Das Schwarze ärgert sich Grün
Eine gefühlte Ewigkeit lang war Baden-Württemberg fest in der Hand der CDU. Doch nun steht neben dem grünen Ministerpräsidenten auch in der Landeshauptstadt Stuttgart ein Grüner an der Spitze. Die Menschen scheinen sich an den politischen Wechsel zu gewöhnen.
Wenn man wissen will, wo die Grünen in Baden-Württemberg herkommen, muss man hier suchen: Im südbadischen Wyhl, wo in den 70er-Jahren ein großes Kernkraftwerk gebaut werden sollte - und wo etwas Ungewohntes passierte: Es gab heftigen Widerstand und zwar nicht nur von den Studenten aus dem benachbarten Freiburg, sondern auch von den Weinbauern vor Ort:
"Und man hat gemerkt: wenn man sich einsetzt für die Heimat, dann ist man auch berechtigt, in dieser Heimat zu wohnen."
"Politisch sind doch inzwischen so, dass wir nicht mehr zu allem ja und Amen sagen."
Bürgerinitiativen wurden gegründet. Der Protest: eine bunte Mischung von langhaarigen Studenten und biederen badischen Weinbauern, die mit ihren Traktoren gegen die Pläne der Landesregierung in Stuttgart zu Felde zogen. Und nicht nur zu Felde, sondern auch vor Gericht, wo sie zunächst einen Baustopp erwirkten und später dann das endgültige Aus für das geplante Atomkraftwerk.
"Es war eben auch der Mittelstand"
Für den Politologen Hans Georg Wehling sind die Proteste und die entstehende Umweltschutzbewegung nicht nur Geburtsstätten der Grünen in Baden-Württemberg, sondern die Zusammensetzung der Protestierer ist auch eines ihrer Erfolgsgeheimnisse:
"Das Kernkraftwerk Wyhl, das seinerzeit geplant war n den 70er Jahren, da gab es eben eine Bürgerbewegung, eine sehr starke Bürgerbewegung, die eben nicht nur von der Universitätsstadt Freiburg gespeist wurde, sondern es war eben auch der Mittelstand, es waren vor allem auch die Winzer am Kaiserstuhl, die davon ausgingen, dass die Wolken aus dem Kraftwerk am Kaiserstuhl ihnen die Sicht auf die Sonne versperren. Also das war eine breitere Bewegung."
Wenig später, 1979/ 80 wurden die Grünen in Baden-Württemberg gegründet, im Januar 2013 sind sie hier angekommen: im großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses. Es ist der Abend, an dem Fritz Kuhn, baden-württembergischer Grüner der ersten Stunde, als Oberbürgermeister von Stuttgart vereidigt wird. Neben ihm sitzt Winfried Kretschmann, ein anderer Grüner der ersten Stunde, der seit 20 Monaten Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist.
Kuhn ist 57 Jahre alt, Kretschmann 63, die beiden älteren Herren haben in ihrem politischen Leben seit 1980 viel erlebt, aber jetzt sind sie angekommen in den beiden wichtigsten politischen Ämtern des Landes.
Die Amtseinführung des Stuttgarter OB ist ein Fest für alle Stuttgarter. Vor allem aber war sie ein Fest für die Grünen im Land. Viele langjährige Wegbegleiter von Kuhn und Kretschmann sind gekommen.
Einer von ihnen ist Rezzo Schlauch. Er war 16 Jahre zuvor ebenfalls als OB-Kandidat in Stuttgart angetreten und war dem CDU-Mann Wolfgang Schuster knapp unterlegen. Er war Fraktionschef in Berlin, Staatsminister in der ersten rot-grünen Bundesregierung und an diesem Abend freut er sich, als habe er selbst die Wahl gewonnen:
"Es war eine sehr, sehr lange Zeit und jetzt das Double Reitzenstein und Rathaus, ist natürlich für grüne Verhältnisse ja, es ist ein Traum."
Mit einem Glas Sekt in der Hand steht er im Rathausfoyer und erklärt gestenreich, dass der Erfolg der Grünen alles andere sei als ein bisschen Glück und ein bisschen Fukushima, wie es viele politische Gegner noch heute sehen:
"Das ist alles Quatsch. Sondern das war von uns, von den Akteuren, die sich in den 80er Jahren zusammengetan habe, eine glasklar entwickelte und realisierte Strategie."
Am Anfang habe die Analyse gestanden, dass es in einem konservativen Land wie Baden-Württemberg keinen Sinn macht, sich an das vorhandene linke Spektrum, also die SPD-Wähler zu richten:
"Wir müssen in das Herz der Schwarzen. Ein Beispiel: Ich habe meine politische Biografie mit sechs Jahren Landwirtschaftspolitik, und zwar harter konventioneller Landwirtschaftspolitik begonnen. Das heißt, wir sind in die politischen Aktionsfelder der Schwarze eingedrungen."
Die Zahl der Häuser ohne Kehrwoche wurde größer
In Stuttgart gab es aber noch eine weitere Bewegung, die den Weg für die Grünen ebnete: Die einst biedere Schwabenmetropole wurde seit den 90er Jahren zunehmend bunt und urban. Zum einen zogen die internationalen Firmen Menschen aus ganz Deutschland und weit darüber hinaus an; zum anderen blühte eine breite subkulturelle Szene, für die Menschen wie der Jazz-Musiker Wolfgang Dauner, der Kabarettist Matthias Richling oder der Autor Winfried Schorlau stehen. Die Lebensentwürfe der Menschen wurden vielfältiger und die Zahl der Häuser ohne Kehrwoche größer.
Die politisch einst allgegenwärtige CDU aber brauchte lange, um auf die Veränderungen zu regieren. Zu lange, meint der neue Oberbürgermeister Fritz Kuhn:
"Ich hatte eine Aktion gemacht, wo wir vernachlässigte öffentliche Flächen begrünt haben, was angepflanzt haben. In London, Berlin, New York nennt man das "urban gardening". So eine Geschichte kam bei den Grünen-Anhängern, und auch bei den Roten gut an. Weil warum soll vor einer Schule ein Hundeklo und ein Zigarettenfriedhof sein, wenn da ein ordentliches Grün wachsen kann. Und die CDU hat es im Netz erst mal abgelehnt und Hohn und Spott darüber ausgeschüttet. Das heißt, die CDU versteht als Letztes die modernen Großstadtthemen. An dem Beispiel will ich einfach zeigen, dass die Atmung des modernen großstädtischen Lebensgefühls bei der CDU verklebt ist."
Neben dem Widerstand gegen das Kernkraftwerk in Wyhl gibt es noch einen zweiten Ort, der für das Selbstverständnis der Grünen in Baden-Württemberg zentral ist: Mutlangen auf der Schwäbischen Alb, wo nach dem NATO-Doppelbeschluss 1983 Pershing-II-Atomraketen stationiert wurden.
Die Grünen in Baden-Württemberg machten einen erheblichen Teil der Friedensbewegung aus. Und auch diesmal marschierten sie Hand in Hand mit den Landwirten vor Ort, mit den Kirchen und hier auch gemeinsam mit linken Intellektuellen wie dem Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens:
"Darum hoffen wir auf viele, viele Mutlanger mit ebenso friedlichen Demonstranten und mit einer Polizei, die nach dem Aspekt der Gleichheit aller vor dem Gesetz dem sogenannten einfachen Bürger nie wird nehmen dürfen, was sie dem Prominenten zugestand: Respekt und Verständnis."
Grünes Zentrum Tübingen
Zuerst die Blockade der Kasernenzufahrt in Mutlangen, dann wenige Monte später die 108 Kilometer lange Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm. Viele Aktionen der Friedensbewegung wurden in Tübingen erdacht. Die Universitätsstadt am Neckar war und ist ein Zentrum der Grünen.
Fritz Kuhn hat hier studiert; Wolf-Dieter Hasenclever, der erste Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg war hier Lehrer; Winfried "Winne" Hermann, der heutige Verkehrsminister stammt, von hier und Chris Kühn, einer der beiden Landesvorsitzenden der Partei, lebt hier und meint, dass Tübingen noch immer eine Vordenkerstadt für die Grünen sei:
"Hier sitzen wir im Französischen Viertel, ein Viertel, das konzipiert ist, in dem das Autos keine Rolle oder kaum eine Rolle spielen, und ich denke, das ist schon auch eine Qualität, die Tübingen hat, dieses Weiterdenken, wo man auch mal was Neues entwickeln kann, wo man Zukunftskonzepte entwickeln kann und einfach mal was ausprobieren. Und damit ist Tübingen auch eine Modellstadt."
Tübingen ist zunächst eine Stadt, der es wirtschaftlich gut geht. Universität und Klinikum sind wichtige Arbeitgeber - daneben gibt es ein gut aufgestelltes Handwerk, das inzwischen über weite Strecken ökologisch orientiert ist. Dazu etwas mittelständische Industrie.
Der politische Diskurs wird hier seit Jahren von den Grünen bestimmt. Seit 2004 sind sie die stärkste Kraft im Gemeinderat und spätestens seit der Grüne Boris Palmer 2007 zum Oberbürgermeister gewählt wurde, geht nichts mehr gegen sie. Die Stadtgesellschaft, sagt Chris Kühn, sei inzwischen grün:
"Ich habe die Grünen nie für eine antibürgerliche Partei gehalten sondern für eine Partei für alle Bürger. Es gibt auch eine ganze Reihe, von Ur-Tübingern, die heute auch bei den Grünen sind und für eine Grüne Politik stehen und im Gemeinderat sind, die kommen von der Feuerwehr. Das macht auch die Grünen hier aus. Wir sind hier stark verankert."
Die Partei als Karrierenetzwerk
Stellvertretender Vorsitzender des Grünen Ortsverbandes ist Lorenz Brockmann. Er ist 25 Jahre alt, hat nach dem Abitur eine Hotelausbildung gemacht und studiert jetzt Allgemeine Rhetorik. An seiner Person lässt sich eine weitere interessante Entwicklung beobachten:
"Als die Wahl gewonnen war, wollte ich dieses Ergebnis stärken und verteidigen. Und die Möglichkeiten nutzen, die man mit einem Platz an der Regierung einfach hat. Die Grünen können jetzt gestalten, ganz anders als früher, und da wollte ich mitmachen."
Er betont zwar, dass es ihm vor alle um Sachpolitik gehe, aber klar ist, dass die Grünen inzwischen auch ein Karrierenetzwerk sind. So wie zu CDU-Zeiten die Junge Union. Auch äußerlich hat Brockmann, der mit Hemd und adrettem Sakko in seiner WG-Küche sitzt, durchaus Ähnlichkeiten mit dem Führungsnachwuchs aus Oettinger- oder Mappus-Zeiten. Auch wenn er betont, dass grüne Politik ganz anders funktioniert als schwarze:
"In Tübingen sind wir im Gemeinderat die größte Fraktion, haben dadurch einen sehr großen Gestaltungsspielraum und sind in der Lage durch Boris Palmer sehr schnell an Informationen zu kommen. Und bei Palmer merkt man ganz klar, er möchte die Politik des Zuschiebens von Informationen, das macht er nicht mit, sondern er behandelt die grüne Fraktion gleich mit den anderen Und das hat zur Folge, dass eben kein mafiöses Netzwerk entsteht bis in die Verbände und die IHK."
Tübingen ist also ein Feldversuch für die Verbreiterung der grünen Basis, dafür, dass die Partei zumindest unter bestimmten Bedingungen zu so etwas wie einer Volkspartei werden kann.
Dennoch: Groß- und Universitätsstädte wie Stuttgart, Tübingen, Freiburg oder Heidelberg sind nur der eine Teil des grünen Erfolgs. Noch immer sind große Teile von Baden-Württemberg ländlich geprägt und zumindest bislang waren die ländlichen Walkreise eine sichere Bank der CDU. Aber auch hier gibt es Bewegung, wie der Politologe Hans Georg Wehling feststellt:
"Die Grünen haben eben gerade auch auf dem Land Punkte machen können. Und der Weg von der CDU zu den Grünen ist nicht weit. Weder für die Leute, die für die Grünen stehen, noch für die Leute, die Grün wählen."
Die Kirchen und die Landwirte umarmen
Hier zeigt sich, dass die von Rezzo Schlauch beschriebene Strategie, im konservativen Lager Wähler zu suchen, aufgegangen ist. Man könnte sagen, in Baden-Württemberg konnten die Grünen nur stark werden, wenn sie auch im ländlichen Raum punkten. Im ländlichen Raum konnten sie nur punkten, wenn sie die Landwirte und vor allem die Kirche umarmen.
Hans Georg Wehling: "Was ganz entscheidend ist, dass den Grünen es gelungen ist, als Alternative zur CDU sich zu profilieren. Die CDU hat bis jetzt ihre starke Stellung dadurch gehabt, dass es eben sehr massiv katholische Bevölkerungsteile gibt. Das schwäbische Oberland zwischen der Donau und de Bodensee beispielsweise ist eine sehr stark katholisch geprägte Landschaft und für die Kirchgänger unter ihnen war niemand anders als die CDU wählbar. Das hat sich geändert. Durch die dieses Profil, das die Grünen hier im Land entwickelt haben. Jetzt hat die CDU erstmalig in diesen Gebieten Konkurrenz bekommen."
Zu besichtigen war das vor einigen Tagen beim Neujahrsempfang der Grünen in Ravensburg. Die Kreisstadt Ravensburg mit ihren rund 50.000 Einwohnern liegt zwischen Donau und Bodensee und ist damit so etwas wie das Zentrum von Oberschwaben. Hier ist die CDU zwar die stärkste Kraft, aber die Grünen sind auf Platz. Zwei und entsprechend selbstbewusst zählt der Landtagsabgeordnete und Stadtrat Manne Lucha die Besucher auf:
"Es kommen Grüne, alle Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen. Der Oberbürgermeister hat sich angesagt, die Stellvertreterin des Landrats ist da, heute kommt Frau Sitzmann aus Stuttgart, unsere Fraktionsvorsitzende im Landtag. Und ich habe schon Vertreter der Hochschulen gesehen. Also alle, die hier in der Gegend und im Städtle gern leben."
Auch Manne Lucha ist ein grünes Urgestein. Seit 1982 macht er grüne Politik in Oberschwaben und irgendwann, wie er sagt, muss der Erfolg ja kommen, wenn das Programm stimmt:
"Wir haben in Ravensburg '79 bei der Gemeinderatswahl ein grünes Mandant gehabt, '84 waren es zwei, wo sich dann eins zur ÖDP abgespalten hat, wir dann zweimal drei Sitze gehabt, das sind halt 30 Jahre Arbeit. Das ist halt das Bohren dicker Bretter."
Und den Erfolg kann man daran ablesen, dass der CDU-Oberbürgermeister Daniel Rapp nicht nur zum Neujahrsempfang kommt, sondern dass er auch sehr positiv über die Grünen spricht:
"Es war eigentlich im Gemeinderat eine gute Zusammenarbeit, geprägt davon, das man sich an der Sache orientiert. Die Grünen und die CDU sind die beiden bestimmenden Kräfte in der Kommunalpolitik, so wie das hier in vielen südost-baden-württembergischen Gemeinden schon der Fall ist."
In der ländlichen Kreisstadt Ravensburg funktioniert die Partei anders als in der Universitätsstadt Tübingen. Hier spielt nicht die politische Debatte eine Rolle, sondern das Handeln. Der Neujahrsempfang etwa findet im sogenannten Humpis-Quartier statt, einem Ensemble von mittelalterlichen Häusern in der Innenstadt, das auf Initiative der Grünen renoviert und in einen attraktiven Veranstaltungsort umgewandelt wurde:
"Ich glaub einfach, dass die Grünen wirklich bodenständig sind, halt wirklich der Bevölkerung nah, und sie kommen eigentlich aus allen Bereichen, nicht einfach aus der evangelische oder katholischen Konfession, sondern das ist von der Überzeugung her halt für die Umwelt und die Natur. Uns wird ja öfter vorgeworfen, wir sind mittlerweile so etabliert wie die anderen Parteien, das kommt einfach daher, dass unsere Programme auch angekommen sind und umgesetzt wurden. Die haben was gebracht."
Angekommen in Ravensburg aber angekommen auch im landwirtschaftlich geprägten Umland. Und hier kommt noch ein Faktor hinzu, der den Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg begünstigt. Die Landwirtschaft ist den meisten Teilen des Landes eher kleinteilig strukturiert und eignet sich schon wegen der natürlichen Begebenheiten gut für den nachhaltigen Landbau. Manne Lucha:
"Erstens haben wir natürlich hier die höchste Quote ökologisch produzierender Betriebe, und gerade wenn man auf diesen wertkonservativen Teil anspricht, wir haben ja auch mit Bewahrung der Schöpfung, wenn man christlich kommt, da haben wir Schnittmengen. Wir haben eine kleinteilige Landwirtschaft, wir haben Grünlandwirtschaft, wir brauchen biodiverse Natur, wir haben die Spannungsfeld zwischen Natur- und Kulturlandschaft wir haben nicht viel Chancen auf dem Weltmarkt, da sind die Leute nahe bei uns, da sind wir nicht weit weg von denen."
In Ravensburg ist das so, 40 Kilometer weiter südlich in Überlingen am Bodensee ebenfalls, wo der Bio-Bauer Martin Hahn für die Grünen im Landtag sitzt. Er ist mit der CDU-Oberbürgermeisterin des Städtchens liiert.
Der nächste Papst - ein Grüner?
Und noch ein weiterer Ort im Süden Baden-Württembergs steht für den Erfolg der Grünen im Land. Sigmaringen Laiz, der Wohnort von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Hier lebt der Landesvater in einem Einfamilienhaus und ist, soweit es die Amtsgeschäfte zulassen, ein ganz normaler Bürger. Und, so der Politologe Hans Georg Wehling:
"Er ist katholisch und macht da kein Geheimnis draus. Er ist sogar gut katholisch, er ist im Zentralkomitee deutscher Katholiken und im Kuratorium der Akademie der Diözese Rottenburg Stuttgart. Das sind alles Dinge, die hier im Land gut ankommen. Er wird aufgefasst als "einer von uns"."
Sonntags Kirchgänger, Mitglied im Schützenverein, Ehrenmitglied bei der Riedlinger Narrenzunft Gole, wo er pünktlich am Fastnachtsdienstag zum Froschkuttelessen kommt und auch sprachlich zeigt, wie tief er im Land, seinen Traditionen und Dialekten verwurzelt ist. Auf die Frage des Lokalreporters, ob es nach vielen Jahren in Riedlingen anders sei, seit er Ministerpräsident ist, antwortet Kretschmann:
"Wia emmer, isch koin Onderschied." -
"Koin Onderscheid, außer dass a paar Sekjurities jetzt auf sie aufpasse?"
"Jetz hani nadürlich an Haufe Sekjurities, der ganze Riedlenger Fanfarezug beschützt mich heut, des isch nadürlich ganz kommod."
Die Rolle des Landesvaters
Der heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann war für die Grünen in Baden-Württemberg bei den Landtagswahlen im März 2011 in vieler Hinsicht der richtige Mann am richtigen Ort. Nach dem quirligen Günter Oettinger und dem hemdsärmeligen Machtpolitiker Stefan Mappus sehnten sich viele im Land nach einem Landesvater. Eine Rolle, die zuletzt CDU-Mann Erwin Teufel ausgefüllt hatte:
"Also das ist natürlich wirklich ein Glücksfall, der Herr Kretschmann für die Grünen und die Bevölkerung in Baden-Württemberg halt. Weg vom Mappus und seinem Durchregieren hin zu einer wirkliche menschliche Politik und nachhaltigen, wo man nachvollziehen kann."
"Also ich denk, der wirklich noch mal einen schönen Schub gegeben, und wirklich positive Freude, dass das jetzt wirklich so ist."
Kretschmann selbst gibt sich bescheiden. Er hat seinen Politikstil einmal bei einer Kabarettpreisverleihung an Matthias Richling so beschrieben:
"Ein Hobby von mir war immer Superlative aus Pressemitteilungen raus zu streichen, da ganz einfach Indikative draus zu machen, mehr mach ich eigentlich nicht. Ich weiß schon, ich hab da riesige Umfragewerte und so, ich weiß gar nicht, was die Leute eigentlich an mir finden."
Fest steht, dass die Grünen durch ihren bodenständigen Ministerpräsidenten für noch mehr Menschen im Land wählbar geworden sind. Stand bis zur Landtagswahl die Frage im Raum, ob die Grünen es können, ein Land wie Baden-Württemberg zu regieren und ob ein Grüner es kann, ein Land wie Baden-Württemberg zu vertreten, so beantworten die meisten Menschen im Land mittlerweile beide Fragen mit einem 'Ja‘.
Der Stuttgarter Kabarettist Matthias Riechling hat Ministerpräsident Kretschmann zu einer festen Figur in seine Programmen gemacht. Seine Feststellungen über das Profil der Grünen in Baden-Württemberg und die Rolle von Kretschmann sind zwar stark überspitzt, aber im Kern treffen sie die Situation. Der Ministerpräsident ist im Augenblick für den politischen Gegner unantastbar:
"Der OB von Stuttgart ist grün. Sie sind Ministerpräsident."
"Ja!"
"Sie sind Bundesratspräsident."
"Ja!"
"Und sie sind ja auch noch im katholischen Diözesanrat, also wenn das so weitergeht ... "
"Also Sie haben recht, ich glaube, wir müssen uns wirklich drauf einstellen: bald wird ein Grüner noch Papst."
"Und man hat gemerkt: wenn man sich einsetzt für die Heimat, dann ist man auch berechtigt, in dieser Heimat zu wohnen."
"Politisch sind doch inzwischen so, dass wir nicht mehr zu allem ja und Amen sagen."
Bürgerinitiativen wurden gegründet. Der Protest: eine bunte Mischung von langhaarigen Studenten und biederen badischen Weinbauern, die mit ihren Traktoren gegen die Pläne der Landesregierung in Stuttgart zu Felde zogen. Und nicht nur zu Felde, sondern auch vor Gericht, wo sie zunächst einen Baustopp erwirkten und später dann das endgültige Aus für das geplante Atomkraftwerk.
"Es war eben auch der Mittelstand"
Für den Politologen Hans Georg Wehling sind die Proteste und die entstehende Umweltschutzbewegung nicht nur Geburtsstätten der Grünen in Baden-Württemberg, sondern die Zusammensetzung der Protestierer ist auch eines ihrer Erfolgsgeheimnisse:
"Das Kernkraftwerk Wyhl, das seinerzeit geplant war n den 70er Jahren, da gab es eben eine Bürgerbewegung, eine sehr starke Bürgerbewegung, die eben nicht nur von der Universitätsstadt Freiburg gespeist wurde, sondern es war eben auch der Mittelstand, es waren vor allem auch die Winzer am Kaiserstuhl, die davon ausgingen, dass die Wolken aus dem Kraftwerk am Kaiserstuhl ihnen die Sicht auf die Sonne versperren. Also das war eine breitere Bewegung."
Wenig später, 1979/ 80 wurden die Grünen in Baden-Württemberg gegründet, im Januar 2013 sind sie hier angekommen: im großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses. Es ist der Abend, an dem Fritz Kuhn, baden-württembergischer Grüner der ersten Stunde, als Oberbürgermeister von Stuttgart vereidigt wird. Neben ihm sitzt Winfried Kretschmann, ein anderer Grüner der ersten Stunde, der seit 20 Monaten Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist.
Kuhn ist 57 Jahre alt, Kretschmann 63, die beiden älteren Herren haben in ihrem politischen Leben seit 1980 viel erlebt, aber jetzt sind sie angekommen in den beiden wichtigsten politischen Ämtern des Landes.
Die Amtseinführung des Stuttgarter OB ist ein Fest für alle Stuttgarter. Vor allem aber war sie ein Fest für die Grünen im Land. Viele langjährige Wegbegleiter von Kuhn und Kretschmann sind gekommen.
Einer von ihnen ist Rezzo Schlauch. Er war 16 Jahre zuvor ebenfalls als OB-Kandidat in Stuttgart angetreten und war dem CDU-Mann Wolfgang Schuster knapp unterlegen. Er war Fraktionschef in Berlin, Staatsminister in der ersten rot-grünen Bundesregierung und an diesem Abend freut er sich, als habe er selbst die Wahl gewonnen:
"Es war eine sehr, sehr lange Zeit und jetzt das Double Reitzenstein und Rathaus, ist natürlich für grüne Verhältnisse ja, es ist ein Traum."
Mit einem Glas Sekt in der Hand steht er im Rathausfoyer und erklärt gestenreich, dass der Erfolg der Grünen alles andere sei als ein bisschen Glück und ein bisschen Fukushima, wie es viele politische Gegner noch heute sehen:
"Das ist alles Quatsch. Sondern das war von uns, von den Akteuren, die sich in den 80er Jahren zusammengetan habe, eine glasklar entwickelte und realisierte Strategie."
Am Anfang habe die Analyse gestanden, dass es in einem konservativen Land wie Baden-Württemberg keinen Sinn macht, sich an das vorhandene linke Spektrum, also die SPD-Wähler zu richten:
"Wir müssen in das Herz der Schwarzen. Ein Beispiel: Ich habe meine politische Biografie mit sechs Jahren Landwirtschaftspolitik, und zwar harter konventioneller Landwirtschaftspolitik begonnen. Das heißt, wir sind in die politischen Aktionsfelder der Schwarze eingedrungen."
Die Zahl der Häuser ohne Kehrwoche wurde größer
In Stuttgart gab es aber noch eine weitere Bewegung, die den Weg für die Grünen ebnete: Die einst biedere Schwabenmetropole wurde seit den 90er Jahren zunehmend bunt und urban. Zum einen zogen die internationalen Firmen Menschen aus ganz Deutschland und weit darüber hinaus an; zum anderen blühte eine breite subkulturelle Szene, für die Menschen wie der Jazz-Musiker Wolfgang Dauner, der Kabarettist Matthias Richling oder der Autor Winfried Schorlau stehen. Die Lebensentwürfe der Menschen wurden vielfältiger und die Zahl der Häuser ohne Kehrwoche größer.
Die politisch einst allgegenwärtige CDU aber brauchte lange, um auf die Veränderungen zu regieren. Zu lange, meint der neue Oberbürgermeister Fritz Kuhn:
"Ich hatte eine Aktion gemacht, wo wir vernachlässigte öffentliche Flächen begrünt haben, was angepflanzt haben. In London, Berlin, New York nennt man das "urban gardening". So eine Geschichte kam bei den Grünen-Anhängern, und auch bei den Roten gut an. Weil warum soll vor einer Schule ein Hundeklo und ein Zigarettenfriedhof sein, wenn da ein ordentliches Grün wachsen kann. Und die CDU hat es im Netz erst mal abgelehnt und Hohn und Spott darüber ausgeschüttet. Das heißt, die CDU versteht als Letztes die modernen Großstadtthemen. An dem Beispiel will ich einfach zeigen, dass die Atmung des modernen großstädtischen Lebensgefühls bei der CDU verklebt ist."
Neben dem Widerstand gegen das Kernkraftwerk in Wyhl gibt es noch einen zweiten Ort, der für das Selbstverständnis der Grünen in Baden-Württemberg zentral ist: Mutlangen auf der Schwäbischen Alb, wo nach dem NATO-Doppelbeschluss 1983 Pershing-II-Atomraketen stationiert wurden.
Die Grünen in Baden-Württemberg machten einen erheblichen Teil der Friedensbewegung aus. Und auch diesmal marschierten sie Hand in Hand mit den Landwirten vor Ort, mit den Kirchen und hier auch gemeinsam mit linken Intellektuellen wie dem Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens:
"Darum hoffen wir auf viele, viele Mutlanger mit ebenso friedlichen Demonstranten und mit einer Polizei, die nach dem Aspekt der Gleichheit aller vor dem Gesetz dem sogenannten einfachen Bürger nie wird nehmen dürfen, was sie dem Prominenten zugestand: Respekt und Verständnis."
Grünes Zentrum Tübingen
Zuerst die Blockade der Kasernenzufahrt in Mutlangen, dann wenige Monte später die 108 Kilometer lange Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm. Viele Aktionen der Friedensbewegung wurden in Tübingen erdacht. Die Universitätsstadt am Neckar war und ist ein Zentrum der Grünen.
Fritz Kuhn hat hier studiert; Wolf-Dieter Hasenclever, der erste Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg war hier Lehrer; Winfried "Winne" Hermann, der heutige Verkehrsminister stammt, von hier und Chris Kühn, einer der beiden Landesvorsitzenden der Partei, lebt hier und meint, dass Tübingen noch immer eine Vordenkerstadt für die Grünen sei:
"Hier sitzen wir im Französischen Viertel, ein Viertel, das konzipiert ist, in dem das Autos keine Rolle oder kaum eine Rolle spielen, und ich denke, das ist schon auch eine Qualität, die Tübingen hat, dieses Weiterdenken, wo man auch mal was Neues entwickeln kann, wo man Zukunftskonzepte entwickeln kann und einfach mal was ausprobieren. Und damit ist Tübingen auch eine Modellstadt."
Tübingen ist zunächst eine Stadt, der es wirtschaftlich gut geht. Universität und Klinikum sind wichtige Arbeitgeber - daneben gibt es ein gut aufgestelltes Handwerk, das inzwischen über weite Strecken ökologisch orientiert ist. Dazu etwas mittelständische Industrie.
Der politische Diskurs wird hier seit Jahren von den Grünen bestimmt. Seit 2004 sind sie die stärkste Kraft im Gemeinderat und spätestens seit der Grüne Boris Palmer 2007 zum Oberbürgermeister gewählt wurde, geht nichts mehr gegen sie. Die Stadtgesellschaft, sagt Chris Kühn, sei inzwischen grün:
"Ich habe die Grünen nie für eine antibürgerliche Partei gehalten sondern für eine Partei für alle Bürger. Es gibt auch eine ganze Reihe, von Ur-Tübingern, die heute auch bei den Grünen sind und für eine Grüne Politik stehen und im Gemeinderat sind, die kommen von der Feuerwehr. Das macht auch die Grünen hier aus. Wir sind hier stark verankert."
Die Partei als Karrierenetzwerk
Stellvertretender Vorsitzender des Grünen Ortsverbandes ist Lorenz Brockmann. Er ist 25 Jahre alt, hat nach dem Abitur eine Hotelausbildung gemacht und studiert jetzt Allgemeine Rhetorik. An seiner Person lässt sich eine weitere interessante Entwicklung beobachten:
"Als die Wahl gewonnen war, wollte ich dieses Ergebnis stärken und verteidigen. Und die Möglichkeiten nutzen, die man mit einem Platz an der Regierung einfach hat. Die Grünen können jetzt gestalten, ganz anders als früher, und da wollte ich mitmachen."
Er betont zwar, dass es ihm vor alle um Sachpolitik gehe, aber klar ist, dass die Grünen inzwischen auch ein Karrierenetzwerk sind. So wie zu CDU-Zeiten die Junge Union. Auch äußerlich hat Brockmann, der mit Hemd und adrettem Sakko in seiner WG-Küche sitzt, durchaus Ähnlichkeiten mit dem Führungsnachwuchs aus Oettinger- oder Mappus-Zeiten. Auch wenn er betont, dass grüne Politik ganz anders funktioniert als schwarze:
"In Tübingen sind wir im Gemeinderat die größte Fraktion, haben dadurch einen sehr großen Gestaltungsspielraum und sind in der Lage durch Boris Palmer sehr schnell an Informationen zu kommen. Und bei Palmer merkt man ganz klar, er möchte die Politik des Zuschiebens von Informationen, das macht er nicht mit, sondern er behandelt die grüne Fraktion gleich mit den anderen Und das hat zur Folge, dass eben kein mafiöses Netzwerk entsteht bis in die Verbände und die IHK."
Tübingen ist also ein Feldversuch für die Verbreiterung der grünen Basis, dafür, dass die Partei zumindest unter bestimmten Bedingungen zu so etwas wie einer Volkspartei werden kann.
Dennoch: Groß- und Universitätsstädte wie Stuttgart, Tübingen, Freiburg oder Heidelberg sind nur der eine Teil des grünen Erfolgs. Noch immer sind große Teile von Baden-Württemberg ländlich geprägt und zumindest bislang waren die ländlichen Walkreise eine sichere Bank der CDU. Aber auch hier gibt es Bewegung, wie der Politologe Hans Georg Wehling feststellt:
"Die Grünen haben eben gerade auch auf dem Land Punkte machen können. Und der Weg von der CDU zu den Grünen ist nicht weit. Weder für die Leute, die für die Grünen stehen, noch für die Leute, die Grün wählen."
Die Kirchen und die Landwirte umarmen
Hier zeigt sich, dass die von Rezzo Schlauch beschriebene Strategie, im konservativen Lager Wähler zu suchen, aufgegangen ist. Man könnte sagen, in Baden-Württemberg konnten die Grünen nur stark werden, wenn sie auch im ländlichen Raum punkten. Im ländlichen Raum konnten sie nur punkten, wenn sie die Landwirte und vor allem die Kirche umarmen.
Hans Georg Wehling: "Was ganz entscheidend ist, dass den Grünen es gelungen ist, als Alternative zur CDU sich zu profilieren. Die CDU hat bis jetzt ihre starke Stellung dadurch gehabt, dass es eben sehr massiv katholische Bevölkerungsteile gibt. Das schwäbische Oberland zwischen der Donau und de Bodensee beispielsweise ist eine sehr stark katholisch geprägte Landschaft und für die Kirchgänger unter ihnen war niemand anders als die CDU wählbar. Das hat sich geändert. Durch die dieses Profil, das die Grünen hier im Land entwickelt haben. Jetzt hat die CDU erstmalig in diesen Gebieten Konkurrenz bekommen."
Zu besichtigen war das vor einigen Tagen beim Neujahrsempfang der Grünen in Ravensburg. Die Kreisstadt Ravensburg mit ihren rund 50.000 Einwohnern liegt zwischen Donau und Bodensee und ist damit so etwas wie das Zentrum von Oberschwaben. Hier ist die CDU zwar die stärkste Kraft, aber die Grünen sind auf Platz. Zwei und entsprechend selbstbewusst zählt der Landtagsabgeordnete und Stadtrat Manne Lucha die Besucher auf:
"Es kommen Grüne, alle Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen. Der Oberbürgermeister hat sich angesagt, die Stellvertreterin des Landrats ist da, heute kommt Frau Sitzmann aus Stuttgart, unsere Fraktionsvorsitzende im Landtag. Und ich habe schon Vertreter der Hochschulen gesehen. Also alle, die hier in der Gegend und im Städtle gern leben."
Auch Manne Lucha ist ein grünes Urgestein. Seit 1982 macht er grüne Politik in Oberschwaben und irgendwann, wie er sagt, muss der Erfolg ja kommen, wenn das Programm stimmt:
"Wir haben in Ravensburg '79 bei der Gemeinderatswahl ein grünes Mandant gehabt, '84 waren es zwei, wo sich dann eins zur ÖDP abgespalten hat, wir dann zweimal drei Sitze gehabt, das sind halt 30 Jahre Arbeit. Das ist halt das Bohren dicker Bretter."
Und den Erfolg kann man daran ablesen, dass der CDU-Oberbürgermeister Daniel Rapp nicht nur zum Neujahrsempfang kommt, sondern dass er auch sehr positiv über die Grünen spricht:
"Es war eigentlich im Gemeinderat eine gute Zusammenarbeit, geprägt davon, das man sich an der Sache orientiert. Die Grünen und die CDU sind die beiden bestimmenden Kräfte in der Kommunalpolitik, so wie das hier in vielen südost-baden-württembergischen Gemeinden schon der Fall ist."
In der ländlichen Kreisstadt Ravensburg funktioniert die Partei anders als in der Universitätsstadt Tübingen. Hier spielt nicht die politische Debatte eine Rolle, sondern das Handeln. Der Neujahrsempfang etwa findet im sogenannten Humpis-Quartier statt, einem Ensemble von mittelalterlichen Häusern in der Innenstadt, das auf Initiative der Grünen renoviert und in einen attraktiven Veranstaltungsort umgewandelt wurde:
"Ich glaub einfach, dass die Grünen wirklich bodenständig sind, halt wirklich der Bevölkerung nah, und sie kommen eigentlich aus allen Bereichen, nicht einfach aus der evangelische oder katholischen Konfession, sondern das ist von der Überzeugung her halt für die Umwelt und die Natur. Uns wird ja öfter vorgeworfen, wir sind mittlerweile so etabliert wie die anderen Parteien, das kommt einfach daher, dass unsere Programme auch angekommen sind und umgesetzt wurden. Die haben was gebracht."
Angekommen in Ravensburg aber angekommen auch im landwirtschaftlich geprägten Umland. Und hier kommt noch ein Faktor hinzu, der den Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg begünstigt. Die Landwirtschaft ist den meisten Teilen des Landes eher kleinteilig strukturiert und eignet sich schon wegen der natürlichen Begebenheiten gut für den nachhaltigen Landbau. Manne Lucha:
"Erstens haben wir natürlich hier die höchste Quote ökologisch produzierender Betriebe, und gerade wenn man auf diesen wertkonservativen Teil anspricht, wir haben ja auch mit Bewahrung der Schöpfung, wenn man christlich kommt, da haben wir Schnittmengen. Wir haben eine kleinteilige Landwirtschaft, wir haben Grünlandwirtschaft, wir brauchen biodiverse Natur, wir haben die Spannungsfeld zwischen Natur- und Kulturlandschaft wir haben nicht viel Chancen auf dem Weltmarkt, da sind die Leute nahe bei uns, da sind wir nicht weit weg von denen."
In Ravensburg ist das so, 40 Kilometer weiter südlich in Überlingen am Bodensee ebenfalls, wo der Bio-Bauer Martin Hahn für die Grünen im Landtag sitzt. Er ist mit der CDU-Oberbürgermeisterin des Städtchens liiert.
Der nächste Papst - ein Grüner?
Und noch ein weiterer Ort im Süden Baden-Württembergs steht für den Erfolg der Grünen im Land. Sigmaringen Laiz, der Wohnort von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Hier lebt der Landesvater in einem Einfamilienhaus und ist, soweit es die Amtsgeschäfte zulassen, ein ganz normaler Bürger. Und, so der Politologe Hans Georg Wehling:
"Er ist katholisch und macht da kein Geheimnis draus. Er ist sogar gut katholisch, er ist im Zentralkomitee deutscher Katholiken und im Kuratorium der Akademie der Diözese Rottenburg Stuttgart. Das sind alles Dinge, die hier im Land gut ankommen. Er wird aufgefasst als "einer von uns"."
Sonntags Kirchgänger, Mitglied im Schützenverein, Ehrenmitglied bei der Riedlinger Narrenzunft Gole, wo er pünktlich am Fastnachtsdienstag zum Froschkuttelessen kommt und auch sprachlich zeigt, wie tief er im Land, seinen Traditionen und Dialekten verwurzelt ist. Auf die Frage des Lokalreporters, ob es nach vielen Jahren in Riedlingen anders sei, seit er Ministerpräsident ist, antwortet Kretschmann:
"Wia emmer, isch koin Onderschied." -
"Koin Onderscheid, außer dass a paar Sekjurities jetzt auf sie aufpasse?"
"Jetz hani nadürlich an Haufe Sekjurities, der ganze Riedlenger Fanfarezug beschützt mich heut, des isch nadürlich ganz kommod."
Die Rolle des Landesvaters
Der heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann war für die Grünen in Baden-Württemberg bei den Landtagswahlen im März 2011 in vieler Hinsicht der richtige Mann am richtigen Ort. Nach dem quirligen Günter Oettinger und dem hemdsärmeligen Machtpolitiker Stefan Mappus sehnten sich viele im Land nach einem Landesvater. Eine Rolle, die zuletzt CDU-Mann Erwin Teufel ausgefüllt hatte:
"Also das ist natürlich wirklich ein Glücksfall, der Herr Kretschmann für die Grünen und die Bevölkerung in Baden-Württemberg halt. Weg vom Mappus und seinem Durchregieren hin zu einer wirkliche menschliche Politik und nachhaltigen, wo man nachvollziehen kann."
"Also ich denk, der wirklich noch mal einen schönen Schub gegeben, und wirklich positive Freude, dass das jetzt wirklich so ist."
Kretschmann selbst gibt sich bescheiden. Er hat seinen Politikstil einmal bei einer Kabarettpreisverleihung an Matthias Richling so beschrieben:
"Ein Hobby von mir war immer Superlative aus Pressemitteilungen raus zu streichen, da ganz einfach Indikative draus zu machen, mehr mach ich eigentlich nicht. Ich weiß schon, ich hab da riesige Umfragewerte und so, ich weiß gar nicht, was die Leute eigentlich an mir finden."
Fest steht, dass die Grünen durch ihren bodenständigen Ministerpräsidenten für noch mehr Menschen im Land wählbar geworden sind. Stand bis zur Landtagswahl die Frage im Raum, ob die Grünen es können, ein Land wie Baden-Württemberg zu regieren und ob ein Grüner es kann, ein Land wie Baden-Württemberg zu vertreten, so beantworten die meisten Menschen im Land mittlerweile beide Fragen mit einem 'Ja‘.
Der Stuttgarter Kabarettist Matthias Riechling hat Ministerpräsident Kretschmann zu einer festen Figur in seine Programmen gemacht. Seine Feststellungen über das Profil der Grünen in Baden-Württemberg und die Rolle von Kretschmann sind zwar stark überspitzt, aber im Kern treffen sie die Situation. Der Ministerpräsident ist im Augenblick für den politischen Gegner unantastbar:
"Der OB von Stuttgart ist grün. Sie sind Ministerpräsident."
"Ja!"
"Sie sind Bundesratspräsident."
"Ja!"
"Und sie sind ja auch noch im katholischen Diözesanrat, also wenn das so weitergeht ... "
"Also Sie haben recht, ich glaube, wir müssen uns wirklich drauf einstellen: bald wird ein Grüner noch Papst."

"Nai haemmer gsait" (Nein haben wir gesagt) steht in Alemannisch auf einem Gedenkstein in den Rheinauen im Wyhler Wald© AP Archiv

Die Kehrwoche ist einer der Inbegriffe des Spießertums.© picture alliance / dpa / Arno Burgi

Eberhard-Karls-Universität Tübingen© picture alliance / dpa

Ein Grüner im Vatikan? Doch eher noch eine Stuttgarter Satire.© AP