Der ewige Diplomat

Besprochen von Axel Rahmlow |
Kofi Annan nimmt den Leser mit auf eine Reise durch sein politisches Leben. Er erzählt von seiner Jugend in Afrika und den Schwierigkeiten der internationalen Diplomatie. Trotz seiner Kritik an den Vereinten Nationen, glaubt er an die Idee vom friedlichen Miteinander. Ein rührendes, ernüchterndes und hoffnungsvolles Buch.
Abuja, 1998. Kofi Annan ist in der nigerianischen Hauptstadt. Mitten in der Nacht holen ihn Mitarbeiter des Geheimdienstes ab. Sie bringen den UNO-Generalsekretär und einen seiner Berater zu einem Treffen mit einem politischen Gefangenen des damaligen Militärregimes. Mit Tempo 160 fährt die Wagenkolone durch die Stadt. Annan schreibt:

„Der Fahrer trat so heftig auf das Gaspedal, dass es sich anfühlte, als würden wir in den Nachthimmel abheben. Plötzlich fand ich das alles absurd. Wir sprachen französisch, damit wir nicht verstanden werden konnten, tauschten aber banale Bemerkungen über die Fahrtgeschwindigkeit aus, als würden wir den Geschmack unseres Frühstückstees kommentieren.“

Diese Episode aus „Ein Leben in Krieg und Frieden“ macht wie keine andere in Annans Buch deutlich, wie sich der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen sieht: Egal was auch passieren mag, Annan bewahrt zurückhaltende Ruhe. Die Geschichte über einen Vermittlungsversuch in Nigeria zeigt exemplarisch die vielen Facetten dieses Buches.

„Ein Leben in Krieg und Frieden“ ist alles gleichzeitig: die politische Biografie des Mannes, der zehn Jahre lang das Gesicht der UNO war. Ein Einblick in Annans Jugend in Afrika. Es ist ein kenntnisreicher Ritt durch die größten internationalen Konflikte und Tragödien der letzten Jahrzehnte. Es ist eine selbstkritische Analyse der Vereinten Nationen. Eine Draufsicht auf das dauernde Gerangel der Mitgliedstaaten, das selbst Jahre später beim Lesen noch frustriert. Eine Reise in die oft wort- und worthülsenreiche Welt der internationalen Diplomatie. Und trotzdem ein optimistischer Ausblick auf die zukünftigen Herausforderungen der Weltgemeinschaft. Dabei sind Annans Erinnerungen und Analysen nie zäh zu lesen, er verbindet persönliche Anekdoten mit deutlichen Worten über den oft schwerfälligen UNO-Apparat:

„Wir sind unseren Worten nicht immer gerecht geworden. Aber das ist vielleicht das Schicksal der UNO: Die Erwartungen derjenigen, die sie als Allheilmittel für die Probleme der Welt betrachten, muss sie enttäuschen; gleichwohl verleiht sie, wie bruchstückhaft auch immer, den Ansprüchen einzelner Männer und Frauen eine Stimme.“

Das Scheitern der UNO ist ein Dauerthema. Vor allem auf zwei Tragödien kommt Annan immer wieder zurück. Zum einen auf das Massaker von Srebrenica während des Bosnien-Krieges 1995. Und auf den Völkermord an den Tutsi in Ruanda ein Jahr zuvor. Zu dieser Zeit war Annan noch nicht Generalsekretär der UNO, sondern Leiter der Abteilung Friedenssicherung.

„Wir verbrachten endlose Tage damit, mehr als hundert Regierungen rund um die Welt um Truppen zu bitten. Wir erhielten nicht ein einziges Angebot. Es war eine der erschütterndsten Erfahrungen meines gesamten Berufslebens, die mich tief prägte. Sie enthüllte nur zu deutlich den Widerspruch zwischen öffentlich bekundeter Beunruhigung und der fehlenden Bereitschaft die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Das Ausmaß des Mordens in Ruanda war allgemein bekannt und dennoch konnten wir niemanden finden, der etwas dagegen unternehmen wollte.“

Aus dieser Erfahrung entwickelt Annan dann als Generalsekretär seinen Plan für die Zukunft der UNO und das Recht der Staatengemeinschaft auf Intervention in Krisengebieten. Der Kerngedanke: Die Drohung und auch die Anwendung von Gewalt können notwendig sein, um Leiden zu beenden. Dieses Konzept der „Schutzverantwortung“ wird im Wesentlichen während Annans Amtszeit erarbeitet. Seine reflektierenden Gedanken darüber sind in „Ein Leben in Krieg und Frieden“ auch für den Laien verständlich.

„Es geht nicht nur um Flugzeuge, Panzer und Hubschrauber, durch die Massenmörder überwältigt werden sollen. Gewalt allein wird nie ausreichen. Richtig verstanden geht es bei der Schutzverantwortung vor allem darum, dauerhafte Institutionen – zumeist staatlicher Art – zu schaffen und zu sichern.“

Das liest sich schön und nobel, doch auf den letzten 150 Seiten stellt sich das Gefühl ein, dass der frühere UNO-Generalsekretär seinen Diplomatenausweis immer noch nicht abgegeben hat und allzu blumig bleibt. Zum Beispiel im Kapitel über den Konflikt zwischen den Palästinensern und den Israelis, den Annan als die „Bruchlinie der Welt“ bezeichnet. Oder in Bezug auf die Anschläge vom 11. September 2001 und die anschließenden Kriege der USA. Auch hier analysiert Annan zwar klar die Positionen der Protagonisten und die historischen Zusammenhänge. Doch wirklich klare Worte sucht man vergebens.

Annan beschwert sich über den Siedlungsbau der Israelis, er kritisiert den sturen Palästinenser-Führer Yassir Arafat, bleibt aber immer immer in der neutralen Vermittlerrolle. Er macht auch noch einmal klar, dass er den Irak-Krieg der Regierung von George W. Bush für ideologisch motiviert und nicht gerechtfertigt hält. Das sagte er aber auch schon 2003, etwa vor der UNO-Vollversammlung.

„This logic represents a fundamental challenge to the principles on which, however imperfectly, world peace and stability have rested for the last 58 years.“

Mehr als diese allgemeinen Bemerkungen gibt Annan auch zehn Jahre danach nicht preis. Wer wissen will, was in dem Menschen Kofi Annan vorging, wird enttäuscht. Doch gerade wenn er kurz davor erscheint, sich im Unkonkreten zu verheddern, integriert er gekonnt ein neues Thema.

Auf manches ist er stolz, etwa die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs. Bei anderen Beispielen gesteht er sich ein, dass die Mitgliedsstaaten der UNO eigentlich immer ihren ganz eigenen Interessen folgen. Das viel zu späte und halbherzige Eingreifen der Welt im sudanesischen Darfurkonflikt ist nur eines von vielen Beispielen an denen Annan verdeutlicht: Er hat nicht viel mehr als die Macht der Worte und der Überzeugung. Das ist ehrlich, aber auch ernüchternd.

Umso bemerkenswerter, dass doch aus jedem Kapitel herauszulesen ist, wie bedingungslos Annan an die Idee der UNO vom friedlichen Miteinander glaubt.

„Eine Organisation der Vereinten Nationen, die nicht nur Staaten dient, sondern auch Völkern, und zu einem Forum wird, auf dem Regierungen wegen ihres Verhaltens gegenüber ihren eigenen Bevölkerungen zur Rechenschaft gezogen werden, wird sich ihren Platz im 21. Jahrhundert erobern.“

So ist das Buch „Ein Leben in Krieg und Frieden“ wie das Leben eines UNO-Generalsekretärs: spannend, voller Geschichten aus der ganzen Welt, rührend, ernüchternd und hoffnungsvoll. Und am Ende immer so diplomatisch wie möglich – oder nötig.

Kofi Annan "Ein Leben in Krieg und Frieden"
Buchcover: Kofi Annan „Ein Leben in Krieg und Frieden“© Promo
Kofi Annan: Ein Leben in Krieg und Frieden
Deutsche Verlagsanstalt München DVA Sachbuch, 2013
520 Seiten, 26,99 Euro