"Der Boden unter den Füßen" im Berlinale Wettbewerb

Kontrollverlust als Chance

Marie Kreutzer posiert beim Photocall zu ihrem Film "Der Boden unter den Füßen" am 9.2.2019 für die Fotografen.
Die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer mag die Berliner Filmfestspiele, weil sie so politisch sind. © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Marie Kreutzer im Gespräch mit Patrick Wellinski · 09.02.2019
Vom Wahn der Selbstoptimierung handelt der Berlinale-Wettbewerbsfilm "Der Boden unter den Füßen" von Marie Kreutzer. Die österreichische Regisseurin zeigt darin, wie das geregelte Leben einer Unternehmensberaterin infrage gestellt wird.
Der Film "Der Boden unter den Füßen" der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer erzählt eine Geschichte von Selbstoptimierungswahn und Kontrollverlust: Die 30 Jahre alte Lola meint, ihr Leben geregelt zu haben. Aber als die Unternehmensberaterin erfährt, dass ihre Schwester, die an psychischen Störungen leidet, einen Selbstmordversuch unternommen hat, zieht Lola mit ihr zusammen - mit großen Folgen für ihr wohl organisiertes Berufsleben.
Beim Interview vor der Weltpremiere ihres Films im Wettbewerb der Berlinale trägt die Regisseurin ein T-Shirt mit der Aufschrift "Not my Government", um zeigen, was sie von der Regierung Kurz in Österreich hält. Marie Kreutzer liebt das Filmfestival in Berlin, weiß Vollbild-Redakteur Patrick Wellinski, weil es so politisch ist.

Eine Generation, die sich ständig vergleicht

In "Der Boden unter den Füßen" habe sie den Kontrollverlust darstellen wollen, der uns allen drohen könne: "Auch das Dunkle, das wir in uns haben, ob wir es sehen wollen oder nicht", sagt die Regisseurin. Mit ihrem Film blickt sie auf eine Generation, die in dem ständigen Drang und Zwang lebt, sich beweisen und vergleichen zu müssen: "Ohne zu glauben, dass man mehr können muss, mehr schaffen muss, mehr haben muss, würde unsere kapitalistische Gesellschaft ja nicht mehr funktionieren." In einer von Social Media geprägten Zeit, schwappe dieses Vergleichen "in unser aller Leben", kritisiert sie, sogar in das der Kinder.
Sie habe die Welt der Unternehmensberaterinnen und -berater so authentisch wie möglich darstellen wollen. "Da ist es nun mal so, dass die Arbeit über allem steht. Dass es keinen Raum und auch keine Zeit gibt, um wirklich ein Privatleben zu führen", beschreibt sie das Leben ihrer Protagonistin Lola. "Eine herkömmliche Partnerschaft oder Familie zu haben, ist da fast unmöglich."

"Im Kern geht es allen Menschen um das Gleiche"

Es arbeiteten aber sehr junge Menschen in diesem Beruf, für die die ständigen Ortswechsel und die gute Bezahlung einfach nur "cool" seien, sagt sie: "Die finden sich auch geil in dem, irgendwie. Die leiden gar nicht darunter." Auch davon handelt ihr Film, das es vollkommen normal sei, mitten in der Nacht noch in den Fitnessraum zu gehen: "Dass alles reinpassen muss in diese 24 Stunden. Und wenn man dann nicht schläft, dann schläft man eben nicht."
Vor diesem Hintergrund sehe sie den Moment des Zusammenbruchs und des Kontrollverlustes als eine Chance: "Um zu spüren, worum es geht. Ich glaube im Kern geht es allen Menschen um das Gleiche. Und das sind nicht Erfolg und Geld, sondern das sind sehr viel universellere, tiefere, menschlichere Werte."

Bewusst trockener Erzählton

Es sei ihr wichtig gewesen, für "Der Boden unter den Füßen" einen trockenen Erzählton zu finden und auch die Bildgestaltung schlicht zu halten, sagt Marie Kreutzer. Sie habe die Wahrnehmungsstörungen und den Wahrnehmungsverlust, von denen ihr Film handelt, nicht auch noch formal unterstützen wollen. Genauso wenig wollte sie Lolas Geschichte als Komödie erzählen, erklärt die Regisseurin: "Definitiv war es nicht das Ziel, dass hier jemand lacht. Obwohl das ein bisschen schade ist, weil am Lachen im Kino merke ich immer, ob der Film ankommt." (hum)
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