Göttinnendämmerung? Von wegen!

Von Jürgen Liebing · 31.12.2008
"Weißt du, wie das wird?" So befragen am Beginn der "Götterdämmerung" die Nornen einander, und alle Jahre wieder raschelte es im Blätterwald und raunten die Auguren. "Wisst ihr, wie das wird?".
Was den Briten ihre Windsors, das sind den Deutschen die Wagners. Und wie es auf den Inseln nicht skandalfrei vonstatten geht, so auch nicht im eher beschaulichen fränkischen Städtchen Bayreuth. Die fränkische Variante der Rosenkriege in Form von Zickenkriegen hatte für eine gewisse Zeit durchaus Unterhaltungswert, langweilte aber von Mal zu Mal mehr. In diesem Jahr wurde es zumindest vorübergehend noch einmal spannend, als der dienstälteste Intendant der Welt seine Bereitschaft erklärt hatte, zurückzutreten, nachdem er 2001 das Votum des Stiftungsrats für Eva Wagner-Pasquier, Tochter aus erster Ehe, einfach ignoriert hatte, in Kohlscher Manier aussaß. Konnte der Prinzipal doch auf seinen lebenslangen Vertrag pochen, den er ausgehandelt hatte, als er die Festspiele mit allem beweglichen und unbeweglichen Gütern nach Verhandlungen mit Bund, Land, Stadt und anderen in eine Stiftung umwandelte.

W. Wagner: "Die Quintessenz ist die, dass ich zumindest durch meine Tätigkeit die Bayreuther Festspiele soweit es über menschenmöglich gedacht werden kann als gesichert betrachten kann. Das war auch eine meiner Hauptarbeiten, die ich vollbringen wollte durch die Gründung der Stiftung. Man wollte verhindern, dass eventuell durch eine Erbauseinandersetzung die Hinterlassenschaften zerfleddert und kaputt geht."


Was er verhindern wollte, drohte einzutreten, ein Streit nicht ums Erbe, sondern zwischen den Erben beziehungsweise Erbinnen. Die Frauen waren schon immer stark auf dem Grünen Hügel, ob als Gattinnen oder Witwen. Ohne Cosima, die zweite Frau von Richard Wagner, hätten die Festspiele den Tod des Komponisten wohl nicht überlebt. Winifred, die Frau von Siegfried Wagner, die nach dessen Tod 1930 die Leitung der Festspiele übernahm, war eine glühende Bewunderin von Adolf Hitler, der die bankrotten Festspiele vor dem Ruin bewahren half. Gudrun, die zweite Frau von Wolfgang Wagner, wirkte zwar im Hintergrund, führte aber, was allgemein bekannt war, schon mehrere Jahre das Zepter, während ihr eine Generation älterer Mann immer gebrechlicher wurde.

Das Muster der überlebenden Gattin hätte sich vielleicht auch hier wiederholt, wäre sie nicht im vergangenen Jahr gestorben. Dieser - für die Familie - tragische Verlust eröffnete aber die Möglichkeit für eine Nachfolgelösung in der Leitung der Festspiele. Wolfgang Wagner selbst hatte im Frühjahr den Nachfolgevorschlag gemacht: seine beiden Töchter Eva und Katharina sollten es richten. Aber da ist noch Nike Wagner, die Tochter von Wieland Wagner. Die Cousine von Eva und Katharina hatte sich kurz vor Schluß der Bewerbungsfrist noch den Opernmanager Gérard Mortier mit ins Boot geholt, und so kam nochmals eine gewisse Spannung auf.

Am 2.September verkündete der Vorsitzende des Stiftungsrats das Ergebnis.

"Der Stiftungsrat schlägt Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner für die künftige Festspielleitung vor und bittet die Bayreuther Festspiele Gmbh Wagner-Pasquier und Katharina Wagner zu Geschäftsführern zu bestellen."

Überraschen konnte das Ergebnis nicht, höchstens die Eindeutigkeit beim Abstimmungsverhalten.
Toni Schmidt präsentierte auch nochmals kurz die Alternativen:

Toni Schmidt: "'"Gérard Mortier hat in Salzburg bekanntlich nicht nur dort Großartiges geleistet und könnte das auch in Bayreuth. Frau Nike Wagner leistet beim Kunstfest in Weimar erfolgreiche Arbeit. Eva Wagner-Pasquier besitzt Jahrzehnte einschlägige praktische Musiktheater-Erfahrung und ist ähnlich vernetzt wie Gérard Mortier, und Katharina Wagner hat in den letzten zwei Jahren gezeigt, dass sie frischen Wind nach Bayreuth bringen kann. Insofern wären beide möglich gewesen.""

Freude bei den Erkorenen, aber es gab auch Spott und Häme in den Feuilletons, denn der jugendlich ungestümen Katharina trauen viele mit ihren gerade 30 Jahren die Leitung der traditionsreichen Festspiele nicht zu. Und die stille und eher im Hintergrund wirkende Eva Wagner-Pasquier wird von manchen nur als Alibi angesehen, als Übergangslösung bis zum Jahr 2013, wenn Richard Wagners 200. Geburtstag gefeiert werden wird.

Katharina Wagner äußerte sich nach der Entscheidung des Stiftungsrats:

"Ich glaube unser Konzept steht genau dafür, dass wir die Einmaligkeit dieser Festspiele berücksichtigen. Wir haben ein sehr großes Rahmenprogramm, was sehr viel ändern wird. Das haben sie dieses Jahr auch schon mitbekommen. Natürlich sind wir Vertreter dieser sechswöchigen Spielzeit, das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil wir der Meinung sind, dass es so funktioniert, und das ist wohl auch der größte Unterschied zu Nike Wagners Konzept."

Am letzten Tag der diesjährigen Festspiele gab es eine Aufführung der Neuinszenierung des "Parsifal" durch den Norweger Stefan Herheim, der darin zugleich die Geschichte der Bayreuther Festspiele erzählt - von der Uraufführung des "Parsifal" 1882 bis zu der Wiedereröffnung der Festspiele 1951 unter der Leitung von Wieland und Wolfgang Wagner. Anschließend wurde Wolfgang Wagner verabschiedet, dessen riesige Lebensleistung durch die Querelen der letzten Jahre ein wenig in den Hintergrund geraten war. Im kommenden Jahr wird er 90 - ein guter Grund, sein Werk dann gebührend zu würdigen.

Jetzt haben zum ersten Mal in der Geschichte von Bayreuth die Töchter das Sagen.