schlagartig auch seine Verwaltungsbeamten und seine Investitionen ab - ein wirtschaftlicher Aderlass, der seinesgleichen sucht in der Geschichte Westafrikas.
Sekou Touré, der Vater der Unabhängigkeit, führte daraufhin den Sozialismus in Guinea ein - das Land isoliert sich weiter, der Ex-Postgewerkschafter entwickelt sich mehr und mehr zu einem Diktator. 1984 stirbt Touré - nach einem Staatsstreich übernimmt Lansana Condé die Macht. Ein weiteres Vierteljahrhundert Alleinherrschaft folgen - den wirtschaftlichen Niedergang des bitterarmen Landes hält auch Condé nicht auf. Gleichzeitig leidet Guinea unter einem beispiellosen Ansturm von Flüchtlingen - hunderttausende Menschen suchen hier Schutz vor den Bürgerkriegen in ihren Heimatländern.
"Sie wissen", sagt der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen Said Djinid, "dass sie in einer Region unterwegs sind, in der viele ehemalige Bürgerkriegsländer liegen wie die Elfenbeinküste, Liberia und Sierra Leone. Und das Nachbarland Guinea-Bissau schafft es noch immer nicht, aus seiner Dauerkrise hinauszukommen. Guinea ist das einzige Land, das keinen bewaffneten Konflikt gekannt hat. Dafür hat das Land seit seiner Unabhängigkeit kaum Fortschritte gemacht. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass dieses Land stabilisiert wird mit seinen unglaublichen Ressourcen."
Bislang nämlich hat sich nur eine kleine Clique an den Bodenschätzen bereichert. Riesige Bauxitvorkommen für die Aluminiumproduktion lagern im Norden Guineas, zudem finden sich Diamanten, Eisenerz und Uran unter der Erde. Im krassen Gegensatz zu dem Ressourcenreichtum stehen die Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung: Die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten in ganz Afrika, in den meisten Landesteilen gibt es weder ständig Strom noch fließend Wasser, wie die Guinea-Expertin des französischen Außenministeriums, Ann-Laure Hare erklärt:
"Es gibt ein kleines Leitungsnetz, das funktioniert zwei Stunden am Tag. Die Leute drehen deshalb den Wasserhahn nie zu, stellen riesige Bottiche darunter, damit das Wasser, wenn es denn kommt, die Vorratsbehälter füllen kann. Das reicht wenigstens für den täglichen Bedarf."
Dabei herrscht an Wasser kein Mangel. Der wichtigste Strom West-Afrikas, der Niger, entspringt in den Bergen Guineas, die Quelle des Senegal und des Gambia-Flusses liegen ebenfalls in dem 10-Millionen-Einwohner-Land. Und hunderte kleiner Fluss- und Bachläufe ergießen sich an der palmengesäumten Küste ins Meer.
Condé Camera ist Student der Verwaltungswissenschaften an der Hochschule in der Kleinstadt Dubreka, gut eine Stunde Autofahrt von der Hauptstadt Conakry entfernt. Der 20-Jährige nennt es einen schlechten Scherz, dass es ausgerechnet in der fruchtbaren Tiefebene von Dubreka kein fließend Wasser gibt:
"Man sagt, Guinea sei der Wasserspeicher Westafrikas. Doch hier gibt es weder funktionierende Wasserleitungen noch eine intakte Stromversorgung. Der Strom kommt so gegen sechs oder sieben Uhr abends, um Mitternacht wird er wieder abgeschaltet. Ein anderes Mal gibt’s von Mitternacht bis sechs Uhr morgens Strom. Dann kann es aber genauso gut vorkommen, dass eine Woche lang überhaupt kein Strom mehr fließt."
"Die Lebensumstände in Guinea sind einfach mies", fasst der junge Mann die Situation zusammen. Wirklich, sagt er, damit auch ja keine Zweifel aufkommen.
Es ist ein Teufelskreis - ohne funktionierende Infrastruktur siedeln sich keine Unternehmen an, ohne Firmen keine Arbeitsplätze, ohne Chancen auf einen Job, keine Motivation, die Kinder auf eine Schule zu schicken. Drei von vier Guineern können weder lesen noch schreiben, sie schlagen sich irgendwie durchs Leben: Wir wursteln uns eben so durch, sagt dieser 13-Jährige. Der Junge hält eine Glasflasche in der Hand, sie ist mit einer gelblich schimmernden Flüssigkeit gefüllt: Benzin. Wenn an der Tankstelle der Sprit mal wieder Aus ist, schlägt die Stunde des 13-Jährigen. Dann holt er seine gesammelten Ein-Liter-Flaschen aus der Wellblechhütte und verkauft sie - Autofahrer und Generatorenbesitzer müssen für diesen 24-Stunden-Service allerdings tief in die Tasche greifen: Sprit aus der Flasche kostet doppelt so viel wie an der Zapfsäule.
Keine Frage, bei aller landschaftlichen Schönheit wird eines rasch deutlich bei einer kurzen Reise durch Guinea: Das Land liegt wirtschaftlich am Boden, die Jugendlichen haben keine Perspektiven, ihre Eltern sind beschäftigt mit dem täglichen Überlebenskampf. Vor dem neuen Präsidenten liegt deshalb eine Mammutaufgabe, meint denn auch der UN-Sonderbeauftragte Said Djinid.
"Die wirkliche Phase des Übergangs kommt erst noch", sagt der Mann von den Vereinten Nationen. "Der zukünftige Präsident wird alle Hände voll zu tun haben, er braucht die Unterstützung seiner Landsleute, aber auch Hilfe von außen, damit er echte Reformen anpacken kann: Wirtschaftlich, politisch und institutionell. Nur so kann das Land wieder aufgerichtet werden."
Genau so stellt sich Interimspräsident Sékouba Konaté die Arbeitsteilung vor: Um den wirtschaftlichen Fortschritt dagegen muss sich der direkt gewählte Nachfolger kümmern. Doch allein, dass überhaupt Wahlen stattfinden können, sei doch ein Erfolg, erklärt General Konaté und wendet sich an die 24 Kandidaten:
"Ich weiß, Sie hatten Angst, dass ich Ihre Erwartungen nicht erfülle. Die Macht und ihre Anziehungskraft hätten mich trunken gemacht, dachten Sie. Doch Sie haben feststellen müssen, dass Sie Vertrauen haben können in unsere guten Absichten und in unsere Fähigkeit, offen miteinander umzugehen. Gemeinsam werden wir den Lauf der Geschichte und das Schicksal Guineas wenden."
Voraussichtlich Anfang August wird es nun zu einer Stichwahl kommen - die beiden bestplatzierten Kandidaten treten dann noch einmal an. Es ist ein Duell wie aus dem Drehbuch: Ein alerter, jugendlich aussehender Ex-Ministerpräsident gegen die Ikone der Oppositionsbewegung, den 72-jährigen Alpha Condé. Alt gegen jung, Freiheitskämpfer gegen Mitläufer.
"Wir sind glücklich, dass der General der Versuchung widerstehen konnte und die Armee Guineas mit ihrer großen Vergangenheit versöhnt hat", sagt Alpha Condé. "Es zeigt sich: Wenn ein Militär ein Versprechen abgibt, dann hält er es auch. Sie werden sehen: Das Volk wird sich erkenntlich zeigen."
Mandela Westafrikas nennen sie den emeritierten Hochschulprofessor hier: Alpha Condé hat lange im französischen Exil gelebt, saß dann nach seiner Rückkehr in den 90er Jahren zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Seither ist Condé ein Held. Er ist der einzige Kandidat, der Thema eines Reggae-Songs ist. "Liberez Alpha Conté" (Lasst Alpha Condé frei) heißt der Titel, den der Taxifahrer vorspielt auf die Frage, welchen Kandidaten er denn bei den Wahlen unterstütze.
Cellou Diallo ist der genaue Gegenentwurf zu Alpha Condé: Randlose Brille in modischer Rechtecksform, perfekt sitzender Anzug, smartes Siegerlächeln. Diallo strahlt ohne Zweifel Erfolg aus. In seiner eigenen Volksgruppe, den Peul, kommt der ehemalige Zentralbankchef und Ministerpräsident hervorragend an - dafür misstrauen die anderen Stämme ihm, so wie sie den Peul insgesamt misstrauen. Die Peul leben im trockenen Hochland Guineas, sie sind erfolgreiche Händler und Geschäftsleute - den anderen Völkern in Guinea gelten sie als Halsabschneider. Die Diallo-Unterstützer rennen gegen dieses Vorurteil an und wehren sich nach Kräften:
"Das ist keine ethnische Wahl und auch keine religiöse - wir unterstützen ihn, weil er ein solides Pogramm hat und nicht, weil er zu dieser oder jener Volksgruppe."
Es ist die große offene Frage dieser Wahl: Werden die jeweiligen Wahlverlierer das Ergebnis anerkennen, auch wenn der zukünftige Präsident weder zum eigenen politischen Lager noch zur eigenen Volksgruppe gehört? Das ist auch die Angst des Präfekten von Kissidougo, einer Stadt im Süden Guineas, dort, wo die Tropen beginnen mit ihrer üppigen Vegetation, wo die Grüntöne in ihrem Nuancenreichtum einem die Augen fast übergehen lassen. Commandant Elarge Camara ist ein alter Kämpfer, sitzt in einer Uniform mit Springerstiefeln vor den Würdenträgern der Stadt. Und was macht der Kommandeur? Er gibt Nachhilfe in Demokratie:
"Die unterschiedlichen Kandidaten, die jetzt zur Wahl stehen, sind alles Guineer. Sie stehen als ein Synonym für eine Familie, die wächst. In dieser Familie kann man acht oder zehn Söhne treffen, es sind anständige Jungs, die jeden Morgen auf dem gemeinsamen Feld der Familie ihrer Arbeit nachgehen."
Guinea bewegt sich in die richtige Richtung - davon sind die Menschen im Land überzeugt. Sie wollen die Vergangenheit abschütteln. Noch allerdings steckt die Demokratie in den Kinderschuhen, nach mehr als einem halben Jahrhundert Ein-Parteinherrschaft misstrauen die Guineer ihren neu geschaffenen demokratischen Institutionen wie dem Obersten Gerichtshof oder der Nationale Wahlbehörde, wittern Wahlbetrug und Einflussnahme. Und ob sich das Militär wirklich einem demokratisch gewählten Präsidenten beugen wird, ist die große offene Frage. Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Außenpolitiker im Europäischen Parlament und oberster EU-Wahlbeobachter in Guinea, glaubt jedenfalls, dass der Interimspräsident General Sékouba Konaté es ernst meint mit der Demokratisierung des Landes:
"Er hat sehr klar gemacht, dass die Streitkräfte nicht bereit sind, ein Kippen des Prozesses zu tolerieren. Das ist in diesem Land ein wichtiges Signal. Die Übergangsregierung und die Streitkräfte ziehen an einem Strang. Ja, man kann denen - bisher jedenfalls - trauen."
Das Militär ist müde, sagt Said Djinid, der UN-Repräsentant für Westafrika. Es steckt voller junger Männer, die aus Mangel an Alternativen bei der Armee gelandet sind, nicht aus Überzeugung. Weiter gegen die eigenen Landsleute kämpfen wollen die Soldaten nicht mehr. Vielleicht ist das der entscheidende Grund, warum der Übergang zur Demokratie in Guinea tatsächlich klappen könnte.