Den Zielen "treu geblieben"

Marieluise Beck im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Die Grünen haben sich auch nach 30 Jahren im Bundestag von ihren grundlegenden Zielen nicht verabschiedet, meint die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. Zwar hätten die Ziele der Partei neu justiert werden müssen, aber die Partei sei diesen Zielen "wirklich treu geblieben".
Gabi Wuttke: Latzhosen und Sonnenblumen, das war der Anfang der Grünen. Heute vor 30 Jahren wurden sie in den Bonner Bundestag gewählt und zogen ziemlich selbstbestrickt in den Plenarsaal, wo Marieluise Beck als Fraktionssprecherin zwischen die Stühle kam - zwischen die Stühle von Helmut Kohl und Hans-Jochen Vogel. Ich habe sie gefragt, ob sie sich noch daran erinnern kann, was das für ein Gefühl war, zwischen den beiden Platz zu nehmen.

Marieluise Beck: Es hatte etwas Unwirkliches, und ich würde heute sagen, ich bin im Nachherein erstaunt, dass ich mich nicht noch viel kleiner gefühlt habe. Irgendwie müssen wir doch mit einer ziemlichen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet gewesen sein. Wir hatten eben das Gefühl, wir haben eine Mission, wir stehen auf der Seite des Guten, und das tragen wir nun in den Deutschen Bundestag, und das gibt uns auch jedes Recht, egal, wie jung oder unerfahren wir sind, dort unsere Stimme zu erheben.

Wuttke: Auf den Fotos wirken Sie ziemlich entspannt. Waren Sie das?

Beck: Es scheint so, ja, ich war jedenfalls nicht besonders ängstlich. Nun muss man sich klarmachen, dass eine so lebendige Gruppe einem natürlich auch einen großen Halt gibt, und natürlich wie gesagt das Bewusstsein, dass wir endlich die Botschaften in das Parlament hineingetragen haben, die so lange überfällig waren, und das gab uns natürlich ein mächtiges Gefühl von Kraft in den Rücken.

Wuttke: Gegenseitig Halt geben, das heißt aber nicht, dass sie nicht doch einige Machosträuße ausgefochten haben?

Beck: Aber hallo! Aber auch da war es natürlich so, dass es innerhalb der Fraktion schon einige Frauen gab, die das relativ schnell verstanden haben und sich doch ein Stück gegenseitig gestützt haben. Wir waren ja auch eine Partei mit Quotierung, die Zahl der Frauen war groß. Aber natürlich schützt eine Quotierung nicht vor informellen männlichen Machtstrukturen, und die haben sich mit rasender Geschwindigkeit herausgebildet.

Wuttke: Verewigt ist auch, dass sie sich lachend zu Otto Schily umwenden im Plenarsaal. War er wirklich der einzige Grüne, der an diesem Tag Krawatte trug? oder muss man sagen, immerhin gab es einen, der Krawatte trug?

Beck: Ich glaube, so ist es besser formuliert. Ich kann mich nicht entsinnen, dass es sonst noch irgendjemanden gegeben hätte, der diese Form von Bürgerlichkeit überhaupt gewagt hätte, vor sich herzutragen. Da gab es einen Mainstream, und der stand wirklich mehr auf Jeans und Turnschuhe.

Wuttke: Es wurde nicht immer nur gelacht in der ersten Zeit, das wissen Sie selbst am allerbesten. Sie haben es erfahren ...

Beck: Ja, ich weiß, ich habe geweint!

Wuttke: Vermissen Sie diese Emotionalität von damals manchmal, oder sind sie froh, dass das Vergangenheit ist?

Beck: Nein, also so einen Irrsinn könnte man wirklich nicht 30 Jahre unbeschadet aushalten. Das war so eine gigantische Verschwendung von Kräften, von Emotionalität, also auch Verlust natürlich an Kraft, die wir auf andere Dinge hätten verwenden können, das würde man niemals 30 Jahre so durchhalten - Fraktionssitzungen, die um 14:00 Uhr begannen und nachts um 12:00 noch nicht zu Ende waren, stellen Sie sich das mal vor.

Also: Das alles gehörte damals dazu, ich halte es für ein Wunder, dass wir es überlebt haben, und nicht unter die Räder geraten sind angesichts dieses Chaos, aber es war natürlich zwingend notwendig, dass wir zu Strukturen finden, auch, dass wir zu Hierarchien finden, so ärgerlich sie manchmal sind.

Wuttke: Was ist denn für Sie oder was war für Sie der politische Preis, die Grünen zu etablieren und den auch Nonkonformismus zur Geschichte zu machen, die Emotionalität abzulegen, die ja auch wiederum positiv betrachtet ein großes Zeichen von Authentizität war?

Beck: Ich fühle mich heute nicht weniger authentisch als früher, das muss ich Ihnen sagen, ich habe dazugelernt. Ich weiß, dass die Welt nicht so schnell aus den Angeln gehoben werden kann, wie ich mir das als junge Frau und auch die anderen vorgestellt haben. Ich weiß inzwischen, dass das gar nicht unbedingt schlecht sein muss, denn das, was wir heute aus den Angeln heben könnten, könnten morgen dann auch andere aus den Angeln heben, die ganz andere Intentionen haben.

Insofern ist der Glaube an die Mechanismen von Demokratie, die den Konsens erfordern, bei mir von Jahr zu Jahr gewachsen. Ich bin eine wirklich glühende Parlamentarierin, und ich bin der festen Überzeugung, dass die eigentlichen Ziele und Vorstellungen, die wir haben, neu justiert werden mussten. Aber dass wir ihnen wirklich treu geblieben sind.

Wuttke: Politisch gesehen, was war mit Blick auf Ihre Partei der größte Schock 1990?

Beck: 1990 war ein wahnsinniger Schock. Ich weiß, wie grausam es ist, wenn man sein Büro verlassen muss, wenn man die Akten in die Kartons packt - und es standen ja unten an den Pforten die Pförtner, die Wetten abhielten, die werden wir nie wieder sehen, oder sie kommen zurück.

Dass wir zurückgekommen sind, war wirklich eine große zweite Chance, die uns Wählerinnen und Wähler gegeben hatten, nachdem wir eine Katharsis durchlaufen hatten, und insofern war das ein wirklich großer Schock, aber er war heilsam.

Wuttke: Inwiefern?

Beck: Die irrwitzige Spannbreite, die wir in der Partei hatten, von denen, die eigentlich im Parlament gar nichts anderes wollten, als das Parlament als Bühne nutzen, und ganz fundamentalistisch sich außerhalb des Parlaments verortet hatten, und denen, die sehr wohl an die repräsentative Demokratie glaubten, die inzwischen dafür standen, dass man dafür auch Koalitionen eingehen muss, das heißt, dass man Konsense eingehen muss.

Dieser Graben und die damit verbundenen Zerreißproben waren so groß, dass sie das nicht länger ausgehalten hätten. Und es gab dann Häutungen, Häutungen bedeuten immer auch, dass man Menschen verliert an den Rändern, aber diese Häutungen waren unabdingbar, denn sonst wären wir einfach an unseren eigenen Querelen zugrunde gegangen.

Wuttke: Das ist jetzt keine sehr originelle Frage, Sie danach zu fragen, ob die Grünen anders geworden wären ohne Joschka Fischer.

Beck: Sie wären auch ohne Joschka Fischer anders geworden, er ist eine kraftvolle Outspoken-Persönlichkeit gewesen und hat die Partei ein Stück - weil er auch so unerschrocken war - vor sich hergetrieben, aber die Notwendigkeit, sich so zu transformieren, wie es letztlich gekommen ist, hat objektiv bestanden. Es würde uns einfach nicht mehr geben, wenn wir diese Transformation nicht eingegangen wären, ob mit oder ohne Joschka Fischer.

Wuttke: Dass er zur Geburtstagsparty abgesagt hat, heißt aber nicht, dass die Grünen nicht auch ohne ihn gut feiern können?

Beck: Ja, ich finde es ein bisschen schade, ich würde mir wünschen, er würde sich der grünen Familie mehr verbunden fühlen, aber auch das ist eine biografische Entscheidung, die zu akzeptieren ist.

Wuttke: In Deutschlandradio Kultur die Grünen-Bundestagsabgeordnete und erste Fraktionssprecherin der Grünen, Marieluise Beck. Besten Dank für die Erinnerung!

Beck: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Abgeordnete der Grünen, Studienrat Walter Schwenninger aus Tübingen am 29.03.1983 während der konstituierenden Sitzung des Bundestages in Bonn. Links Bundeskanzler Helmut Kohl
Der Abgeordnete der Grünen, Studienrat Walter Schwenninger aus Tübingen am 29.03.1983 während der konstituierenden Sitzung des Bundestages in Bonn. Links Bundeskanzler Helmut Kohl© picture alliance / dpa / Dieter Hespe
Die Fahne von Bündnis 90/Die Grünen weht in Kiel.
Die Fahne von Bündnis 90/Die Grünen© picture alliance / dpa / Carsten Rehder
Joschka Fischer, Außenminister a.D.
Joschka Fischer, Außenminister a.D.© Deutschlandradio - Bettina Straub
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