Der Festspielleiter

Von Dieter David Scholz · 24.02.2012
57 Jahre lang leitete Wolfgang Wagner die Bayreuther Festspiele. 2008 - zwei Jahre vor seinem Tod - übergab er die Leitung an seine Töchter Katharina und Eva. Eine Dokumentation illustriert das Leben des Langzeitchefs auf dem Grünen Hügel.
Die Ära Wolfgang Wagner ist inzwischen Geschichte, denn am 21. März 2010 starb der Bayreuther Festspielleiter 90jährig. 57 Jahre hatte er die Bayreuther Festspiele geleitet - bis 1966 gemeinsam mit seinem Bruder Wieland, danach alleinverantwortlich. Zugunsten seiner Töchter Katharina und Eva trat er 2008 von der Festspielleitung zurück. Der Prozess der Nachfolgefindung, den Wolfgang Wagner selbst 1999 angestoßen - aber immer wieder auch umgestoßen – hat, hatte sich zur jahrelangen, quälenden Farce, ja zur Soap Opera entwickelt und fand erst nach dem plötzlichen Tod seiner zweiten Ehefrau Gudrun im November 2007 einen Abschluss.

Bei allen Bedenken gegen die in seinen letzten 15 Lebensjahren kaum mehr dialogbereite Haltung und den patriarchalischen Leitungsstil des kauzigen Festspielchefs: Er war als Theater-Manager, als Organisator und Leiter der Festspiele ein kaum zu ersetzendes Unikat. Keiner - nach Cosima, der Witwe Richard Wagners - hat die Geschicke Bayreuths so lange und wesentlich bestimmt. Wolfgang Wagner hat unzweifelhaft künstlerische Höhepunkte gesetzt, bedeutende Sänger, Regisseure und Dirigenten an sein Haus geholt und sich maßgeblich für die Schaffung einer Richard-Wagner-Stiftung starkgemacht, um den Wiederaufbau des kriegszerstörten Hauses Wahnfried und die Sanierung und Restaurierung des baufälligen Nachkriegsfestspielhauses zu einem technisch hochmodernen, denkmalgeschützten Opernhaus zu ermöglichen sowie die Zukunft der Festspiele und das Wagnerarchiv über seine eigene Zeit hinaus zu sichern. Eine imposante Bilanz als Festspielleiter.

Als Regisseur stand Wolfgang immer im Schatten seines Bruders Wieland, dem eigentlich das, was man "Neubayreuther Stil" nennt, zu verdanken ist. 1944 brachte Wolfgang Wagner an der Berliner Staatsoper mit der Oper "Bruder Lustig" seines Vaters Siegfried seine erste Inszenierung heraus. Das war der Beginn seiner Regielaufbahn, die am 28. August 2002 mit einer Aufführung der "Meistersinger von Nürnberg" im Bayreuther Festspielhaus endete. Hans Georg Bauer hat gewissenhaft alle Inszenierungen Wolfgang Wagners dokumentiert - mit Fotografien, Besetzungslisten und allen verfügbaren offiziellen Äußerungen Wolfgang Wagners. Er hat mit großem Fleiß Interviews, Statements, Presseerklärungen, Vorträge und Aufsätze zusammengetragen, sowohl was den Festspielleiter und Regisseur, als auch den Bauherrn Wolfgang Wagner angeht. Sein Buch ist ohne Frage eine verdienstvolle Foto- und Text-Dokumentation, die in ihrer Spannbreite und Fülle des Materials als Ergänzung der Autobiografie Wolfgang Wagners ("Lebensakte" 1994) von großem Nutzen ist.

Allerdings stehen die Dokumente unkommentiert nebeneinander. Bauer enthält sich jeder Bewertung, jeder kritischen Einordnung und Hinterfragung. Vor allem aber klammert er radikal die Schattenseiten des Patriarchen Wolfgang Wagner aus, der nach dem Motto "Ich lieg und besitz", wie Fafner auf dem (Bayreuther) Hort saß. Auch seine fragwürdigen künstlerischen Entscheidungen, sein autoritärer Führungsstil im Unternehmen wie in der Familie, "ein Atridenclan, in dem ein Familienmitglied dem anderen nach dem Leben trachtet", wie es Nike Wagner einmal formulierte, sind tabu. Ein Buch, das den ganzen Wolfgang Wagner einmal ungeschminkt darstellt, steht nach wie vor aus.

Besprochen von Dieter David Scholz

Oswald Georg Bauer: Wolfgang Wagner. Der Festspielleiter. Der Regisseur. Der Bauherr.
Ellwanger Verlag Bayreuth, 2012
215 Seiten, 26,90 Euro
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