Demonstrationen und Demokratie

Friedfertige Proteste sind erfolgreicher als Gewalt

06:17 Minuten
Menschen protestieren friedlich mit Musik und Gesang in Minsk, Belarus am 23. August 2020.
Friedlich protestieren Menschen in Minsk gegen das Regime von Machthaber Lukaschenko. Es gebe allerdings keinen "Mechanismus" für den Erfolg solcher Demonstrationen, räumt die Historikerin Hedwig Richter ein. © Getty / Anadolu Agency / Marina Serebryakova
Hedwig Richter im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 28.08.2020
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Umbrüche münden eher in eine feste Demokratie, wenn sie friedlich verlaufen, sagt die Historikerin Hedwig Richter. Demokratie selbst bleibe jedoch ein Projekt. Das zeige sich auch am Umgang mit den so genannten Corona-Demos.
Keine Frage: Die nicht gerade friedliche Französische Revolution hat eine wichtige Rolle in der Geschichte gespielt. Das sieht auch die Historikerin Hedwig Richter so. Allerdings meint sie auch: "Wir unterschätzen völlig friedfertige Proteste und wir unterschätzen auch Reformen."
Die Historikerin Hedwig Richter bei einer Veranstaltung zum Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht.
Die Historikerin Hedwig Richter© imago/Uwe Koch
Auch mit Blick auf die Proteste Hunderttausender Belarussen gegen das Lukaschenko-Regime sagt die Historikerin: Friedliche Transformationsprozesse hätten "viel eher" eine Chance, eine Entwicklung hin zu einer festen Demokratie zu machen als gewalttätige Proteste. Das habe die Forschung besonders für das 20. Jahrhundert quantitativ gezeigt:
"Das Interessante daran ist auch für mich als Feministin, dass bei friedfertigen Protesten der Anteil derer, die teilnehmen, viel größer ist. Es sind viel mehr junge Leute dabei, es sind viel mehr Frauen dabei. Je breiter die Schicht ist, die mitmacht, desto breiter ist auch die Zivilgesellschaft - und die ist ein ganz wichtiger Faktor für Demokratisierung."
Das habe sich beispielsweise in der DDR gezeigt. Dagegen führe ein Umsturz einer "kleinen Clique" gewalttätiger Männer oft in eine Diktatur. Innerhalb der Demokratie sieht die Historikerin ("Demokratie. Eine deutsche Affäre") aber auch ständigen Handlungsbedarf: "Demokratie ist eine Utopie und ein Projekt, an dem wir immer zu arbeiten haben." Das zeige sich in der Debatte um die so genannten Corona-Demonstrationen, bei denen die Grundrechte gegeneinander abgewogen würden.
(bth)

Die Historikerin Hedwig Richter ist seit 2019 Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Zuvor forschte sie am Hamburger Institut für Sozialforschung und war Privatdozentin an der Universität Greifswald. Richter studierte Geschichte, deutsche Literatur und Philosophie an der Universität Heidelberg, der Queen's University Belfast sowie der Freien Universität Berlin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit europäischer Geschichte, Geschlechterfragen sowie Demokratie- und Diktaturforschung.

Die vollständige Sendung mit Hedwig Richter hören Sie hier:

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