Paul Bowles: "Der Garten"

Attackiertes Refugium, verlorenes Leben

05:38 Minuten
Auf dem Buchcover ist die Grafik eines Mannes von hinten zu sehen, der auf einem Baumstamm ausrastet, neben ihm ist eine Hacke an den Stamm gelehnt. Drei große Farbflecke sind auf dem Cover verteilt, auf einem sind Autorenname und Buchtitel zu sehen.
© Bilgerverlag

Paul Bowles

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Florian Vetsch

Der GartenBilgerverlag , Zürich 2022

184 Seiten

50,00 Euro

Von Marko Martin · 16.03.2022
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Zum ersten Mal liegt nun Paul Bowles' Theaterstück "Der Garten" auf Englisch und Deutsch vor - mit Interviews und Bildern. Es spielt in einem marokkanischen Dorf, wo die Liebe eines Mannes zu seinem Garten das Misstrauen seiner Frau und des Imams weckt.
Ein Garten als (gefährdetes) Refugium – das ist vom biblischen Garten Eden über die Gartenkunst der arabischstämmigen Mauren bis hin zu den Texten von Vita Sackville-West oder den Gedichten von Marie Luise Kaschnitz und Peter Huchel ein Topos, der quasi Ost und West gemeinsam ist.
„Es ist kein Garten so fernab gelegen,
Daß nächstens nicht der wilde Schrei der Welt
Gleich einem Feuerregen
Vernichtend auch auf seine Saaten fällt“
So hieß es mit geradezu beunruhigender Aktualität bei der Kaschnitz, und in Huchels „Der Garten des Theophrast“ lesen wir die berühmte beschwörende Zeile:
„Gedenke derer,
die einst Gespräche wie Bäume gepflanzt.“
Es hat, gerade in diesen Zeiten, beinahe etwas widerständig Tröstliches, das nun ein im Wortsinn weiteres Garten-Stück von literarischem Rang zugänglich geworden ist. Zu verdanken ist dies dem Schweizer Autor Florian Vetsch, seit Langem wohl der Kenner der einst so inspirierenden Hafenmetropole Tanger.
Bei einem seiner zahlreichen Besuche in der heute marokkanischen und lange Zeit international geprägten Stadt hatte er ihren wohl berühmtesten Bewohner kennengelernt, den amerikanischen Schriftsteller und Komponisten Paul Bowles (1910-1999). Bowles, der zusammen mit seiner 1973 verstorbenen Frau Jane seit 1947 in der Stadt lebte, hatte dort nämlich auch ein Theaterstück geschrieben, das indessen nie veröffentlicht worden war: „The Garden“.

Frau wittert verborgenen Schatz

Nun ist es im amerikanischen Original nebst deutscher Übersetzung zu entdecken in seiner kargen, suggestiven Sprache. Der Inhalt ist dabei schnell erzählt: Ein Mann liebt seinen Garten derart, dass ihm die Frau eifersüchtig wird, in der kultivierten Erde gar einen verborgen Schatz wittert und ihren Gatten mithilfe eines speziellen Tranks gesprächig machen will.
Das scheitert jedoch ebenso wie ein Besuch des im Dorf ansässigen Imams, der dem Mann erfolglos ein schlechtes Gewissen einreden will ob seiner Zurückgezogenheit und des Unwillens, die Moschee zu besuchen.
Unfähig, die kontemplative Freude des (namenlos bleibenden) Mannes an seinem Garten mitzuempfinden, dekretiert der Würdenträger: „Schön oder nicht schön: Was du wirklich tun solltest, ist Allah danken, dass er dich in diesem Garten leben lässt.“ Worauf der Mann, ganz gewiss kein provokationsfreudiger Aufrührer, ganz ehrlich überrascht ist und antwortet: „Diesen Garten habe ich mit meinen eigenen Händen gepflanzt. Alles darin habe ich selbst gepflanzt. Ich schulde niemanden Dank.“
Nur wenig später wird er von einem aufgebrachten Mob erschlagen, und aus dem Off sagt eine Stimme: „Nachdem sie ihn umgebracht hatten, ließen sie ihn mit dem Kopf in einem der Wassergräben liegen. - Nach und nach verdorrten die Bäume, und nach kurzer Zeit war der Garten verschwunden.“

Genaue Kenntnis marokkanischen Dorflebens

Als Paul Bowles im Jahre 1966 eine seiner Short Storys in dieses eindringliche Stück verwandelte, dessen knappe Regieanweisungen von einer genauen Kenntnis marokkanischen Dorflebens zeugen, ohne je in Exotismus abzudriften, war dort vom rigiden Wahabitismus saudischer Prägung noch nichts zu spüren.
Bowles, der den temporären Tanger-Hype von Autoren wie Truman Capote, Tennessee Williams oder William Burroughs eher mied, war vor allem von einheimischen Schriftstellerfreunden wie Mohamed Choukri oder Mohammed Mrabet beeinflusst. Von ihnen hatte er auch die Kunst kurzer, die Handlung vorantreibender Sätze gelernt.
Ganz bestimmt wollte er kein oberflächen-didaktisches Stück gegen den Fundamentalismus schreiben. Und widerspricht danach im Jahre 1995 dennoch nicht der nahe liegenden Deutung durch den jungen Schweizer Besucher und wendet sich gegen eine Ideologie, in der das Individuum nichts zählt: „Jeder Einzelne ist dort Teil eines großen Zusammenhangs, ähnlich wie die Ameisen und Bienen.“

Uraufführung 1967 in Tanger    

 „The Garden“ war 1967 sogar in Tanger aufgeführt worden, in der Regie von Joseph McPhillips, des Rektors der amerikanischen Schule. Dieser starb 2007 ebenso hochbetagt und gleichfalls in Tanger. Und so ist dieses Buch, das in bezirzendem Layout zahlreiche Interviews und Briefauszüge, Bilder der damaligen Theaterkostüme und historisch gewordene Fotografien versammelt, selbst ein Kunstwerk geworden, das die Idee des Gartens quasi weitet zu einer ein klein wenig nostalgischen und doch überaus realistischen Erinnerung an eben jenes Tanger, mit dem die heutige Stadt gleichen Namens kaum noch etwas gemein hat.
Der „echte Denkkristall“, wie Florian Vetsch Bowles´ „Garten“ nennt, aber leuchtet und vibriert noch immer.  
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