Dennis Duncan: "Index, eine Geschichte des"

Durch die Hintertür ins Buchuniversum

09:17 Minuten
Das Cover zeigt auf einer mittelalterlichen Illustration zwei Gelehrte um einen Baum, an dem Buchstaben wachsen.
© Antje Kunstmann Verlag

Dennis Duncan

Aus dem Englischen von Ursel Schäfer

Index, eine Geschichte des. Vom Suchen und FindenAntje Kunstmann Verlag, München 2022

376 Seiten

30,00 Euro

Von Edelgard Abenstein |
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Man hat es, man braucht es, und man nimmt es wie selbstverständlich in Anspruch: das Register in einem Buch. In einem kurzweilig-farbigen Essay stellt Dennis Duncan zum ersten Mal dessen jahrhundertealte Geschichte vor.
Es bringt Ordnung in die Fülle der Gedanken, kann eine Idee identifizieren, selbst wenn sie im Text nicht explizit vorkommt, ist aufgeschlossen für das Spiel mit Synonymen. Das Register abstrahiert, reduziert das Material, stellt Fragen, um etwas Neues zu schaffen. Es ist keine Kopie des Gegenstands. Ein System, das uns Zeit sparen hilft, weil es angibt, wonach wir suchen müssen. Namen, Orte Begriffe; inzwischen ist es in der digitalen Ära angekommen.

Eine Idee – zwei Spielarten des Registers

In einem großen Zeitbogen, vom Mittelalter bis heute, schildert Dennis Duncan, Dozent am University College in London, wie es beim Wandel vom meditativ-mönchischen Leben zur öffentlichen Existenz des kirchlichen Predigers dazu kam, dass sich die Kulturtechnik von Register und Index etablierte. Die Arten zu lesen, so zeigt Duncan auf, änderten sich, um die Lektüre für die Rede nutzbar zu machen.
Unabhängig voneinander und nahezu gleichzeitig erfanden die Universalgelehrten Hugo in Paris und Grosseteste in Oxford eine Methode, die bis heute gültig ist. Hugo beschränkte sich auf ein einziges Buch, die Bibel, und erstellte ein Register aller darin vorkommenden Worte, eine Konkordanz. Grosseteste schuf ein Sachregister, das den Inhalt von Schriften der Kirchenväter mit denen der griechischen Antike geradezu ketzerisch ins Benehmen setzte.

Vom Staunen über die Seitenzahl

"Index, eine Geschichte des" ist ein gelehrtes Werk, ohne wissenschaftlichen Anstrich. Im Plauderton schlendert Duncan durch die Zeiten, liest eine Vielzahl amüsanter Anekdoten auf, wie diejenige über im Register nach ihrem Namen fahndende Akademiker, die das Buch schlagartig fallen lassen, wenn sie nicht fündig werden. Immer wieder lässt er sich von einem durchaus mitreißenden Enthusiasmus tragen, wenn er der Erfindung der Seitenzahl – über die man lesend genauso ins Staunen gerät wie der Autor – ein ganz und gar eigenes Kapitel widmet. 
Sachbücher haben ein Register, Romane nicht. Dass das nicht in jedem Fall stimmt, illustriert Duncan knapp und prägnant. Der empfindsame Schriftsteller Samuel Richardson versieht „Clarissa“, mit mehr als einer Million Wörtern der weitaus längste Roman seinerzeit, mit einem überbordenden, einen eigenen Band beanspruchenden Register, um angeblich selbst den Überblick zu behalten. Virginia Woolfs Roman „Orlando“ tut so, als wäre er ein anderes Genre, indem Biografie im Titel und ein Register im Anhang steht - damit die Welt glaube, er handle nicht von der Liebesgeschichte zwischen Vita Sackville-West und der Autorin. Lewis Carroll parodiert in „Sylvie und Bruno“ die Registerregeln bis zur Albernheit: „Bett, Begründung sich niemals hineinzulegen“. 

Eine Lücke – die schwarze Liste des Vatikan

Nicht alles, was man in Duncans Index sucht, ist auch zu finden: So fehlt der Index des Vatikan – eine empfindliche Lücke, war er doch die berühmteste Zensurliste der Welt. Als Antwort auf Luthers Thesenanschlag und den Buchdruck entstanden, sollten katholische Christen bei Strafe der Exkommunikation von der Lektüre dort aufgelisteter Bücher abgehalten werden. 400 Jahre lang, immer wieder abgewandelt, war der päpstliche Index in Betrieb, lang genug, um aus dem Wort ein Synonym für Bevormundung, Zensur, für jede Liste verbotener Bücher zu machen.
Umso unverständlicher, dass Dennis Duncan in seiner historischen Revue über Wissenskultur gerade die Epoche ausblendet, in der das Medium Buch so gefährlich ist, dass die kirchliche Autorität mit Verboten seiner Herr zu werden versucht.

Menschliche vs. künstliche Intelligenz

Macht googeln dumm? Im Gegenteil, sagt Duncan. Und plädiert für das handgemachte Register. Das habe auch in Zeiten der digitalen Suche kein bisschen ausgedient. Künstliche Intelligenz könne es eben nicht mit der menschlichen aufnehmen.
Die Probe aufs Exempel steht am Buchende: Im Anhang ist ein computergeneriertes Register abgedruckt, es kommt mit einer guten Seite aus, führt Namen und im Text wörtlich vorkommende Begriffe auf. Der händisch erstellte Index bringt es auf drei Seiten, gleich im dritten Eintrag, „Abfällige Bemerkungen“, findet sich eine Vielzahl unterschiedlichster Verweise, darunter auf Eifersüchteleien zwischen Schriftstellern, Erasmus’ Kritik an stümperhaften Verzeichnissen oder auf satirische Scherzregister. 
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