Dennis Cooper: "Die Schlampen"

Menschen als Sexspielzeug

05:20 Minuten
Cover des Romans "Die Schlampen" von Dennis Cooper.
© Luftschacht Verlag

Dennis Cooper

Übersetzt von Raimund Varga

Die SchlampenLuftschacht, Wien 2021

252 Seiten

24,00 Euro

Von Samuel Hamen · 20.01.2022
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Eine Verstörung, eine Entdeckung: Der US-Amerikaner Dennis Cooper erzählt in lakonischer Sprache von den Perversionen der Liebe. Nach 18 Jahren erscheint sein Roman auch auf Deutsch.
Irgendwann wissen selbst die Forum-User, die bisher in "dieser bizarren und beunruhigenden Geschichte" den Überblick hatten, nicht mehr weiter. Ist Brad niemand anderes als Thad? Und ist er tot? Beziehungsweise: Ist der Junge, der sich als Brad ausgibt, tot, auch wenn er eigentlich Thad ist?
"Ich bin süchtig nach dieser endlosen Geschichte“, heißt es im Beitrag eines Users namens sammyd, „weil sie wie ein großartiger Krimi mit vielen Sexszenen ist. Ich will wissen, wie es ausgeht. Wer sagt die Wahrheit?"

Ein Roman aus Forumseiträgen und Chat-Verläufen

In Dennis Coopers Roman "Die Schlampen", der 2004 im englischen Original erschien, wird die Handlung unter anderem anhand von Forum-Beiträge erzählt. Hinzu kommen Chat-Protokolle sowie Rezensionen, die Freier nach Sextreffen auf einer Escort-Seite online stellen. Auf dem gesicherten Boden der Tatsachen befindet sich niemand, weder die Leser noch die Figuren. Alles ist perspektivisch gebrochen, absichtlich verschattet oder strategisch überbelichtet.
Im Zentrum steht der Prostituierte Brad, ein Junge, der mal auf 14, mal auf 16 Jahre geschätzt wird, laut Führerschein aber 18 ist. Angeblich will er seine letzte Fantasie Realität werden lassen: dass jemand ihn während des Geschlechtsverkehrs tötet.

Enthemmung im frühen Internet

Allmählich wird er zur Zielscheibe, zum Wunschbild und Fixpunkt einer Community von schwulen Männern, die sich in der Anonymität des frühen Internets enthemmen, während sie ihre Begierden auf ihn ausrichten:
"Er hat sich als süßen Twink und Bottom mit hungrigem Arsch beschrieben, der darauf steht, hart benützt und missbraucht zu werden. Ich sagte ihm, dass ich ein S&M-Top bin, der auf Bondage steht, und er hat mir einen Preis von $ 800 für den Abend genannt."

Keine Legitimierung von sexueller Gewalt

Das Buch gliedert sich ein in das Werk Dennis Coopers, in dessen Gay Fictions es oft um das Wechselspiel von Sex, Obsession und Gewalt geht. Explizite Beschreibungen samt Vergewaltigungen finden sich auch in diesem Fall.
Was "Die Schlampen" davor bewahrt, ein ordinärer, trivial pornografischer Text zu sein, der übergriffige Szenen als enttabuisierende oder kokett amoralische Prosa verkauft, das ist die Trostlosigkeit und Verlorenheit, die von den Postings ausgeht.
Am Anfang der Begierden, die zu Lügen und übelster körperlicher Misshandlung führen, mag einmal so etwas wie aufrichtige Zuneigung gestanden haben. Aber Liebe – ein Wort, das auffällig oft fällt – ist zum willkürlichen Füllwort für alles Mögliche geworden, für Geilheit, Selbstaufgabe und Exzess, für Begierde, Besessenheit und Intensität.

Figuren enden einsam und verloren

Von einer Idealisierung von Pädophilie, Gaslighting oder Prostitution ist Coopers "Die Schlampen" weit entfernt. Auf stille, abgekämpfte Weise trägt der Roman einen Restbestand an Menschenliebe und Humanismus mit sich herum, nur um beides an seine kaputten Figuren zu verlieren.
Zum Schluss gelangen sie alle an ein Ende, als Vereinsamte, als Verlorene in ihren brutalen Vorstellungswelten und Ermattete von der "Brad-Saga", die – gerade weil sie so unerbittlich gut geschrieben ist – nicht zur Wahrheit führen kann, wie sammyd es sich erhofft hat.

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