Demenzkranke

Hürden auf dem Weg zu mehr Verständnis

Eine Demenzkranke Frau legt die Karten eines Spiels zu dem Satz "wer bin ich" zusammen.
Demenz: Wenn es schlimm kommt, geht auch die eigene Identität verloren © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Saskia Weiß im Gespräch mit Nana Brink · 20.08.2015
Die Sensibilität für die Probleme von Demenzkranken nimmt laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zu. Dennoch bleibt viel zu tun. So könnten unter anderem noch deutlich mehr Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr, Banken und Geschäften geschult werden, um Demenzkranke zu erkennen und entsprechend zu handeln.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat Schulungsmaterialien für Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr, Banken und dem Einzelhandel erstellt, doch das Material wird offenbar nicht ausreichend genutzt. Es sei schwierig, an die Zielgruppen heranzukommen, sagt die Sozialpädagogin und Mitarbeiterin der Gesellschaft, Saskia Weiß. Zwar wachse die Sensibilität für die Probleme von Demenzkranken – überall vorhanden sei sie aber noch nicht, so Weiß. Und wenn Vorgesetzte in einer Bank oder einem Geschäft ihre Mitarbeiter nicht für eine Schulung freistellten, müssten die Angestellte diese dann in ihrer Freizeit machen – das sei "eine größere Hürde". Dabei gehe es um ein gesamtgesellschaftliches Problem, betont Weiß. 1,6 Millionen Demenzkranke gibt es derzeit laut Bundesgesundheitsministerin in Deutschland, und ihre Anzahl könnte sich bis 2050 verdoppeln. Es wäre also sinnvoll, wenn Supermarkt-Mitarbeiter wüssten, was zu tun ist, wenn ein Kunde drei Mal am Tag kommt und immer das Gleiche kauft.

Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Bis zu 1,6 Millionen Menschen sind heute in Deutschland an Demenz erkrankt, das schätzt das Bundesgesundheitsministerium. Und ihre Zahl könnte sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Die Krankheit betrifft dann immer mehr Menschen, sei es als Erkrankte oder eben auch als Angehörige oder als Umfeld, in dem sich ja viele Demenzkranke bewegen. Vorgestern haben wir ja mit dem Slam-Poet, dem Bühnendichter Lars Ruppel gesprochen, er schult Pflegende und bringt ihnen bei, neue Gedichte einzusetzen.
O-Ton Lars Ruppel: Die haben natürlich nicht immer Lust auf Poesie, so wie jeder andere auch. Und das passiert eben in der Fortbildung, dass ich Lust mache auf Sprache, dass ich sage, guck mal hier, das ist ein tolles Spielzeug, damit kannst du richtig Spaß haben, und es ist auch ein ganz wichtiges Werkzeug für deine Pflege.
Brink: Also, neue Wege denken in der Pflege, aber nicht nur Pflegende brauchen Schulungen, auch andere Berufsgruppen brauchen ja ein bisschen mehr Hilfe vielleicht im Umgang mit Demenzkranken. Die Sozialpädagogin Saskia Weiß arbeitet für die Alzheimer Gesellschaft und hat sich genau damit beschäftigt. Guten Morgen, Frau Weiß!
Saskia Weiß: Guten Morgen!
Brink: Der Pfleger, der mit Demenzkranken zu tun hat, der wird ja vielleicht schon geschult, das liegt auf der Hand. Was ist aber zum Beispiel mit den Supermarktangestellten, müssen die wissen, wie man mit Demenzkranken umgeht?
Demenzkranke kaufen manchmal mehrmals am Tag das Gleiche ein
Weiß: Na, müssen ist die Frage, aber schön wäre es natürlich. Wenn man denn merkt, es kommt jemand dreimal am Tag, kauft immer das Gleiche ein oder hat Probleme mit dem Bezahlen an der Kasse, dann wäre es natürlich schön, wenn man auch weiß, da könnte eine Demenzerkrankung im Hintergrund sein und wie gehe ich mit demjenigen um.
Brink: Nun schulen Sie ja Berufsgruppen. Welche Berufsgruppen schulen Sie?
Weiß: Also, wir schulen selber nicht, aber wir haben ein Handbuch entwickelt vor drei, vier Jahren, wo wir Schulungsmaterialien entwickelt haben für die Polizei, für Mitarbeiter der Feuerwehr, Mitarbeiter des Einzelhandels und der Banken.
Brink: Was genau machen Sie, was steht in diesen Schulungsunterlagen drin, welche Hilfe können sie geben?
Weiß: Das sind im ersten Teil grundlegende Informationen zum Krankheitsbild, die die Teilnehmer der Schulungen erhalten. Und im zweiten Teil ist das so ein praktischer Teil, also wo wir spezielle Fallbeispiele aus dem Arbeitsalltag der entsprechenden Gruppen aufführen, die man dann in den Schulungen bearbeitet, im Rollenspiel, in Gruppenarbeit. Wobei ich sagen muss, die Teilnehmer bringen meistens so viele eigene Beispiele mit aus ihrer täglichen Praxis, dass man die vorgegebenen gar nicht braucht.
Brink: Können Sie uns ein paar Beispiele nennen, damit wir es ein bisschen mehr verstehen können?
Weiß: Ja klar. Das ist zum Beispiel bei der Polizei, dass jemand anruft, und das vielleicht auch des Öfteren, weil er meint, sein Portemonnaie ist gestohlen worden. Das kommt im Rahmen von einer Demenzerkrankung ja häufig vor, dass die Betroffenen ihre wertvollen Dinge verlegen, nicht mehr wiederfinden und dann natürlich das Gefühl haben, sie sind bestohlen worden. Und das endet nicht selten auch in einem Anruf bei der Polizei.
Oder dass jemand den Weg nicht nach Hause findet und die Angehörigen sich melden und eine Vermisstenanzeige aufgeben sozusagen und man denjenigen dann vielleicht auch in einem relativ verwirrten Zustand auf der Straße aufgreift. Oder auch dass er auffällt jemandem aus dem Umfeld, weil er im Schlafanzug auf der Straße ist. Das sind ja so ganz gängige Beispiele.
Den Einzelhandel hatten wir ja schon kurz, wenn jemand mehrmals täglich kommt, das Gleiche einkauft oder Probleme hat an der Kasse, oder auch in der Bank, wenn jemand offenkundig nicht mehr mit dem Geldautomaten klarkommt oder den Überweisungsträger nicht mehr ausfüllen kann. Das wären so Beispiele.
Die Sensibilität wächst - auch in den Medien ist das Thema präsenter
Brink: Wie ist denn die Resonanz darauf, auf Ihre Unterlagen? Sind die Leute froh? Also, das könnte ich mir vorstellen, dass man, weil man ja auch unsicher ist, wie man damit umgehen soll.
Weiß: Richtig, genau. Also, wenn denn Schulungen durchgeführt werden, sind die Teilnehmer immer sehr dankbar und froh und auch, wie gesagt, haben ganz viele eigene Beispiele und Fragen. Und es sind immer ganz positive Rückmeldungen. Ich muss aber auch dazu sagen, es ist relativ schwierig, an die Zielgruppen heranzukommen. Also, wir machen die Schulungen ja nicht selber, aber die Multiplikatoren, die das Material bei uns erwerben sozusagen, die Rückmeldungen, die wir bekommen, sind nach wie vor so, dass es eben schwierig ist, überhaupt die Schulungen anbieten zu können.
Brink: Warum ist das so schwierig Ihrer Meinung nach?
Weiß: Na ja, es gibt eben ganz, ganz viele andere Themen auch in der Tätigkeit, die man hat. Man hat seine ganz normale Arbeit und die Sensibilität für das Thema Demenz und dass das im Grunde genommen ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, die ist dann vielleicht doch noch nicht überall gegeben. Und wenn die Vorgesetzten die Bankangestellten nicht freistellen für so eine Schulung oder die Mitarbeiter im Einzelhandel, das dann in der Freizeit zu machen, das ist dann schon eine größere Hürde.
Brink: Aber Sie merken, dass die Sensibilität zunimmt?
Weiß: Definitiv, definitiv. Also, das ist ja auch, dadurch, dass das Thema in den Medien sehr viel präsenter ist als noch vor ein paar Jahren, ist das ja schon was, worum man weiß, dass es viele Demenzkranke gibt, dass es immer mehr geben wird und dass die eben nicht alle in Heimen leben, sondern dass die meisten zu Hause versorgt werden, und das über eine sehr lange Zeit. Und dass dann großer Unterstützungsbedarf da ist.
Brink: Und dass Wegsperren keine Lösung sein kann. Herzlichen Dank! Die Sozialpädagogin Saskia Weiß arbeitet für die Alzheimer Gesellschaft und stellt Schulungen her für den Umgang mit Demenzkranken. Danke, Frau Weiß, für das Gespräch!
Weiß: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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