Alles löst sich in Farbwolken auf

Von Rainer Zerbst |
Drei Maler aus drei Jahrhunderten, das klingt nach krassen Gegensätzen. Doch William Turner, Claude Monet und Cy Twombley waren Brüder im Geiste - bei ihren Themen wie bei ihrem Umgang mit Pinsel und Farbe. Dies zeigt nun eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart.
Eigentlich dürften diese drei Maler nichts miteinander gemein haben. Der älteste von ihnen - William Turner - erhielt seine malerische Ausbildung noch im 18. Jahrhundert, der dritte, Cy Twombley, starb vor wenigen Monaten erst im 21. Jahrhundert. Und doch, wenn man im ersten Raum der Stuttgarter Ausstellung unter dem Stichwort Atmosphäre mit Bildern aller drei Künstler konfrontiert ist, dann meint man, drei Brüdern zumindest im Geiste gegenüberzustehen, so Christopher Conrad, der die Präsentation der Ausstellung für die Stuttgarter Staatsgalerie konzipiert hat.

"Die Abstraktion, die dem Abstrakten Expressionismus eigen ist, aus dem Cy Twombley ja schlussendlich herkommt, hilft uns sehr, das Spätwerk von Turner und Monet anders zu sehen und die Malweise eines Malens, das irgendwo zwischen Zeichnen und Malen changiert, als eigene Qualität zu verstehen. Ich glaube, viele unserer Besucher werden hinterher ganz anders in der Lage sein, sich der Abstraktion in den Werken der beiden alten Meister zu erfreuen, als sie es vorher gewesen sind, und ich kann mir vorstellen, dass sie abstrakte Qualität noch in viel älterer Kunst, zum Beispiel bei Tizian oder bei den großen Venezianern des 18. Jahrhunderts erkennen und schätzen lernen werden."

Alle drei Künstler scheinen dem Gegenstand, dem Inhalt der Bilder kaum mehr Beachtung zu schenken. Alles löst sich in Farbe auf, mehr noch, in Farbwolken. Das ist man von der Abstraktion des 20. Jahrhunderts durchaus gewohnt, das ist auch ein Kenzeichen des Impressionismus eines Monet, bei Turner aber muss es verblüffen - schließlich wurde er noch in der Hochzeit der Historienmalerei groß. Daher wird durch diese Ausstellung der Blick gerade auf ihn, wenn man ihn mit den beiden anderen vergleicht, besonders intensiv und ergiebig.

Dennoch blieb Turner - das macht der Katalogtext deutlich - bei der Darstellung bekannter Realitäten, ob das nun London ist oder die überwältigende Natur der Alpen, Venedig oder einfach nur ein Schiff auf See. Das aber gilt auch für Monet, kein Wunder, schließlich wollten die Impressionisten ja die Sinneseindrücke festhalten, und malten daher auch gern - im Unterschied zu Turner - in freier Natur. Da schieben sich Schleier vor die Sujets, ob es nun eine Londoner Brücke im Nebel ist oder die Kathedrale von Rouen im gleißenden Sonnenlicht: alle Details wirken so nivelliert.

Aber auch der Modernste in diesem Kreis, Cy Twombley, widmete sich in seiner Malerei immer wieder Themen, und zwar, wie man verblüfft feststellt, ähnlichen wie seine älteren Kollegen. Twombley wagte im 20. Jahrhundert sogar etwas, was eigentlich passé galt: Gemälde zu literarischen Themen wie Hero und Leander.

"Twombley wird sichtbar als - wenn ich das so sagen darf - alter Meister, wie jemand, der die Kunst geschichtlich sieht, ein Künstler, der ein kunsthistorisches Bewusstsein hat. Er möchte auch gern über ein Gedicht ein Bild malen können, wie man das im Barock konnte, wie man das im 19. Jahrhundert selbstverständlich getan hat. Wir finden das heute oft 'historisch', wir können uns das nur historisch herleiten, dass man überhaupt literarische Themen in der Kunst bearbeitet."

Die Stuttgarter Ausstellung betont diese inhaltlichen Verwandtschaften durch die Hängung. In Stockholm waren alle Bilder in einem großen Saal untergebracht, in Stuttgart, so Christopher Conrads Kollege Steffen Egle, sind sie auf einzelne Räumen aufgeteilt.

"Wenn Sie in den Raum 2 kommen und Sie sehen hier auf diesem wunderbaren Bild von Turner 'San Benedetto' Trauergondeln, und dann lassen Sie Ihren Blick schweifen und sehen eine skulpturale Auseinandersetzung Twombleys mit Bootsmotiven, mit Schiffen, und Sie gehen noch weiter und Sie finden diese Schiffe wieder als Chiffren oder als eine Art Schriftzeichen in monumentalen Gemälden, dann merken Sie: Da gibt es Übereinstimmungen, die in irgendeiner Form diese Werke zusammenbinden und einladen zu reflektieren."

Es bleibt aber trotz zahlreicher Themenkomplexe wie Jahreszeiten, Feuer und Wasser, Melancholie doch vor allem der Umgang mit Pinsel und Farbe, der diese drei Meister einander naher rücken lässt.

"Wenn Sie Turner und Monet vergleichen: Die Farbe wird sehr sichtbar, es ist eine Tendenz da, das Sujet gegenüber der Malerei zurücktreten zu lassen, alle diese formalen Dinge, die natürlich auch das Werk Twombleys bestimmen, der noch viel radikaler malerische Mittel einsetzt, der dann auf das Sujet ganz verzichtet."

So gelingt der Ausstellung zweierlei. Zum einen wirkt der älteste in der Runde, William Turner, fast schon wie ein Vorbote des 20. Jahrhunderts, manche seiner Bilder bestehen aus ähnlich abstrakten Farbwolken wie die Twombleys, zumindest die, in denen Turner auf die zu seiner Zeit übliche Personenstaffage verzichtete, und das gibt es durchaus häufig. Zum anderen wird deutlich, wie stark der Vertreter der Moderne, Cy Twombley, doch der Vergangenheit verpflichtet war. Und verblüffenderweise wirkt Monet, wiewohl über 60 Jahre jünger als Turner, mit so manchem Bild konventioneller als sein Kollege.

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