Der Fernsehturm wird 50

"Das große Symbol des neuen Berlin"

06:49 Minuten
Berlin Mitte : 03.10.2019 Jubiläum 50 Jahre Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz Alex, 1969 erbaut Berlin Berlin Mitte 03 10 2019 50th anniversary Berlin television tower at Alexanderplatz Alex, built in 1969 Berlin
Dass die deutsche Einheit am Geburtstag des Fernsehturms gefeiert wird, ist reiner Zufall, sagt Nikolaus Bernau. © imago / Jürgen Ritter
Nikolaus Bernau im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 02.10.2019
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Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau ist ein großer Fan des Fernsehturms am Berliner Alexanderplatz. Am 3. Oktober wird der Turm 50 Jahre alt, und von Anfang an war er als Symbol der deutschen Einheit gedacht, sagt Bernau.
Stephan Karkowsky: Der Berliner Fernsehturm hat Geburtstag: Morgen wird das höchste Bauwerk Deutschlands 50 Jahre alt. Eröffnet wurde es am 3. Oktober 1969 vom Vorsitzenden des Staatsrats der DDR, Walter Ulbricht. Der hätte wohl im Traum nicht dran gedacht, dass 50 Jahre später am gleichen Tag die deutsche Einheit gefeiert und im Turm mit Westmark, Verzeihung, mit Euro bezahlt wird. Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau ist schon lange Fan des Turms, er hat auch ein Buch drüber geschrieben. Herr Bernau, guten Morgen!
Nikolaus Bernau: Guten Morgen!
Karkowsky: Passt das Turmjubiläum am Tag der Deutschen Einheit?
Bernau: Na ja, Jubiläen kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen und der 3. Oktober wurde ja weitgehend freihändig festgelegt, damit man auch keinen Fall noch einen weiteren Jahrestag der DDR feiern muss. Das war das eine, und das andere war: Man konnte eben leider nicht am 9. November feiern, was ja das eigentliche, adäquate Datum gewesen wäre. Dementsprechend hatte man sich dann eben 1990 den 3. Oktober ausgesucht. Ich bin vergleichsweise 100 Prozent sicher, dass kein Mensch darüber nachgedacht hat, dass das ja gleichzeitig das Datum des Jubiläums des Fernsehturms ist.

Schon in den 1950er-Jahren geplant

Karkowsky: Aber er ist ja kein Symbol für die deutsche Einheit, der Turm war ja anfangs das genaue Gegenteil, also ein politisch vereinnahmtes, nationales Abgrenzungssymbol der DDR, das über die Mauer hinweg zeigen sollte, wer Berlin in der Hand hält, wie es einst der Schriftsteller Friedrich Dieckmann formulierte.
Bernau: Ja, auf jeden Fall ist er so geplant gewesen, allerdings nicht als Abgrenzungssymbol, das darf man nicht ganz vergessen. Er hat ja eine unendlich lange Planungsgeschichte, die bis Mitte der 50er-Jahre zurückreicht. Das hat ganz technische Ursachen gehabt mit dem neuen Medium Fernsehen, bei dem auch die DDR sehr schnell entdeckt hat, also die DDR-Staats- und Parteiführung, wie wichtig es sein könnte, um ihre eigene Botschaft an das Volk zu bringen. Und man darf ja immer nicht vergessen im Hintergrund, dass sich 1953 gezeigt hatte, dass diese Botschaft von der blühenden sozialistischen Gesellschaft keineswegs breite Zustimmung gefunden hatte, sondern da gab es einen Arbeiteraufstand – ausgerechnet von Arbeitern! – gegen die Arbeiter- und Bauernpartei.
Also man hatte entdeckt: Fernsehen ist wichtig, mit Fernsehen können wir eine Überzeugungsbotschaft lenken. Fernsehen war aber in den 50er- und 60er-Jahren technisch auf einem Status, übrigens weit zurück gegenüber dem Radio – muss man immer wieder sagen, gerade im Radio –, man musste quasi auf Sichtentfernung arbeiten. Man brauchte hohe Türme, um die Signalwellen zu übermitteln. Das heißt, es mussten hohe Masten errichtet werden. Die wurden auch ganz, ganz fleißig gebaut, aber da gab es eben immer das Problem: Wohin stellt man diese Masten, ohne dass sie den gesamten Organismus einer Stadt zum Beispiel beschädigen? Und in Berlin gab es die Überlegungen, zum Beispiel direkt auf den Müggelbergen zu bauen, bis man dann entdeckt hat: Hm, keine gute Idee, ist nämlich direkt die Einflugschneise zum Flughafen Schönefeld.

Ein Symbol der deutschen Einheit

Dann gab es die Überlegung, am Friedrichshain zu bauen. Da waren dann aber die Probleme, dass man eigentlich nur hätte auf den historischen Friedhöfen bauen können, womit es große Konflikte nicht nur mit den Gläubigen, sondern auch mit den Nachfahren derjenigen, die dort beerdigt wurden, und selbstverständlich mit der Kirche gegeben hätte.
Und es war letztlich eine ganz strategisch-technische Entscheidung, den Fernsehturm in der Mitte der Stadt zu errichten. Das war die eine Ebene, es gab eben die technische. Es gab die zweite, symbolische, die war mit dem Hauptstadtwettbewerb von 1957 festgelegt: Dort hatte Hermann Henselmann, der bis heute immer fälschlicherweise übrigens als einer der Architekten des heutigen Fernsehturms genannt wird - da hatte Hermann Henselmann einen Vorschlag vorgelegt, einen Turm der Signale mitten in die Stadt zu pfropfen, und der war tatsächlich als politisches Signal gemeint, aber nicht als ein Symbol der Spaltung, sondern als ein Symbol der deutschen Einheit!
Karkowsky: Nein!
Bernau: Nämlich: Die Kommunisten können das gesamte Land regieren, und deswegen brauchen wir einen Fernsehturm, der überall sichtbar ist.
Karkowsky: Wann immer ich in diesem Turm zu Gast bin – und ich versuche das immer einmal im Jahr –, fühle ich mich wie in einer Zeitmaschine. Also das Design ist so Ost-Sixties, so retro-futuristisch, würde man heute sagen, oder wie beschreibt das ein Architekturkenner?
Bernau: Es ist auf jeden Fall eine Variation des International Style der 1960er-Jahre. Also ostig würde ich jetzt in diesem Falle nicht sagen, weil dann müsste man das Design, Innendesign, sagen wir mal, des Stuttgarter oder des Hamburger Fernsehturms ebenfalls als westig bezeichnen. Das ist das, was man international damals trug. Das ist heute natürlich ein bisschen altmodisch, wenn man so will. Viele Leute betrachten es inzwischen wieder als absolut hip, das ist quasi später Ausläufer des Mid Century Modern, wie man das sehr, sehr teuer in heutigen Möbelgeschäften kaufen kann.

Kein Fernsehturm ohne Restaurant

Das Erfreuliche beim Fernsehturm ist: Er wurde in den 1990er-Jahren einmal etwas unglücklich restauriert oder renoviert und umgebaut und danach dann noch mal, und da ist man zurückgegangen zu dieser Ursprungsform, weil diese Ursprungsform hat doch viel mit dieser Euphorie der 60er-Jahre zu tun. Mit dieser Raumfahrt-Euphorie vor allen Dingen und dieser Idee, wir müssen elegant sein, wir müssen mit dem Westen natürlich mithalten können. Das war ganz klar, jeder kannte die Zeitschriften, auch in der DDR, die Architektur-, die Design-Zeitschriften. Man wusste also, was man heutzutage trägt, wenn man so will. Und dazu gehört dieses Design.
Karkowsky: Ja, man fühlt sich auch gerade in dieser Kugel wie in einem Raumschiff da oben, mit dem Drehrestaurant. Ich piekse jetzt mal ein bisschen: Wer hat sich das denn eigentlich ausgedacht? Das sieht ja doch schon ein bisschen komisch aus da oben.
Bernau: Die Kugel oder das Drehrestaurant?
Karkowsky: Überhaupt beides, diese Idee.
Bernau: Also, die Kugel war im Grunde genommen auch wieder eine technische Entscheidung, man musste irgendwo… Man wollte ein Restaurant unterbringen. Das ist seit dem Stuttgarter Fernsehturm quasi ein Standardelement von mehr oder minder innerstädtischem Fernsehturm: Man ist weit oben, macht oben ein Restaurant und kann gut rausgucken. Das war sozusagen die eine Ebene. Und man muss mindestens eine Besichtigungsebene haben.
Die zweite Angelegenheit war die, dass man überlegt hat: Wie macht man es halbwegs elegant? Und es gab eben in Westdeutschland schon eine ganze Reihe von Modellen, so aus Scheiben wie zum Beispiel in Hamburg oder so ein Trichter wie in Stuttgart. Die wollte man alle nicht haben, sondern es gab wirklich sehr ernsthafte künstlerische Debatten darüber. Es gab eben die Überlegung, okay, wir brauchen diesen Mast, das ist erst mal so ein Stab, an dem Stab brauchen wir irgendwie oben eine Plattform, auf der man rumlaufen kann, diese Plattform muss klimageschützt werden und windgeschützt werden.

Erinnerung an die Sputnik-Euphorie der 60er-Jahre

Und da kam diese Idee mit dieser großen Kugel, die oben aufgehängt ist, die gleichzeitig an die Sputnik-Begeisterung erinnert, an die ganze Begeisterung für Raumfahrt überhaupt, natürlich auch an die ersten Überlegungen, wie sieht es eigentlich aus, wenn man von draußen auf die Erde guckt, dass da nämlich plötzlich eine Kugel zu sehen ist, eine ganz kleine. Also das heißt, viele symbolische Vorstellungen kamen da zusammen zu einer neuen künstlerischen Gestalt.
Karkowsky: Also Sie sind Fan, Sie gratulieren uneingeschränkt?
Bernau: Uneingeschränkt. Es ist das große Symbol des neuen Berlin geworden. Das ist ja eines der größten Phänomene der ganzen Angelegenheit: Der Fernsehturm ist nach 1990 eben aus dem Ostberliner Dasein herausgetreten und zu einem Symbol Gesamtberlins geworden. Und schon deswegen kann man eigentlich nur gratulieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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