Demokratie und Frauenrechte

Afrikas Frauen stehen auf

22:45 Minuten
Mehrere Frauen in denselben gelben T-Shirts und grünen Fischerhüten strecken Holzwaffen in die Luft.
Ab dem 17. Jahrhundert waren die Amazonen von Benin für ihre Kriegs- und Kampfkunst berühmt. Diese Tradition inszenieren heute junge Frauen mit Gesängen und Tänzen. © Deutschlandradio / Dunja Sadaqi
Von Dunja Sadaqi und Antje Diekhans · 20.04.2021
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Afrikanische Frauen werden oft als arm und unterdrückt wahrgenommen. Doch immer mehr Afrikanerinnen kämpfen: für ihre Rechte, für Frieden und Demokratie. Einige sehen sich dabei in der Tradition von Kriegerinnen – wie den berühmten Amazonen von Benin.
Benin. Westafrika. Mit Knüppeln und Holzgewehren über den Schultern marschieren die Agojie-Kriegerinnen singend in den Innenhof des alten Palastes. Sie tragen knallgelbe Gewänder, grüne Hüte, weiße Pluderhosen und grün-rote Gürtel um die Hüften – und sie singen sich warm für den Krieg. Zumindest war das 200 Jahre lang so.
"Dieser Knüppel steht symbolisch für die ersten Waffen der Amazonen, die sie nutzten, um in den Krieg zu ziehen. Damit töteten sie die Feinde. Heute nutzen wir das nur noch für Rituale und Gebete", sagt Victorine Sagbadjou und zeigt auf einen etwa einen Meter langen Holzknüppel mit aufgemaltem Gesicht in ihrer Hand.
"Ich bin in das Korps eingetreten, bevor ich Mutter geworden bin. Das ist nun 40 Jahre her. Und solange ich noch die Kraft habe, trainiere ich weiterhin die, die jünger sind als ich."

Kämpferinnen wie ihre Vorfahren

Victorine bildet heute noch junge Frauen aus, die traditionelle Kriegerinnen werden wollen: Agojie, Amazone oder Mino – die wohl weltweit einzigartige Frauenarmee hat viele Namen. Ein Teil davon zu sein, erfülle die Frauen heute noch mit Stolz, sagt Victorine.
"Ich bin eine Amazone nach dem Bild der Krieger unter der Herrschaft des damaligen Königs Guezo. Derzeit gibt es rund 50 Amazonen und wir gehen nur für wichtige Zeremonien aus. Heute gibt es keinen Krieg mehr, daher ist es unsere Aufgabe zu demonstrieren, was die ersten Amazonen unter König Guezo taten. Wir inszenieren diese Demonstrationen durch Lieder und Tänze. Manchmal zerreißen wir Schafe oder Hühner, um zu zeigen, wie unsere Amazonen-Vorfahren Feinde auseinandergerissen haben. Dies, um dem Königreich zu beweisen, dass wir noch zu viel fähig sind. "
Holzstich aus dem 19. Jahrhundert: Afrikanische Kriegerinnen überqueren einen Bach.
So stellte man sich im kolonialen Europa die Amazonen des Königs von Dahomey vor (Holzstich, 1877(© picture-alliance / akg-images / Paul Almasy
200 Jahre nach dem Ende der Kultur der Kriegerinnen, die ankommende Europäer nach der griechischen Mythologie "Amazonen" nannten, hallen ihre Gesänge immer noch in Abomey wider, wenn auch nur bei symbolischen Auftritten und Tänzen.
Abomey war einst die Hauptstadt eines der reichsten Königreiche Afrikas: Dahomey – das heutige Benin. Hier in einem Palast des aktuellen Königs kann man immer noch Wandgemälde der Kriegerinnen bestaunen. Sie sind martialisch. Sie zeigen Kriegerinnen, die männliche Gegner auf ihren Schultern davontragen oder sie mit riesigen Macheten in Stücke reißen. Die Kriegerinnen waren ab dem 17. Jahrhundert für mehrere Jahrhunderte lang berühmt, ihre Kriegs- und Kampfkunst berüchtigt, erklärt der beninische Historiker Dieudonne Gnamankou:
"Es waren zunächst Elefantenjägerinnen. Für große königliche Feste jagten sie Elefanten, um so viel Fleisch für Tausende Menschen zu gewährleisten. Die Frauen waren Bestandteil der Armee. Es gab ganze Regimenter aus Frauen: Soldatinnen, Offizierinnen, Kommandantinnen, Generalinnen. Weil sie eine Eliteeinheit waren, wurden sie zur königlichen Schutzarmee in den Palästen und laut einigen mündlich überlieferten Traditionen haben Königinnen beim Thronantritt Frauen dazu aufgerufen, ihre königliche Leibwache zu werden."

Über-Feministinnen im Krieg

Einige Historiker bezeichnen die beninischen Amazonen als Über-Feministinnen. Berichten zufolge forderten die Soldatinnen, die sich stärker als das männliche Geschlecht wähnten: Frauen für den Krieg, die Männer für die Bestellung der Felder.
"Es war eine Eliteeinheit. Sie intervenierten im Krieg nicht sofort. Sie griffen erst ein, wenn die Armee der Männer den Feind nicht besiegen konnte, dann wurden die Amazonen in die Kriegsgebiete geschickt. Das machte sie schnell berühmt. Ihr Status in der Armee verbesserte sich, sie wurden wichtiger. Am Anfang waren es Hunderte von Frauen, später Tausende."
2018 entdeckte auch Hollywood die Geschichte der beninischen Amazonen für sich. Der Kassenschlager "Black Panther" ließ in dem fiktiven afrikanischen Hightech-Königreich Wakanda die Kriegerinnen auferstehen: Black-Panther-Star war die kenianische Schauspielerin Lupita Nyong'o. Sie reiste damals für eine Fernsehreportage des britischen Channel 4 nach Abomey und war beeindruckt von den alten Wandgemälden vor Ort:
"Ich habe nicht erwartet, ernsthaft Panther zu sehen! Auf der Spitze des Hügels auf diesem Abbild sieht man zwei überkreuzte Schwerter, die eine Scherenform bilden, das erinnerte mich an den Filmruf 'Wakanda forever' - das ist so cool. Und es symbolisiert auch die Agojie-Frauen, die die Beschützerinnen des Königreichs waren. Verrückt."
Durch den Hollywood-Blockbuster Black Panther fiel weltweit wieder Licht auf die fast vergessene Geschichte der Amazonen in Benin – eine waschechte afrikanische feministische Erfolgsgeschichte. Aber ins echte 21. Jahrhundert haben es die Agojie-Kriegerinnen nicht geschafft. Im 19. Jahrhundert nahmen die Franzosen Abomey ein und bereiteten dem Königreich und seinen Amazonen ein Ende. Dahomey gibt es heute nicht mehr, die dortige Königsfamilie hat keinerlei politische Macht mehr. Und auch das feministische Erbe der Amazonen ist verblasst: Auf dem "Gender Inequality Index" liegt Benin auf Rang 148 von 162.
Trotzdem bleibt die Geschichte der Agojie-Kriegerinnen ein Vorbild für viele afrikanische Frauen, die heute auf dem Kontinent für Gleichberechtigung und Teilhabe kämpfen, wenn auch mit anderen Mitteln.

Die politische Macht ist in Männerhand

Es ist eine Tatsache: Auf dem afrikanischen Kontinent regieren noch immer vor allem Männer. Viele von ihnen kleben schon seit Jahrzehnten an der Macht. So auch Yoweri Museveni in Uganda, der seit mehr als 35 Jahren das ostafrikanische Land führt. Doch auch wenn er gerade erst wieder eine Wahl gewonnen hat, wird der Widerstand gegen den Langzeit-Präsidenten größer. Eine der stärksten und lautesten Stimmen gegen ihn gehört einer Frau:
Stella Nyanzi im Gerichtssaal. Sie muss sich mal wieder wegen Präsidentenbeleidigung verantworten. Sie nutzt den Saal als Bühne und schleudert ihren Anklägern ein kraftvolles "Es lebe die Opposition" entgegen – wofür ihre Anhänger sie feiern.
Anthropologin, Vorkämpferin für die Rechte von Homosexuellen und Transpersonen, Politikerin, Frauenrechtlerin, Poetin. Die 46-Jährige ist die bekannteste Aktivistin Ugandas. Mit spektakulären Auftritten hält sie seit Jahren die Öffentlichkeit in Atem. Dabei suche sie eigentlich gar nicht die große Bühne, meint Stella Nyanzi.
"Ich bin überraschenderweise ein sehr ruhiger Mensch. Manchmal zwingt uns nur das Leben zum Reden."
Zurzeit zwingt es die Aktivistin dazu, sich zu verstecken.

Sich einmischen ist lebensgefährlich

Eine einfach eingerichtete Wohnung im Nachbarland Kenia ist seit ein paar Wochen ihr Zuhause. Zusammen mit ihrer Familie hat sie Zuflucht in einem sogenannten Safe House gefunden – einem sicheren Haus, dessen Adresse ihre Gegner nicht kennen sollen. Zuvor waren ihr Wahlkampfmanager und ihr Lebenspartner in Uganda verschleppt und misshandelt worden, sagt sie.
"Zu meinem Glück gab es Leute, die uns sehr schnell in Sicherheit bringen konnten. Die Entführungen gehen weiter."
Stella Nyanzi in bunter Kleidung im Gerichtssaal, umgeben von anderen afrikanischen Frauen. 
Ein Gedicht, das Stella Nyanzi über die Vagina der Mutter des ugandischen Präsidenten schrieb, brachte die Feministin vor Gericht. (Archivbild, 2017).© imago-images / ZUMA Press / Sumy Sadurni
Bei den Wahlen Anfang 2021 in Uganda war Stella Nyanzi für eine Oppositionspartei angetreten. Die Politik hatte zu diesem Zeitpunkt erst ein paar Jahre ihr Leben bestimmt. Davor war es lange Zeit die Wissenschaft. Stella Nyanzi studierte in Ugandas Hauptstadt Kampala, dann ging sie nach London, wo sie promovierte. Ihr Forschungsthema war die Sexualität von Frauen in Afrika. Außerdem setzte sie sich mit geschlechtsspezifischer Machtpolitik auseinander. Die sollte sie bald am eigenen Leib erfahren. Zu dieser Zeit war sie an einer Universität in Uganda beschäftigt. Sie fühlte sich ausgebeutet und ausgenutzt von ihren Vorgesetzten – allesamt Männer. Zum ersten Mal griff Stella Nyanzi zu einer ungewöhnlichen Art des Protests. Sie demonstrierte nackt auf dem Campus.
"Ich musste mich nur einmal öffentlich ausziehen, und alle Medienvertreter kamen angerannt. Nicht nur aus Kampala, sondern aus ganz Uganda. Mit meinem Telefon habe ich Bilder von mir bei Facebook hochgeladen. So hat die ganze Welt meinen großen Busen gesehen, wie er protestiert."

Provokation als Kampfansage

Das war vor fünf Jahren. Inzwischen hat Stella Nyanzi die Kunst der Provokation perfektioniert. Sie setzt sie auch gegen Langzeit-Präsident Yoweri Museveni ein. Ein Gedicht, das sie über die Vagina seiner Mutter schrieb, brachte ihr einen von mehreren Prozessen ein.
"Ich habe geschrieben, dass ich wünschte, seine Mutter hätte ihn bei der Geburt zu Tode gequetscht. Das war eine Metapher, eine Anspielung darauf, wie er unsere Wirtschaft zerquetscht und zerstört. Dann schrieb ich, die Schamhaare seiner Mutter hätten ihn strangulieren sollen – so wie er junge Menschen stranguliert, denen er jede Chance auf eine Arbeitsstelle nimmt."
Doch all die Kämpfe haben bei Stella Nyanzi Spuren hinterlassen. Von ihrer ersten Festnahme verfolgen sie immer noch Albträume. Polizisten warfen sie damals in ein Auto und verschleppten sie. Als sie vor Angst ohnmächtig am Boden lag, traten sie auf sie ein. Auch mehrere Gefängnisaufenthalte musste sie durchmachen, verurteilt wegen Präsidentenbeleidigung. Die Aufseherinnen misshandelten und demütigten sie. Mehrmals kam sie in Isolationshaft, fand aber auch dort einen Weg zum Protest.
"Ich habe meine Handschellen aus Metall genutzt, um eine lange Protest-Erklärung in die Wand zu ritzen. Ich habe geschrieben: Ihr könnt mir Handschellen anlegen, aber ihr werdet meine Seele nicht gefangen nehmen."

Frauen gegen Polizeigewalt

Stella Nyanzi verfolgt inzwischen klar politische Ziele. Auch wenn es bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen nicht geklappt hat – die Regierung von Präsident Museveni soll gestürzt werden.
"Die Leute haben mich starrköpfig genannt. So unabhängig, dass es mir selbst nur schadet. Aber was wäre die Alternative? Einfach aufzugeben?"
Das kommt für sie nie in Frage.
Stella Nyanzi lässt sich nicht zum Schweigen bringen. So wie immer weniger Frauen auf dem Kontinent.
"Beendet SARS - sie rauben uns aus" - steht auf zahlreichen Plakaten im Oktober 2020. Tausende vor allem junge Menschen in Nigeria ziehen durch die Großstädte des Landes. Der Auslöser: Videos in sozialen Medien. Sie zeigen Polizeibeamte, die unbewaffnete Bürger drangsalieren und sogar töten. Am Pranger steht mal wieder eine Polizei-Spezialeinheit, die eigentlich Bürger vor schweren Gewaltverbrechen wie Raub schützen soll: Der SARS-Einheit wird Machtmissbrauch, Korruption, Vergewaltigung und sogar Mord vorgeworfen - das alles jahrelang dokumentiert von Menschenrechtsorganisationen.

2020 war das Jahr des Frauenprotests

An vorderster Front der Protestbewegung: Frauen. Wie Maryam Yunusa aus der Hauptstadt Abuja. Vor allem Mädchen und Frauen, die vorher unpolitisch waren, sei 2020 der Kragen geplatzt, sagt sie.
"Frauen wird nicht erlaubt, den Mund aufzumachen, ihre Schmerzen zu teilen, und wenn sie es tun, wird es als Tabu gesehen. Aber jetzt sehen wir: Frauen sind dessen müde, Frauen sind wütend, Frauen sind frustriert. Jetzt fühlen Frauen, dass sie diesen Schmerz nicht länger für sich behalten können."
In sozialen Netzwerken werden einige der protestierenden Frauen sogar zu Ikonen stilisiert: So wie Aisha Yesufu. Im Netz kursieren Fotos von ihr: Sie in erster Reihe, kniend in einem grauen Gewand und Hijab. Vor ihr eine Wand von schwer bewaffneten Polizisten. Die Frau streckt die geballte Faust in die Luft. Aisha Yesufu, Mittvierzigerin und zweifache Mutter, begrüßt den Einfluss der Protestbewegung gegen Polizeigewalt.
"Sie hat die Psyche der Nigerianer verändert", sagt sie. "Es gab einen Paradigmenwechsel. Ich glaube nicht, dass Nigerianer wieder zu den alten Zeiten zurückkehren werden, speziell die jungen Leute, bei denen es diese Gleichgültigkeit gab gegenüber den Ereignissen im Land. Viele hatten aufgegeben. Und sind jetzt erwacht."

#Bringbackourgirls: Freiheit für die Entführten

Aisha Yesufu ist keine unbekannte Demonstrantin. Sie ist Mitinitiatorin und eine der führenden Stimmen einer anderen von Frauen geführten Protestbewegung in Nigeria. #Bringbackourgirls. Die Bewegung, die sich seit 2014 für die Freiheit der von Boko Haram entführten Chibok-Schulmädchen einsetzt. Fast 100 der Schulmädchen gelten bis heute noch als vermisst. #bringbackourgirls fand international Unterstützerinnen, darunter viele Prominente wie die frühere First Lady Michelle Obama.
An einer Straße sind Plakate mit den Namen der von Boko Haram entführten Mädchen aufgehängt. Darüber eine große Werbetafel mit der Aufschrift "Bring back our girls NOW".
Seit der Entführung von 276 Schulmädchen durch Boko Haram 2014 kämpft die Initiative #BringBackOurGirls (BBOG) für deren Befreiung.© picture alliance / NurPhoto / Olukayode Jaiyeola
International machen Frauen in Nigeria oft Schlagzeilen als Opfer von Terrorgruppen wie Boko Haram oder beispielsweise von Beamten und Vorgesetzten, die sie sexuell belästigen und vergewaltigen. 2020 war in Nigeria ein Protestjahr der Frauen: Im Sommer gingen sie zu Tausenden gegen Missbrauch auf die Straßen. Aktivistin Aisha Yesufu sagt, organisierter Protest von Frauen sei nachhaltig und erfolgreich. Aber in Nigeria fehle der Respekt vor Frauen, selbst innerhalb nationaler Proteste, wenn Frauen "unsichtbare" Care-Arbeit in der Organisation verrichteten, wie sie sagt. Diskriminierung gebe es auf allen Ebenen.
"Es ist, als ob wir nur mit einem Bein laufen, denn die Hälfte der Bevölkerung wird an den Rand gedrängt. Frauen werden wie Spielzeug behandelt. Da ist es normal für viele, eine Frau zu schlagen. Es gibt Frauen, die getötet werden, weil sie mit Mädchen schwanger sind, es gibt Mädchen, denen der Zugang zu Bildung verweigert wurde, es gibt Frauen mit Uniabschluss, die von ihren Ehemännern von der Arbeit abgehalten werden, denn Frauen werden hauptsächlich als Vieh gesehen, das da ist, um es zu besitzen. Das muss aufhören – und das muss in den Familien anfangen."

Hoffnungen liegen auf der jungen Generation

Aisha Yesufu sieht Hoffnung in der jungen Generation, weil diese durch soziale Medien und die neuen Protestbewegungen viel lauter ihre Forderungen stelle. Zu dieser jungen Generation gehört auch die Feminist Coalition, eine Nichtregierungsorganisation für die Rechte von Frauen, die maßgeblich die Proteste unterstützt hat. Eine Anhängerin ist Maryam Laushi:
"Die Feminist Coalition hat bei der Verwaltung der Geldmittel geholfen. Leute haben gespendet und die Feminist Coalition hat die Bewegung im ganzen Land unterstützt – Arztkosten bezahlt, die Demonstrierenden mit Essen versorgt. Und das zeigt, dass Frauen zu so etwas in der Lage sind und der Schlüssel für ein besseres Nigeria sind."
Die Feminist Coalition ist ein Netzwerk, gegründet von Unternehmerinnen aus der Techbranche, um Frauen in Nigeria zu unterstützen: gegen Gewalt, rechtlich, finanziell oder um ein Business aufzubauen. Dieselben Frauen waren es auch, die für die Protestbewegung mobilisierten. Ihr Online-Protest über Instagram, Twitter, Facebook, Whatsapp und Co. hielt die Bewegung wochenlang in den Straßen, unterstützt durch Influencerinnen, DJanes, Musikerinnen, Bloggerinnen.
Ihre Crowdfunding-Initiativen finanzierten sowohl Essen als auch medizinische Versorgung der Demonstranten. #EndSARS ist auch dadurch zu einer der größten Protestbewegungen in Nigerias Geschichte herangewachsen. Die umstrittene Polizei-Spezialeinheit wurde aufgelöst, ein Opferfonds soll Betroffene entschädigen, eine Untersuchung zu Gewalt durch Sicherheitskräfte während der Proteste 2020 wurde eingerichtet. Viel habe sich im Alltag der Menschen aber nicht verändert, sagt die Analystin Faiza Nasiru Jao. Polizeigewalt sei weiterhin ein großes Thema, genau wie Gewalt gegen Frauen. Dennoch:
"Die Jugend hat alle geschockt mit ihrem Durchhaltevermögen, auf den Straßen zu bleiben und Recht zu fordern. Das erste Mal in Nigerias Geschichte haben junge Leute eine Koalition geformt. Wir haben gesehen, dass die Jugend für Gerechtigkeit zusammenkommt und Fragen stellt zu Problemen, die nicht thematisiert werden und sogar die Aufmerksamkeit der Regierung darauf lenken. Ich sage: Es ist erst der Beginn dieser Art von Protest. Davon werden wir mehr und mehr sehen, bis die Forderungen ernst genommen werden."

"Wir sollten alle Feministinnen sein"

Die #EndSARS-Bewegung beschreiben Expertinnen als ein Gegenmodell zur alten, politischen Elite im Land: Sie ist techaffin, jung und weiblich. Neue Gesichter auf der internationalen Bühne geben Frauen in Nigeria zusätzlich neuen Mut. Wie die Wahl von Ngozi Okonjo-Iweala, die als erste Frau, Afrikanerin und Nigerianerin seit Jahresbeginn die Welthandelsorganisation leitet und damit klassische Rollenbilder in Nigeria in Frage stellt. Auch die preisgekrönte Buchautorin Chimamanda Ngozi Adachie pusht über die Förderung afrikanischer Literatur die Auseinandersetzung mit Themen wie Rassismus, Kolonialgeschichte und Sexismus in Nigeria.
Porträt der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. 
Chimamanda Ngozi Adachie fördert die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Sexismus in Nigeria (Archivbild).© picture alliance / Jane Mingay / PA Wire
Wir alle sollten Feministinnen sein – dieser Satz machte die preisgekrönte Schriftstellerin international berühmt, sodass auch Musikgrößen wie die US-amerikanische Sängerin Beyoncé Adichies Reden in ihren Songs wiedergibt.
Demonstrantin Maryam Yunusa sieht sich selbst nicht als Feministin wie Adichie, sagt sie. Die Proteste hätten sie trotzdem bestärkt.
"Wir Frauen tragen zu allem bei! Insbesondere bei Arbeiten, die nicht bezahlt werden. Wir haben nun Plattformen in sozialen Medien, wo Frauen ihren Schmerz teilen können. Die Augen der Frauen sind nun offen und im Gegensatz zu vorher kennen sie ihre Rechte!"
Das Infragestellen von sexistischen Rollenbildern und Diskriminierung im Alltag ist für viele Afrikanerinnen allerdings nicht nur ein anstrengender Marathon. Es kann auch gefährlich werden. Die afrikaweiten Frauen, deren Stimmen immer lauter werden, um Mensch und Natur zu schützen, bezahlen ihren Mut oft mit dem Leben.

Josephines Einsatz gegen Wilderei

Josephine Ekiru ist eine Frau, die scheinbar sieben Leben hat. Sie kämpft in Kenia gegen die Wilderei von Elefanten. Und sie engagiert sich, um verfeindete Volksgruppen zu versöhnen. Beides Aufgaben, die ihr Anerkennung, aber auch viele Feinde einbringen. Ihr Leben war schon mehrfach bedroht. Was Josephine Ekiru mehr anzuspornen als einzuschüchtern scheint.
In einem Wildschutzgebiet versucht sie mit Schnalzlauten, eine Elefantenkuh auf sich aufmerksam zu machen. Aber die schwergewichtige Dame dreht ihr das Hinterteil zu und macht sich mit ihrem Nachwuchs, einem kleinen Elefantenbullen, auf in die andere Richtung.
Josephines Begleiter Julius Lokinyi lacht. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Dabei waren sie vor einigen Jahren noch Gegner. Der berüchtigtste Wilderer in Kenia, der Dutzende Elefanten tötete. Und Josephine Ekiru, eine Frau, die mit ganzem Einsatz für die Dickhäuter kämpft. Eines Tages lockten Julius und seine Mitstreiter Josephine in einen Hinterhalt.
"Ich hatte keine Ahnung, dass es eine Falle war, als sie mich anriefen. Aber als ich ankam, richteten alle ihre Waffen auf mich und bedrohten mich."
Josephine ging auf die Knie. Sie betete um ihr Leben und redete auf die jungen Männer ein. Versuchte zu erklären, warum sie die Elefanten schützen will.
"Wir hatten Mitleid mit ihr", erinnert sich Julius Lokinyi. "Wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätten wir sie erschossen. Wir haben ihr gesagt, dass sie uns in Ruhe lassen soll. Aber sie war einfach nicht abzuwimmeln. Immer wieder kam sie zurück."

Schutz der Natur und Friedensarbeit liegen nah beieinander

Mit ihrer Hartnäckigkeit konnte Josephine schließlich Julius überzeugen, mit der Wilderei aufzuhören. Und nicht nur das: Er wechselte komplett die Seiten. Heute gehört er zu Kenias Wildhütern. Josephine Ekiru sieht das als einen ihrer größten Erfolge. Dabei ist sie schon einen ziemlich weiten Weg gegangen. Schon als Kind wünschte sie sich, als Naturschützerin zu arbeiten, wurde dann aber mit 16 Jahren erst einmal für einen üppigen Brautpreis verheiratet.
"Er zahlte 40 Schafe und zwei Kühe. Damit war es offiziell, dass ich ihm gehörte."
Sie bekam schnell hintereinander zwei Kinder. Doch sie wusste, dass sie mit dieser traditionellen Rolle nicht glücklich würde. Sie überzeugte ihren Ehemann, die Verbindung aufzulösen. Und nahm einen Job beim "Northern Rangelands Trust", einer Tierschutzorganisation in Nordkenia, an. Gleichzeitig begann sie mit Friedensarbeit.
In der Region gibt es immer wieder blutige Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen, die sich Weideland oder den Zugang zu Wasser streitig machen. Josephine geht vor allem auf die Frauen zu. Singt mit ihnen Lieder über Frieden und ruft sie dazu auf, ihre Männer vom Kämpfen abzuhalten. Doch auch mit diesem Engagement tritt sie vielen auf die Füße.
"Es gibt Leute, die davon profitieren, wenn es Auseinandersetzungen gibt. Denen bin ich im Weg. Ich störe den Handel mit Elfenbein. Und ich mache die Geschäfte mit Gewehren und Kugeln kaputt."

"Nur wenn wir schweigen, werden wir untergehen"

Mehrfach wurde inzwischen auf ihr Auto geschossen. Bewaffnete Männer brachen bei ihr ein – aber sie war nicht zu Hause. Josephine glaubt, dass gute Geister sie schützen. Denn schließlich habe sie noch eine Aufgabe zu erfüllen.
"Du brauchst gar keine großartigen Dinge, um etwas zu verändern. Es reicht schon, im Kleinen etwas zu unternehmen. Nur wenn wir schweigen, werden wir untergehen."
Schweigen – das tun afrikanische Frauen schon lange nicht mehr, entgegen ihrem Image in internationalen Medien. Dort und in vielen Köpfen gelten sie als unterdrückt, arm und abhängig – oft mit Konflikten und Gewalt konfrontiert. Doch das ist nur ein Teil der Realität. Der Alltag sieht für viele Afrikanerinnen längst komplexer aus: Sie prägen die Politik ihres Landes, werden Präsidentinnen, kämpfen an vorderster Front für Frieden und Freiheit, sind Umweltaktivistinnen, gelten als Garant für Entwicklung, führen Weltwirtschaftsorganisationen an und prägen internationale Unterhaltungsindustrien.
Viele von ihnen fühlen sich wie Kriegerinnen – wie die Amazonen in Benin, die über 200 Jahre lang als Soldatinnen für den Schutz von Heimat und Frieden berühmt waren. Moderne Beispiele mutiger Afrikanerinnen muss man nicht lange suchen.
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