Der fremde Blick auf die Stadt
Dorothea Dieckmann findet ihr Amt als Stadtschreiberin von Dresden "ungeheuer anregend". Sie befinde sich hier im "östlichen Ausland" und es sei fantastisch, sich "beeindrucken zu lassen von dem Unbekannten". Allerdings sei Kritik an der Stadt bei den Dresdnern selbst nicht sehr beliebt.
Holger Hettinger: Na, dann frag ich sie doch einfach mal selber. Schönen guten Tag, Frau Dieckmann!
Dorothea Dieckmann: Guten Tag, hallo!
Hettinger: Frau Dieckmann, jetzt wo Ihre Nachbarin es sagt, da fällt's mir auch wieder ein: So ziemlich jedes Mal, wenn ich in Dresden war, da gab's ein spektakuläres Feuerwerk. Klären Sie mich auf: Was steckt Ihrer Meinung nach hinter der Lust der Dresdner am pyrotechnischen Spektakel?
Dieckmann: Ich würde sagen, man kann gar nicht umhin, wenn man die Geschichte Dresdens kennt, die einem hier ja auf Schritt und Tritt begegnet und die hier auf Schritt und Tritt auch erwähnt und erinnert wird, nämlich die Geschichte des 13. Februar 45, der großen Bombardierung, dann kann man nicht umhin, das beides zu verbinden. Also die ...
Hettinger: Gewagt, gewagt.
Dieckmann: ... die Feuergarben, die dort über der Stadt herniedergingen, das waren tödliche, und wenn ich jetzt sehe, wie über der Elbe es immer wieder blitzt und donnert, dann würde ich sagen, die Assoziation zu diesem sehr präsenten Datum lässt sich überhaupt nicht abweisen.
Hettinger: Find ich 'ne durchaus steile These. Ist es so, dass die Dresdner das quasi ins Gute gewendet sehen und dann den Himmel mal zur Unterhaltung erleuchtet wissen und eben nicht für Tod und Schrecken?
Dieckmann: Nun, beweisen lässt sich da natürlich gar nichts, das sind Assoziationen, aber die haben, glaube ich, schon, ihre Grundlage. Ich denke da auch, ich sag mal, historisch-psychoanalytisch - die Erinnerungen kehren wieder und sie kehren natürlich verkehrt wieder, und hier wird's nun also ins Vergnügen gedreht. Und hinzu muss ich sagen, ich bin sehr bestätigt worden durch das große Dresdner Stadtfest, dass hier vor, ich glaube, zwei Wochen stattfand, genau, wo man noch ein besonderes Spektakel sich ausgesucht hat: Da gab es nämlich die Fackelschwimmer, also Menschen, die mit einer Fackel in der Hand durch die Elbe schwammen. Und ich kann nur sagen, das hat mich bestätigt, denn da musste ich nun an die Opfer denken, die bei dem großen Brand in die Elbe rannten und versuchten, sich so zu retten. Es drängt sich auf.
Hettinger: Was sagen denn die Dresdner zu Ihrer Annahme, dass mit dieser Lust am Feuerwerksspektakel diese Bombennächste sublimiert werden?
Dieckmann: Ja, die Reaktionen sind sehr geteilt. Es gibt Menschen, die ich hier kennenlernte, die allerdings nicht aus Dresden stammen, zum Beispiel einen Leipziger, ein sehr kluger Mann, der sagte: Ja, das liegt auf der Hand, das ist vollkommen klar, es gibt da überhaupt nichts zu diskutieren, hier wird Geschichte sozusagen durch die Brust ins Auge wiederholt, unbewusst. Und andere, eigentlich eher die Einheimischen hier, die argumentieren nicht groß, sie sagen, das ist völliger Quatsch, wir feiern hier und es wird auch an anderen Städten Feuerwerk gemacht, das muss nichts miteinander zu tun haben. So steht's also patt.
Hettinger: Ich hab mir einen Artikel durchgelesen, den die "Sächsische Zeitung" zu Ihrem Amtsantritt veröffentlicht hat, und darin findet man sehr viele schöne Lokalzeitungssätze wie zum Beispiel den: "Die Wohnung in Dresden-Pieschen, die von der Sparkassenstiftung mietfrei zur Verfügung gestellt wird, erleichtert die Kontaktaufnahme mit Eingeborenen." Tut Sie das?
Dieckmann: In diesem Fall trifft es zu 100 Prozent, denn ich habe gleich am Anfang auf meiner ersten Lesung eine Reihe Pieschener Einwohner kennengelernt, die sich wirklich freuten, dass ich in diesem Stadtteil lebe, der eigentlich ein bisschen als verrufen gilt. Früher war hier eher Rotlicht, es galt als Arbeiterviertel, das eher unsicher ist. Und das ändert sich aber sehr stark, es ist im Kommen. Es ist wirklich ein sehr lebendiger Stadtteil, hat das berühmte Ballhaus Watzke, einen großen Biergarten direkt an der Elbe. Also ich muss schon sagen, es ist kein schlechter Ort, er ist nur ein bisschen lärmig, und das passt eigentlich zur Schreiberei nicht so gut.
Hettinger: Biergarten, Stichwort auch eben, Kollege Gerd Brendel hat das ja in seinem Beitrag kurz geschildert, da kam auch das Wort Biergarten vor. Sie haben jetzt die wunderbare Gelegenheit, dem von uns erweckten Eindruck entgegenzuwirken, nur im Biergarten herumzuhängen.
Dieckmann: Ja, ich erwähnte ja schon die Wohnung, die ja auch in der Nähe der Biergärten steht, und so pendele ich zwischen beidem. Ja, ich finde aber, das Vergnügen, das diese Stadt ja ohnehin prägt, gehört dazu, und ich hab einfach immer offene Augen und offene Ohren, und auch wenn ich Bier trinke, da mag das sich so ein bisschen verwischen, aber auch das gehört ja zu den Dresdner Eindrücken.
Hettinger: Sie leben und arbeiten normalerweise in Hamburg. Dresden hat wahrscheinlich jetzt nicht die Geschäftigkeit Ihrer Wahlheimat, dafür aber sehr viel Kunstsinn, wenn man die Pracht der Stadtsilhouette betrachtet oder wenn man sieht, welche kulturellen Institutionen es gibt: die Frauenkirche, das grüne Gewölbe, die Semperoper. Andererseits erfährt man dann aus Dresden wieder solch schauerliche Geschichten wie die von der Waldschlösschenbrücke. Wie nehmen Sie dieses Spannungsfeld wahr?
Dieckmann: Ich finde, dass hier in Dresden die Widersprüche politischer Art und kultureller Art, stadtgeschichtlicher Art, historischer Art, dass die hier extrem stark an der Oberfläche sichtbar sind, so stark, dass man sich ihnen gar nicht entziehen kann und dass ich mich auch doch lieber ein bisschen von diesen Gegensätzen wieder entferne, um mehr wahrzunehmen. Um das ein bisschen deutlicher zu machen: Wenn man von Hamburg aus die Elbe besucht hier in Dresden, dann ist man natürlich begeistert von diesen Auen, diesen historisch immer bewahrten Elbauen, die sich mitten durch diese Stadt ziehen. Es ist wirklich einzigartig und es ist wunderschön, dass man hier auf Treidelpfaden mitten durch die Stadt laufen kann durchs Grün. Und da fällt mir meine Wahlheimatstadt sehr unangenehm wieder ein, denn dort ist eigentlich mit der Betonierung der Elbufer Schlimmstes geschehen, da wurde aggressiv kommerzialisiert und aggressiv gebaut. Und das ist natürlich jetzt sehr, sehr schmerzlich zu sehen, dass Dresden im Grunde mit der Waldschlösschenbrücke, wie man hier so sagt, einen Büchsenöffner betätigt, um - wie man, denke ich, zu Recht fürchtet - auch zu beginnen mit der Bebauung dieser wunderschönen Auen. Und dann wäre natürlich Schluss mit der Dresdner Eigenart.
Hettinger: Wie ist das, ich hab den Eindruck, wenn man Ihr literarisches Schaffen sich anschaut, Sie saugen auch sehr stark Ihre Stoffe, Ihre Anregungen, Ihre Inspirationen aus dem unmittelbaren Umfeld, in dem sie leben, Rom zum Beispiel, verweist vielleicht auch auf Ihren neusten Roman, "Termini", der heute erscheint. Wie ist das in Dresden, was nehmen Sie hier mit?
Dieckmann: Was mich hier sehr fasziniert, liegt eigentlich in der Struktur dieses Stadtschreiberamtes. Der darf machen, was er will, aber zunächst mal wird von ihm etwas ganz Selbstverständliches verlangt, er soll einen fremden Blick auf die Stadt werfen. Allein das ist für mich nochmals ungeheuer anregend. Also ich erfahre hier sozusagen, ja, so kulturelle Unterschiede, Reibungen, und ich muss auch sagen, ich befinde mich hier in einer bestimmten Form doch auch im Ausland, im östlichen Ausland. Und so ist es für mich einfach fantastisch, noch mal mich beeindrucken zu lassen von dem Unbekannten, es langsam zu durchdringen, also das zu tun, was man in der Fremde immer macht: sich selber kennenlernen.
Hettinger: Geben Sie uns doch mal ein Beispiel für diese Reibungen, denen Sie in Dresden begegnen?
Dieckmann: Nu, würde ich sagen. Das beginnt bei der Sprache, und zwar meine ich nicht nur das Sächsische, an das wir nun alle denken, sondern auch den Sprachgebrauch. Ich hab festgestellt, dass es mit dem Knüpfen von Beziehungen - sei das beim Bäcker und sei das jetzt mit Journalisten und so weiter -, dass dort andere Gepflogenheiten herrschen, ein bisschen mehr Vorsicht und Zurückhaltung. Ich hatte auch den Eindruck, ein bisschen weniger Doppeldeutigkeit, ein bisschen weniger Ironien. Also da merke ich, dass man schon allein im Alltäglichen mit den Menschen hier sich selber wieder überprüfen muss. Das mag vage klingen, aber es ist höchst konkret, und da beginnt die Fremde.
Hettinger: Diese These, der Blick von außen, ist ausdrücklich erwünscht - da bin ich eben ein bisschen zusammengezuckt, weil diesen unvoreingenommenen Blick von außen, den muss man erst mal aushalten. Halten die Dresdner es aus?
Dieckmann: Na, sie sind da, glaube ich, sehr ambivalent. Sie wünschen sich Kritik, aber ich höre doch von den wachen, aufrechten, auch ein bisschen widerständigen Dresdnern immer wieder, dass es ungeheuer schwer ist, dieser Stadt mit Skepsis zu begegnen. Man wird entweder nicht gehört oder man wird ignoriert oder man wird schwer angegangen. Ich merke schon, dass es nicht so einfach ist, zum Beispiel den Eindruck wiederzugeben, dass diese Rekonstruktion der Altstadt - Frauenkirche und so weiter -, dass das doch ein bisschen nach Disneyland aussieht. Das stört, das stört. Das wird also gar nicht gern gehört, aber wie überall gibt es so 'ne und so 'ne Leute.
Hettinger: Schönen Dank, das war Dorothea Dieckmann. Sie ist Stadtschreiberin von Dresden. Heute erscheint ihr neues Buch. "Termini" heißt es, und darin geht es um einen Journalisten, der nach Rom reist, um über den Prozess gegen den Kriegsverbrecher Erich Priebke zu berichten. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Dieckmann: Ja, Dankeschön!
Dorothea Dieckmann: Guten Tag, hallo!
Hettinger: Frau Dieckmann, jetzt wo Ihre Nachbarin es sagt, da fällt's mir auch wieder ein: So ziemlich jedes Mal, wenn ich in Dresden war, da gab's ein spektakuläres Feuerwerk. Klären Sie mich auf: Was steckt Ihrer Meinung nach hinter der Lust der Dresdner am pyrotechnischen Spektakel?
Dieckmann: Ich würde sagen, man kann gar nicht umhin, wenn man die Geschichte Dresdens kennt, die einem hier ja auf Schritt und Tritt begegnet und die hier auf Schritt und Tritt auch erwähnt und erinnert wird, nämlich die Geschichte des 13. Februar 45, der großen Bombardierung, dann kann man nicht umhin, das beides zu verbinden. Also die ...
Hettinger: Gewagt, gewagt.
Dieckmann: ... die Feuergarben, die dort über der Stadt herniedergingen, das waren tödliche, und wenn ich jetzt sehe, wie über der Elbe es immer wieder blitzt und donnert, dann würde ich sagen, die Assoziation zu diesem sehr präsenten Datum lässt sich überhaupt nicht abweisen.
Hettinger: Find ich 'ne durchaus steile These. Ist es so, dass die Dresdner das quasi ins Gute gewendet sehen und dann den Himmel mal zur Unterhaltung erleuchtet wissen und eben nicht für Tod und Schrecken?
Dieckmann: Nun, beweisen lässt sich da natürlich gar nichts, das sind Assoziationen, aber die haben, glaube ich, schon, ihre Grundlage. Ich denke da auch, ich sag mal, historisch-psychoanalytisch - die Erinnerungen kehren wieder und sie kehren natürlich verkehrt wieder, und hier wird's nun also ins Vergnügen gedreht. Und hinzu muss ich sagen, ich bin sehr bestätigt worden durch das große Dresdner Stadtfest, dass hier vor, ich glaube, zwei Wochen stattfand, genau, wo man noch ein besonderes Spektakel sich ausgesucht hat: Da gab es nämlich die Fackelschwimmer, also Menschen, die mit einer Fackel in der Hand durch die Elbe schwammen. Und ich kann nur sagen, das hat mich bestätigt, denn da musste ich nun an die Opfer denken, die bei dem großen Brand in die Elbe rannten und versuchten, sich so zu retten. Es drängt sich auf.
Hettinger: Was sagen denn die Dresdner zu Ihrer Annahme, dass mit dieser Lust am Feuerwerksspektakel diese Bombennächste sublimiert werden?
Dieckmann: Ja, die Reaktionen sind sehr geteilt. Es gibt Menschen, die ich hier kennenlernte, die allerdings nicht aus Dresden stammen, zum Beispiel einen Leipziger, ein sehr kluger Mann, der sagte: Ja, das liegt auf der Hand, das ist vollkommen klar, es gibt da überhaupt nichts zu diskutieren, hier wird Geschichte sozusagen durch die Brust ins Auge wiederholt, unbewusst. Und andere, eigentlich eher die Einheimischen hier, die argumentieren nicht groß, sie sagen, das ist völliger Quatsch, wir feiern hier und es wird auch an anderen Städten Feuerwerk gemacht, das muss nichts miteinander zu tun haben. So steht's also patt.
Hettinger: Ich hab mir einen Artikel durchgelesen, den die "Sächsische Zeitung" zu Ihrem Amtsantritt veröffentlicht hat, und darin findet man sehr viele schöne Lokalzeitungssätze wie zum Beispiel den: "Die Wohnung in Dresden-Pieschen, die von der Sparkassenstiftung mietfrei zur Verfügung gestellt wird, erleichtert die Kontaktaufnahme mit Eingeborenen." Tut Sie das?
Dieckmann: In diesem Fall trifft es zu 100 Prozent, denn ich habe gleich am Anfang auf meiner ersten Lesung eine Reihe Pieschener Einwohner kennengelernt, die sich wirklich freuten, dass ich in diesem Stadtteil lebe, der eigentlich ein bisschen als verrufen gilt. Früher war hier eher Rotlicht, es galt als Arbeiterviertel, das eher unsicher ist. Und das ändert sich aber sehr stark, es ist im Kommen. Es ist wirklich ein sehr lebendiger Stadtteil, hat das berühmte Ballhaus Watzke, einen großen Biergarten direkt an der Elbe. Also ich muss schon sagen, es ist kein schlechter Ort, er ist nur ein bisschen lärmig, und das passt eigentlich zur Schreiberei nicht so gut.
Hettinger: Biergarten, Stichwort auch eben, Kollege Gerd Brendel hat das ja in seinem Beitrag kurz geschildert, da kam auch das Wort Biergarten vor. Sie haben jetzt die wunderbare Gelegenheit, dem von uns erweckten Eindruck entgegenzuwirken, nur im Biergarten herumzuhängen.
Dieckmann: Ja, ich erwähnte ja schon die Wohnung, die ja auch in der Nähe der Biergärten steht, und so pendele ich zwischen beidem. Ja, ich finde aber, das Vergnügen, das diese Stadt ja ohnehin prägt, gehört dazu, und ich hab einfach immer offene Augen und offene Ohren, und auch wenn ich Bier trinke, da mag das sich so ein bisschen verwischen, aber auch das gehört ja zu den Dresdner Eindrücken.
Hettinger: Sie leben und arbeiten normalerweise in Hamburg. Dresden hat wahrscheinlich jetzt nicht die Geschäftigkeit Ihrer Wahlheimat, dafür aber sehr viel Kunstsinn, wenn man die Pracht der Stadtsilhouette betrachtet oder wenn man sieht, welche kulturellen Institutionen es gibt: die Frauenkirche, das grüne Gewölbe, die Semperoper. Andererseits erfährt man dann aus Dresden wieder solch schauerliche Geschichten wie die von der Waldschlösschenbrücke. Wie nehmen Sie dieses Spannungsfeld wahr?
Dieckmann: Ich finde, dass hier in Dresden die Widersprüche politischer Art und kultureller Art, stadtgeschichtlicher Art, historischer Art, dass die hier extrem stark an der Oberfläche sichtbar sind, so stark, dass man sich ihnen gar nicht entziehen kann und dass ich mich auch doch lieber ein bisschen von diesen Gegensätzen wieder entferne, um mehr wahrzunehmen. Um das ein bisschen deutlicher zu machen: Wenn man von Hamburg aus die Elbe besucht hier in Dresden, dann ist man natürlich begeistert von diesen Auen, diesen historisch immer bewahrten Elbauen, die sich mitten durch diese Stadt ziehen. Es ist wirklich einzigartig und es ist wunderschön, dass man hier auf Treidelpfaden mitten durch die Stadt laufen kann durchs Grün. Und da fällt mir meine Wahlheimatstadt sehr unangenehm wieder ein, denn dort ist eigentlich mit der Betonierung der Elbufer Schlimmstes geschehen, da wurde aggressiv kommerzialisiert und aggressiv gebaut. Und das ist natürlich jetzt sehr, sehr schmerzlich zu sehen, dass Dresden im Grunde mit der Waldschlösschenbrücke, wie man hier so sagt, einen Büchsenöffner betätigt, um - wie man, denke ich, zu Recht fürchtet - auch zu beginnen mit der Bebauung dieser wunderschönen Auen. Und dann wäre natürlich Schluss mit der Dresdner Eigenart.
Hettinger: Wie ist das, ich hab den Eindruck, wenn man Ihr literarisches Schaffen sich anschaut, Sie saugen auch sehr stark Ihre Stoffe, Ihre Anregungen, Ihre Inspirationen aus dem unmittelbaren Umfeld, in dem sie leben, Rom zum Beispiel, verweist vielleicht auch auf Ihren neusten Roman, "Termini", der heute erscheint. Wie ist das in Dresden, was nehmen Sie hier mit?
Dieckmann: Was mich hier sehr fasziniert, liegt eigentlich in der Struktur dieses Stadtschreiberamtes. Der darf machen, was er will, aber zunächst mal wird von ihm etwas ganz Selbstverständliches verlangt, er soll einen fremden Blick auf die Stadt werfen. Allein das ist für mich nochmals ungeheuer anregend. Also ich erfahre hier sozusagen, ja, so kulturelle Unterschiede, Reibungen, und ich muss auch sagen, ich befinde mich hier in einer bestimmten Form doch auch im Ausland, im östlichen Ausland. Und so ist es für mich einfach fantastisch, noch mal mich beeindrucken zu lassen von dem Unbekannten, es langsam zu durchdringen, also das zu tun, was man in der Fremde immer macht: sich selber kennenlernen.
Hettinger: Geben Sie uns doch mal ein Beispiel für diese Reibungen, denen Sie in Dresden begegnen?
Dieckmann: Nu, würde ich sagen. Das beginnt bei der Sprache, und zwar meine ich nicht nur das Sächsische, an das wir nun alle denken, sondern auch den Sprachgebrauch. Ich hab festgestellt, dass es mit dem Knüpfen von Beziehungen - sei das beim Bäcker und sei das jetzt mit Journalisten und so weiter -, dass dort andere Gepflogenheiten herrschen, ein bisschen mehr Vorsicht und Zurückhaltung. Ich hatte auch den Eindruck, ein bisschen weniger Doppeldeutigkeit, ein bisschen weniger Ironien. Also da merke ich, dass man schon allein im Alltäglichen mit den Menschen hier sich selber wieder überprüfen muss. Das mag vage klingen, aber es ist höchst konkret, und da beginnt die Fremde.
Hettinger: Diese These, der Blick von außen, ist ausdrücklich erwünscht - da bin ich eben ein bisschen zusammengezuckt, weil diesen unvoreingenommenen Blick von außen, den muss man erst mal aushalten. Halten die Dresdner es aus?
Dieckmann: Na, sie sind da, glaube ich, sehr ambivalent. Sie wünschen sich Kritik, aber ich höre doch von den wachen, aufrechten, auch ein bisschen widerständigen Dresdnern immer wieder, dass es ungeheuer schwer ist, dieser Stadt mit Skepsis zu begegnen. Man wird entweder nicht gehört oder man wird ignoriert oder man wird schwer angegangen. Ich merke schon, dass es nicht so einfach ist, zum Beispiel den Eindruck wiederzugeben, dass diese Rekonstruktion der Altstadt - Frauenkirche und so weiter -, dass das doch ein bisschen nach Disneyland aussieht. Das stört, das stört. Das wird also gar nicht gern gehört, aber wie überall gibt es so 'ne und so 'ne Leute.
Hettinger: Schönen Dank, das war Dorothea Dieckmann. Sie ist Stadtschreiberin von Dresden. Heute erscheint ihr neues Buch. "Termini" heißt es, und darin geht es um einen Journalisten, der nach Rom reist, um über den Prozess gegen den Kriegsverbrecher Erich Priebke zu berichten. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Dieckmann: Ja, Dankeschön!