Wiederaufbau im Ahrtal

Kampf um die architektonischen Schätze

11:03 Minuten
Das Gebäude der Winzergenossenschaft in Mayschoß: komplett zerstört und als Trümmerfeld.
Ein Trümmerfeld: die Winzergenossenschaft in Mayschoß wurde bei der Flut komplett zerstört. © imago / Reichwein
Von Anke Petermann · 14.07.2022
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Abrissbagger sind ein alltäglicher Anblick in den Weinorten an der Ahr. Initiativen versuchen, die alte Fachwerksubstanz zu retten. Aber oft zählt nur das Kostenargument: Abriss und Neubau sind billiger als die Rekonstruktion.
Ende Juni im Weinort Mayschoß: Ein Abrissbagger zermalmt das Hauptgebäude der örtlichen Winzergenossenschaft mit ihrem stufenförmigen Giebel. Damit geht der Ursprungsbau der „ältesten Winzergenossenschaft der Welt“ verloren, so nennt sich die 150 Jahre alte Vereinigung gern.
Diese Landmarke des Ahrtals zu retten: unmöglich. Das betont Dirk Stephan, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr.

Das Herz bleibt erhalten

„Weil das wirtschaftlich keinen Sinn macht. Das ist ein Fass ohne Boden.“ Da sei ein Neubau kostengünstiger und deshalb sinnvoller. Und die 150 Jahre alte Tradition, für die das architektonische Herzstück mit den großen Sprossenfenstern stand?
„Die bleibt ja weiter bestehen. Das Herz behalten wir ja. Nur das alte Herz wird in das neue Gebäude einfließen. Auch die alten Werte werden irgendwie in das neue Gebäude wieder mit einfließen, sodass wir das erhalten können.“

Alte Substanz wird zu oft abgerissen

„Irgendwie“, sagt der Geschäftsführer. Dieses „Irgendwie“ dominiert den Wiederaufbau im Ahrtal, kritisiert Annette Bartsch, Architektin in Bad Neuenahr. Dabei sei doch eigentlich das Ziel gewesen, Modellregion zu werden. Doch dafür fehlten Gestaltungskonzepte. Nicht denkmalgeschützte, aber dennoch erhaltenswerte Bausubstanz wird zu häufig abgerissen, das finden neben Bartsch auch weitere Architekten sowie die Arbeitsgemeinschaft „Historisches Ahrtal“ und die Bürgerinitiative „Lebenswerte Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler“.
Um das zu besprechen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, hat die Bürgerinitiative die Landeskonservatorin von Rheinland-Pfalz ins Zelt der Hilfsorganisation „AHRche“ in Ahrweiler eingeladen. Rund 60 Interessierte kommen zur Wissenswerkstatt.
Der Regen prasselt heftig aufs Zeltdach, während Roswitha Kaiser ihre Sicht des Problems umreißt, von Gewitterdonner unterbrochen. In den vergangenen Jahrzehnten, sagt die Landeskonservatorin, habe der Landkreis Ahrweiler nur begonnen, eine „Denkmal-Topographie“ zu erstellen.

Defizit im Ahrtal

Eine Form- und Lagebeschreibung schützenswerter Bausubstanz, "die ja den ganzen Schatz der Region vorstellt und ihn einbettet in die Geschichte, in die Archäologie, die Geografie, in die Wirtschaftsgeschichte. Und das ist eben nicht weitergeführt worden, sodass wir schon ein Defizit haben, hier im Ahrtal, den gesamten Schatz der Kulturdenkmäler, der Kulturlandschaft darstellen zu können. Das fällt uns auf die Füße. Das muss man schon sagen. Da wird schon einiges an Verlusten zu bemerken sein.“
Verluste, die besonders schmerzen, wenn sie die kulturhistorische DNA des Ahrtals betreffen, unter anderem die eher lokale bäuerliche Tradition der Weinorte.
Markus Hartmann, Sprecher der Bürgerinitiative „Lebenswerte Stadt“, sagt: „Ich weiß, dass sich beispielsweise in Mayschoß ein bis dato relativ geschlossener Straßenzug das Dorf doch sehr stark verändern wird, weil dann Fachwerkhäuser fallen. Und ich bin mir nicht sicher, ob das sein muss, ob die Beratung ausreichend war.“

Alte Kurbad-Architektur

Hartmann hebt die Stimme gegen den anschwellenden Regen, der aufs Zeltdach niedergeht. Der Weinbau mit seinen Steilterrassen ist nur eine Besonderheit des Ahrtals, sagt Landeskonservatorin Kaiser.
„Und dann kommt im 19. Jahrhundert die zweite, die jüngere DNA dazu. Und die ist natürlich völlig verschieden von dem regionaltypischen Miteinander aus der landwirtschaftlichen Weinbautradition. Nämlich das Kurwesen“, erläutert sie.
Gemeint ist das mondäne Kurwesen mit Badehäusern, prächtigen Hotels und neobarockem Kurhaus in Schlossarchitektur. Das ausgedehnte Kurviertel liegt direkt an der Ahr und ist gravierend beschädigt.

Hier kurte schon Karl Marx

Intakt sieht zumindest von außen die 150 Jahre alte klassizistische Villa des international renommierten Neuenahrer Badearztes Richard Schmitz aus. Bis dato wurde es genutzt für die Offene Kinder- und Jugendarbeit der Stadt.
Als Kurgast ist 1877 ein „Herr Doktor Karl Marx aus London“ in Neuenahr registriert. „Ich habe hier einen sehr guten Arzt gefunden“, schreibt der damals fast 60-Jährige über Schmitz. Einen knappen Monat lang ging der Ökonom und Philosoph in der Mediziner-Villa am Rande des Kurviertels ein und aus.
Sie ist eines der architektonischen Zeugnisse der wissenschaftlich basierten Heilbadtradition von Neuenahr. Doch der Stadtrat hat befunden, die Sanierung des Hauses rechne sich nicht mehr. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit soll hier ausziehen. Verkauf samt Abriss drohen. „Die Villa ist Geschichte“, heißt es in der „Rhein-Zeitung“.

Wann ist die kulturhistorische Identität in Gefahr?

Und die Frage steht: Ab wann gefährdet das Ausmaß des Abrisses die kulturhistorische Identität des Ahrtals? Landeskonservatorin Roswitha Kaiser ermutigt die an Baukultur Interessierten im „AHRche“-Zelt, bedrohte Denkmäler zu melden.
„Sobald wir eine Information bekommen über ein Objekt, wird ein Prüffall angelegt, und wir bearbeiten das Ahrtal wegen dieses großen Verlustdruckes mit Priorität, das ist so. Dann wird schnell nachgeschaut: Haben wir Unterlagen im Hause, brauchen wir eventuell eine Begehung, und dann wir entweder ja oder nein zum Denkmalschutz gesagt.“

Freiwillige Helfer im Denkmalschutz

Ein Ja zum Denkmalschutz kann die Rettung für beschädigte Gebäude sein. Im Ahrtal mangelt es an Handwerkern und Material für den schnellen Wiederaufbau. Doch die Denkmalschutzbehörde des Kreises Ahrweiler und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) organisieren Hilfe, damit die auch touristisch wichtige historische Pracht restauriert werden kann.
Ein Instrument ist das Freiwillige Soziale Jahr in der Denkmalpflege, jetzt organisiert in „Mobilen Teams Fluthilfe“ der DSD. Seit vergangenen Herbst leisten junge Freiwillige im Rahmen dieser „Jugendbauhütten“ Hilfe in Bad Münstereifel in Nordrhein-Westfalen. Seit dem Frühjahr auch in Rheinland-Pfalz.
Mit einem überdimensionalen Quirl rührt Nelli Wotzke, Lehmfachfrau bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, einen ganz speziellen Teig an: den Innenputz für ein 250 Jahre altes Fachwerkhaus in der Altstadt von Ahrweiler.

Nur Kronleuchter künden von der alten Schönheit

1,40 Meter hoch stand das Wasser im Goldschmiede-Atelier, jetzt komplett entkernt. Nur die Kronleuchter an der Decke künden noch davon, wie schön es hier vorher war. Gemeinsam mit ihrer Anleiterin wuchtet Luka Frank einen schwarzen Gummieimer voller Lehm auf das mannshohe Gerüst an einer Wand.
Zwei freiwillige Helferinnen des "Mobilen Teams Fluthilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz" restaurieren die Innenräume eines alten Fachwerkhauses nach der Flut im Ahrtal in Rheinland-Pfalz. Eine der beiden Frauen steht auf einem Gerüst.
Nelli Wotzke (links) und Studentin Luka Frank gehören zum "Mobilen Team Fluthilfe" der Deutschen Stiftung Denkmalschutz – beide können nicht fassen, dass historisch bedeutende Gebäude abgerissen werden© Deutschlandradio / Anke Petermann
Die 21-Jährige klettert darauf, klatscht die Masse portionsweise mit einer Kelle an die Wand und erläutert: „Die Fläche ist sehr uneben, ein großer Höhenunterschied, Löcher darin, sehr uneben. Und dann bringe ich erst mal Masse auf, indem ich das einfach drauf werfe, und dann wird das geglättet.“
Vorher haben die junge Frau aus Köln und das Mobile Fluthilfe-Team im Atelier zerstörte Gefache, also die Räume zwischen den Holzbalken, neu gemauert. Und eine verputzte Balkendecke, eine sogenannte Kölner Decke, wieder freigelegt, die irgendwann abhängt worden war.
Auch sie wird restauriert, obwohl es kein Flutschaden ist, erzählt Nelli Wotzke. Die Chance, verborgene architektonische Schätze in den flutgeschädigten Gebäuden zu heben, nutzt die Stiftung Denkmalschutz mit ihren Jugendbauhütten.

Das alte Zunfthaus ging verloren

Das tröstet Goldschmiedin Petra Hagenau über die Verwüstung hinweg. „Das ist ein wundervolles Gefühl, dass so junge Menschen sich engagieren, die gehen mit ganz viel Herzblut ran, wollen viel lernen, unterstützen einen auch mental, das ist wundervoll.“
Hagenaus Haus wird außen im unteren Teil verputzt, so wie auf historischen Fotos zu sehen, das leicht vorkragende Obergeschoss zeigt freiliegendes Zierfachwerk in Silbergrau. Ein Kunstwerk von vor 1775, dem allerdings mit dem Alten Zunfthaus von nebenan der kongeniale Nachbar verloren ging.

Moderne Reihenhäuser statt Fachwerk

Luka Frank ist immer noch fassungslos, dass man an die Stelle des Zunfthauses mit seinem prächtigen Saal moderne Reihenhäuser baut.
„Der Abriss hier neben uns ist total krass. Das ist total schade, dass solche schönen Gebäude abgerissen werden und da Neubauten hinkommen. Und dann hat man hier so ein wunderschönes Fachwerkhaus, und das passt irgendwie gar nicht zusammen.“
Die angehende Restaurationsstudentin bedauert die Zerschlagung des historischen Ensembles inmitten der Ahrweiler Altstadt sehr. „Wir haben mal reingeguckt, als es noch stand, da waren die Wände total schön bemalt. Es war einfach schön, und es wird einfach so niedergewalzt.“

Keine Chance für den Denkmalschutz

Die Stadtverwaltung Bad Neuenahr hatte die Abrissgenehmigung schon vor der Flut erteilt. Keine Chance für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und ihre Jugendbauhütte, auch diesen Schatz zu heben. Die Jugendbauhütten dürfen nur in denkmalgeschützten Objekten arbeiten. Im Ahrtal, bedauert Nelli Wotzke, gebe es relativ wenige davon. Deshalb fürchtet sie, dass noch viel schützenswerte Substanz verloren geht.
Die Fluthilfeteams ermutigen Fachwerkhausbesitzer, Denkmalschutz zu beantragen. Die Auflagen seien weniger hart, als Eigentümer befürchteten, aber die Hilfsmöglichkeiten umfangreich - mit Fachpersonal, Freiwilligen, Spenden- und Fördergeldern.

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