Demenzcafé

Mit Schillers "Glocke" ins Klönen kommen

Ein Buch für Demenzkranke vom SingLiesel-Verlag.
Buch für Demenzkranke: Auch im Alter muss das Interesse für Literatur nicht ausbleiben. © dpa / picture alliance / Ronald Wittek
Von Katrin Albinus · 21.09.2015
Mit der Kampagne "Konfetti im Kopf" sollen Demenzkranke und Gesunde einfacher zusammenkommen. In Hamburg zum Beispiel in zwei extra gegründeten Cafés. Dort werden auch Gedichte zitiert. Manches vor langer Zeit erlernte kommt da wieder zum Vorschein.
Jan und Elke: "Oho, Chapeau, Spagetti - Hihi, alles Paletti - Haha, Tschaka, Konfetti..."
Das Lied hat das Zeug zu einem Schlager, geht ins Ohr, reißt mit. Hier, im Garten des Konfetti-Cafés gut 30 Männer und Frauen. Sie bewegen die Lippen oder singen laut mit.
Die Idee zum Lied ist entstanden, als der Gast Emilio Enders und Musiktherapeut Jan Sommer auf einer Weihnachtsfeier im Café zusammen saßen.
Sommer: "Ich hatte so 'ne Melodie gespielt und Emilio hatte den Eindruck, da sollte noch Text dazu so, ja. Und das war so der Keim des Konfetti-Songs. Wir haben ihn noch ein bisschen begossen gemeinsam, den Keim, ja, mit Ouzo oder so."
Emilio: "Wir gießen den Keim."
Jan: "Ja, genau, da wird daraus ein Reim!"
Emilio kann gut reimen. Und genau das soll heute geübt werden. Mit der Schriftstellerin Daniela Chmelik. Sie will Gedichte vortragen, anschließend mit den Gästen welche erarbeiten. Emilio Enders hatte vor einigen Jahren eine neurologische Erkrankung. Er rechnet damit, selbst vielleicht einmal dement zu werden:
"Für mich ist das interessant, einfach mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen und für sich selber auch etwas mit zu nehmen. So also, wie soll ich sagen, als Abhärtung, falls es einen auch mal trifft."
Schiller gibt Stoff für neues Gedicht
Chmelik: "Hallo, ich möchte gerne anfangen, ich hab Gedichte mitgebracht. So, jetzt kommt der Schiller. (Gelächter) Den muss man auf einem Stuhl deklamieren: 'Festgemauert (alle: "in der Erde") steht die Form, aus Lehm gebrannt (Leute sprechen mit), heute muss die Glocke werden (Frau: Kenn ich nicht), frisch Gesellen, seid zur Hand, von der Stirne heiß, rinnen muss der Schweiß.'"
"Die Glocke", ein langes Gedicht. So lang, dass einige Gäste wieder ins Klönen kommen. Andere aber sprechen Teile mit, geben Kommentare:
Chmelik: "Wehe, wenn sie losgelassen, wachsend ohne Widerstand."
Mann: "... durch die stillgelegten Gasse... "
Chmelik: "...durch die vollstbelebten Gassen wälzt den ungeheuren Brand."
Frau: "Hujujui!"
Chmelik: "Denn die Elemente hassen das Gebild der Menschenhand."
Anschließend geht Daniela Chmelik von Tisch zu Tisch, sucht das Gespräch und nutzt die Antworten als Futter für ein Gedicht.
Chmelik: "Was hat Ihnen gut gefallen?"
Mann: "Ich?"
Ch.: "Ja."
M.: "Ich hab der die abe ebelebedemi dimilib dimitili ergezählt."
Ch: "Die Libi mit? Ja."
M.: "Aber man sollte doch aber mal gucken, wenn der Kerl, dann müsste man ihn tragen gehen, er hat das gegegebereit."
Ch.: "Gebereit?"
M.: "Ja."
Ehefrau: "Er wird heute sehr gesprächig."
Ch.: "Ja, das ist schön. Das kommt vielleicht von den Gedichten. Ja?"
M.: "Ja."
Ehefrau: "Diese Wiederholungen usw., das tut gut. Das Bekannte, womit man was anfangen kann."
Im Konfetti-Café weiß keiner sofort, wer dement ist
Rainer Gehrkens ist 79, hat früher selbst gerne gelesen. Als seine Frau eines Tages nach Hause kommt, trifft sie ihn ganz unglücklich an, weil er nicht mehr versteht, was er liest. Er geht zum Arzt, macht Tests, seitdem nimmt die Erkrankung ihren Lauf. Die schwerste Zeit hat das Ehepaar hinter sich, ihre Besuche im Café können heute beide genießen.
Gehrkens: "So wie ich jetzt staun', wie er heute so fröhlich ist. Ja. Ich bin dann frei, kann ihn auch mal sitzen lassen und das konnte ich vor zwei Jahren überhaupt nicht."
Daniela Chmelik hat in der Zwischenzeit ein Gedicht auf ihrer Schreibmaschine zusammen geschrieben, Sätze von Rainer Gehrkens aufgegriffen und eigene ergänzt.
"Die Libi mit liest zwischen den Zeilen, die Sonne ist da, will sich nicht beeilen. Oja, das kann man ja umstellen. Den Baum nicht fällen, ich brauch seinen satten Schatten, den Kerl muss man tragen, mehr will ich nicht sagen. "
Rainer: "Ja?"
Wie viel Rainer tatsächlich versteht, weiß keiner. Alle aber sehen, wie sehr er die gute Stimmung genießt. Deshalb möchte er auch noch bleiben, als seine Frau zum Aufbruch drängt.
Nach drei Stunden sind viele weg, Elke Kramper vom Konfetti-Team setzt sich. Sie ist Heilpraktikerin und hat in Wohneinrichtungen für Demente gearbeitet. Das Besondere am Café ist auch, dass man als Gast zunächst gar nicht weiß, wer dement ist, und wer nicht, erzählt sie. So kommt man leichter in Kontakt, baut Barrieren ab, schafft mehr Normalität:
"...dass gerade auch die Dementen sich hier so selbstverständlich fühlen können und ganz frei... und das merkt man auch, wenn wir zum Beispiel Tanznachmittage haben, dann tanzen hier Menschen auf ihre ganz eigene Art und Weise, ganz ähm, ganz... hemmungslos, sag ich mal. Und es macht auch richtig Spaß."
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