"Demoszene" von der UNESCO ausgezeichnet

Warum digitale Kunst zum Kulturerbe wird

18:05 Minuten
Ein Commodore Amiga
Neuerdings ist sie Unesco-Kulturerbe - geboren wurde die Demoszene aus den Limitationen der Hardware, wie dem Commodore Amiga. © picture alliance / dpa Themendienst / Andrea Warnecke
Moderation: Marcus Richter und Vera Linß · 03.04.2021
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Demos sind Programme, deren Schöpferinnen und Schöpfer ihre technischen und kreativen Fähigkeiten beweisen wollen. Das Ergebnis sind quasi Musikvideos – nur eben aus Code. Diese Kunst wurde jetzt von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe ernannt.
Die Kultusministerkonferenz hat Mitte März verkündet, die "Demoszene" in das deutsche UNESCO-Verzeichnis des "Immateriellen Kulturellen Erbes" aufzunehmen. Doch von vorne:
"Die Demoszene ist eine international agierende, dezentral organisierte und nichtkommerzielle digitale Kultur. Demos, das ist eigentlich Software, die manchmal in sehr wenig Speicherplatz kleine, universelle Kunstwerke generiert. Man kann das am ehesten mit Musikvideos vergleichen, die komplett aus Software generiert werden", beschreibt Tobias Kopka sein Metier.
Kopka hat zusammen mit Andreas Lange die Initiative "Art of Coding" gegründet, der es die Demoszene zu verdanken hat, jetzt "Immaterielles Kulturerbe" zu sein. In den Programmen geht es nicht nur um das audiovisuelle Ergebnis, sondern auch um die Herausforderung, auf technischer Ebene möglichst alles herauszuholen, was möglich ist. So wird aus den Maschinen die bestmögliche Grafik herausgeholt oder die Dateien werden so klein wie möglich gehalten, ohne dabei an Qualität zu verlieren.

Der Sinn des Lebens

Von der UNESCO wurde jetzt nicht nur das Ergebnis, sondern die Szene zum Kulturerbe ernannt - also eigentlich die Menschen, die solche "Demos" programmieren, komponieren und gestalten. Zur Einordnung: Dieses Jahr wurden auch noch Streuobstanbau, Kaspertheater als Spielprinzip und Gebärdensprache in die Liste aufgenommen.
Warum so ein bunter Strauß unter ein und dieselbe Einordnung fällt, erklärt Christoph Wulf, Vorsitzender der Expertenkommission "Immaterielles Kulturelles Erbe" und Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission:
"Es gibt zwei Kulturbegriffe. Den engen hat man früher als Hochkultur bezeichnet. Also wo es um die Künste im engen Sinn geht. Und dann gibt es den weiten Begriff, den man in der Ethnologie und auch in der UNESCO verwendet. Das ist das, was Menschen erzeugen, wodurch Menschen miteinander verbunden sind, wo sie den Sinn ihres Lebens erzeugen. Es sind also Praktiken der Menschen gemeint, die Kultur hervorbringen."
Bei dieser Einordnung käme es auch nicht darauf an, dass wirklich alle die Demoszene für ein Kulturgut hielten, so Wulf. Es gehe vielmehr darum, dass es sich um eine lebendige Kultur handle, die den Leuten dahinter Freude bereite und ihnen Identität stifte:
"Das schien uns hier ganz eindeutig der Fall zu sein, zumal ja auch hier noch Innovationen erzeugt werden in der Weise, wie man mit Computerprogrammen umgeht. Damit ist Kreativität verbunden, aber auch natürlich das Erhalten und die Weitergabe von Wissen. Und dann ist natürlich ganz wichtig, dass diese Aktivitäten alle transnational sind."
Obwohl es in der Expertenjury eine lebhafte Diskussion über diese Einstufung gab, kann die Entscheidung als Auszeichnung und Neuerung gewertet werden – und als Hinweis darauf, dass auch digitale Güter und diejenigen, die sie schaffen, zunehmend als schützenswerte Kultur gelten. Genau diese ist auch ein Ziel der Initiative "Art of Coding" gewesen.

Eine lebendige Kultur

Um von der UNESCO anerkannt zu werden, ist es wichtig, dass es sich um eine lebendige Kultur handelt. Dass genau das der Fall ist, lässt sich an der Vorbereitung auf diesen Beitrag zeigen. Anekdotische Evidenz: Bei einem Aufruf unseres Moderators auf Twitter haben zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer ihre Lieblingsdemos eingeschickt.
Jemand, der diese Kunstform aktuell produziert, ist Chris Mütze alias Gizmo. Er gehört zu einer der bekanntesten deutschen Demogruppen "Farbrausch" und arbeitet an Werken, die unter anderem auf Partys wie der "Revision", auf denen sich alles um Demos dreht, gezeigt werden. Er sagt, dass in der Szene immer noch viel Spannendes passiert:
"Es gibt einen großen Kern an Menschen, die in den 90ern und frühen 2000ern dazugekommen sind. Das ist, glaube ich, der größte Teil. Aber es gibt durchaus Demoszener, die unter 20 sind."
Tobias Kopka von der Demoszenen-Initiative "Art of Coding' sieht das Verhältnis bei 60/40: Es gibt also Nachwuchs, aber ein Jugendphänomen ist die Kultur nicht.

Neue Technik, alte Herausforderungen

In ihrem Kern ist sich die Szene aber treu geblieben. Zwar sind die beschränkten Möglichkeiten der alten Heimcomputer dank Fortschritt und Innovation längst Geschichte, aber der Grundgedanke, das allermeiste aus dem Vorhandenen herauszukitzeln, gilt immer noch.
Einerseits gibt es eben immer noch Menschen, die sich mit alten Maschinen wie dem Amiga auseinandersetzen. Anderseits ist die Szene dazu übergegangen, sich neue Formate zu schaffen, indem die Größe der Programme begrenzt wurde. Zum Beispiel: Ein Demo darf nicht größer als 64 Kilobyte sein. Und dann haben sich in den letzten Jahren auch ganz neue Konzepte entwickelt, erklärt Chris "Gizmo" Mütze:
"Mein Lieblingsbeispiel ist immer das Livecoding. Das ist ein Schausport geworden. Da setzen sich Leute vorne auf die Bühne und haben 20 Minuten Zeit, zu einem DJ, der Musik spielt, Effekte zu programmieren. Zwei Leute gegeneinander. Das ist im Kern genau das, was Demoszene schon immer ausgemacht hat. Man macht Dinge, die zur Laufzeit passieren. Man versucht, das Meiste herauszuholen, mit möglichst wenig Mitteln. Das passiert seit Anbeginn der Szene, und das passiert auch immer noch."
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