Der Arbeitsplatz als Kunst

Von Rainer Zerbst · 26.10.2012
Nicht der Künstler oder seine Werke stehen im Mittelpunkt der Stuttgarter Ausstellung, sondern der Arbeitsplatz, das Atelier. Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman - die Kuratoren haben sich mit den Räumen der Künstler auseinandergesetzt - und mit den Werken der Künstler über die Räume.
Als Prunkstück kann Ina Conzen in der von ihr gestalteten Ausstellung das Pariser Atelier von Pier Mondrian präsentieren. Mondrian selbst war es so wichtig, dass er es, als er in die USA übersiedelte, dort nachbauen ließ. Es führt uns plastisch die Mentalität dieses Künstlers vor, spartanisch eingerichtet mit einer Sitzbank, einem Bett, einem Kanonenofen und zwei Staffeleien - zugleich aber wirkt es wie ein dreidimensionales Mondrian-Gemälde. Die Wände sind mit den für ihn typischen Farbflächen und Linien ausgestattet, alles im rechten Winkel.

"Das war sicherlich Sinn der Sache. Mondrian hatte ja dieses Atelier quasi als dreidimensionale Vergegenwärtigung seiner so genannten neoplastischen Theorie verstanden, die ja ganz streng nach Harmonieprinzipien funktioniert - Senkrechte, Waagrechte, Nichtfarben Weiß Schwarz, Grau, Primärfarben Blau Rot, Gelb, und das setzt er um in diese Raumvision seines Ateliers, wo er ja auch Besucher aus der ganzen Welt empfangen hat. Es gibt eine schöne Fotografie, wo man Willi Baumeister und seine Frau dort mit ihm im Atelier sieht, wo dieses Atelier irgendwie als Zentrum der Abstraktion funktioniert hat."

Eine solche Identität von Leben und Werk konnte es erst im 20. Jahrhundert geben, und es musste sich im Selbstverständnis der Künstler viel tun, dass es so weit kommen konnte. Aber es musste ja auch viel geschehen mit dem Selbstverständnis der Künstler, dass sie überhaupt auf die Idee kamen, das Atelier zum Thema ihrer Bilder zum machen. Denn eigentlich ist das Atelier ja nur der Raum, in dem Kunst entsteht. Diese Kunst aber hatte ab dem 19. Jahrhundert einen anderen Stellenwert als in früheren Epochen, und also eben auch der Künstler:

"Er ist nicht mehr an Aufträge gebunden, er kann seinen Stil, seine Ausdrucksweisen frei wählen, und er muss sich deswegen auch stärker rechtfertigen. Er muss seine Kunst erklären, und da bietet sich für einen Künstler, der ja hauptsächlich über das Bild agiert, das Atelierbild ganz besonders an."

Eines der frühesten Beispiele für ein solches Bild in der Ausstellung, auf dem der Künstler im Atelier zu sehen ist, stammt von Carl Spitzweg, und der Künstler ist kein Maler, sondern ein Dichter, der "Arme Poet", und es war kein Zufall, dass Spitzweg den Künstler in einer armseligen Stube porträtierte - der Künstler, so machen die meisten dieser frühen Bilder deutlich, stellt sich außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft dar, jedenfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts:

"Es gibt das Freilichtatelier bei den Impressionisten, da können wir schön unser eigenes Bild zeigen: Der Maler Monet in seinem Atelierboot von Manet, und auf der anderen Seite gibt es dann auch die Atelierbilder, die sozusagen den Raum als Ort einer verschworenen Gemeinschaft zeigen. Bei Bazille ist das sehr deutlich: Die Impressionisten, die da stehen und diskutieren, und an der Wand hängen lauter Bilder, die vom offiziellen Salon abgelehnt wurden."

Davor gab es - etwa bei Caspar David Friedrich - die einsame Mönchsklause und als Kontrast am Ende des 19. Jahrhunderts die großbürgerlichen Selbstinszenierungen von Malerfürsten wie Lenbach oder Makart. Hier wird das Atelier zum Repräsentationsraum. Fast zum Museum. Damit setzte ein Wandel im Bild vom Künstleratelier ein. Immer stärker wurde der Künstler mit dem Raum seines Schaffens identifiziert. Da wären wir wieder bei Mondrian.

Und ab da beginnt das Atelier plötzlich ein Eigenleben zu führen. Alberto Giacometti zum Beispiel porträtierte in einer Reihe von Lithographien sein Atelier, aber genau genommen sehen wir darauf die Atelierwände, die aussehen, als wären es lauter Giacometti-Zeichnungen. Gerhard Richter bezog in dieser Hinsicht wie so oft eine ganz eigene radikale Position. Sein Atelierbild ist als Raum kaum erkennbar:

"Das Bild von Richter ist ja ganz was Tolles. Es ist einmal ein Triptychon, eine sakrale Bildform, eine Altarform, unterteilt mit zwei Säulen, und das ist der einzige Hinweis, dass das überhaupt etwas mit seinem Atelier zu tun haben könnte, denn in seinem Kölner Atelier, wo er damals gearbeitet hat, gab es diese beiden Säulen. Ansonsten ist das ganze Bild Malerei. Es ist der Schaffensprozess per se, es ist eigentlich das, was im Atelier stattfindet."

Das Atelier, so könnte man die Aussage dieses Bildes kurz resümieren, ist das Bild! Weiter kann man kaum mehr gehen, außer Bruce Nauman, der sein Atelier von verschiedenen Positionen aus eine ganze lang Nacht filmte - ohne dass er anwesend war. Das Atelier genügt sich selbst, es reicht als Kunstäußerung aus, allerdings natürlich nur, wenn es einem Künstler von Rang gehört. Und solche Ateliers werden in letzter Zeit immer häufiger rekonstruiert. Kuratorin Ina Conzen vermutet da eine Zeitströmung.

"Ich denke, das ist auch eine Sehnsucht, wieder dieses Mythos' des Schöpferischen habhaft zu werden, gerade so in unserer Gesellschaft, wo man ja doch nach Normen funktioniert, wo es auch so das Individuelle immer weniger gibt, dass man gerade in solchen Zeiten auch nach solchen Orten sich sehnt."

Informationen zur Ausstellung Mythos Atelier (27.10.12 - 10.03.13)
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