Deichkind zur WM

"FIFA treibt das Vieh zusammen"

Mitglieder der Band Deichkind stehen am 28.08.2013 auf der Bühne der Trabrennbahn in Hamburg.
Deichkind verhöhnen alles, was den Deutschen zur lieben Sommerzeit heilig ist. © dpa / picture alliance / Sven Hoppe
Von Florian Werner · 04.07.2014
Schwarz-rot-geil? Von wegen! In ihrem WM-Song "Ich hab eine Fahne" zerlegen die Hamburger Elektropunker von Deichkind die deutsche Fußballbegeisterung. Eine bitterböse Kulturkritik, die sogar Adorno gefallen hätte.
"Ich hab eine Fahne, ich hab, ich hab eine Fahne
Ich hab eine Fahne, ich hab, ich hab eine Fahne"
Okay, wir haben verstanden: Die MCs der Hamburger Gruppe Deichkind haben, wie sie nicht müde werden zu betonen, eine Fahne, sind also offenbar große Anhänger der deutschen Nation und der deutschen Nationalmannschaft − oder?
"Ich hab eine Fahne, und die steck ich jetzt in Brand!"
Im Gegenteil: Offenbar geht es den rappenden Elektropunkern um eine Verunglimpfung des Staats und seiner Symbole − die gemäß Paragraf 90a des deutschen Strafgesetzbuchs immerhin mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden kann. "Wer eine öffentlich gezeigte Flagge der Bundesrepublik Deutschland (...) entfernt, zerstört, beschädigt, unbrauchbar oder unkenntlich macht oder beschimpfenden Unfug daran verübt", heißt es dort, wird bestraft. Allerdings treiben Deichkind ihren beschimpfenden Unfug noch viel weiter:
"Pack die Tiere auf den Grill, mach die Rasenheizung an,
Sklave bau den Tempel auf, FIFA treibt das Vieh zusammen,
Einen Monat Tunnelblick, Triple-Korn, Doppel-Sechs,
Schmier die Farben ins Gesicht, Selfie mit'm Pischifleck."
Nicht nur die "schwarz-rot-geile" Fahne - auch alles andere, was den Bundesdeutschen zur lieben Sommerzeit heilig ist, wird von den Deichkindern verhöhnt: Das Grillen wird als Tiermord identifiziert, der Stadionbau als moderne Form der Sklaverei, die Fußballvermarktung als Viehhaltung – und die WM-Begeisterung als Folge einer kollektiven Wahrnehmungsverengung sowie von höchstprozentigem Alkohol. Das gibt auch dem eingangs strapazierten Begriff der "Fahne" eine völlig neue Bedeutung:
"Ich hab eine Fahne − oh das riecht ja interessant.
Oh, oh, einer noch, ich will noch nicht geh'n,
Ich trinke, also bin ich, ich lass meine Fahne weh'n,
Oh, oh, einer noch, power to the beer!
Niveau, weshalb, warum? Weswegen bin ich heute hier?"
Textfetzen aus Tony Marshalls Suffhymne "Einer geht noch rein", ein verfremdetes Zitat des Philosophen René Descartes, eine Parodie auf den 60er-Jahre-Slogan "Power to the people" sowie das Wer-wie-was-Titellied der Sesamstraße: Alles wird hier in einer rauschhaften Textcollage miteinander vermengt, durch den Mixer gejagt und schließlich von einem Mahlstrom aus Alkohol weggerissen – bis selbst am Strand von Rio nicht mehr das vielbesungene "Girl from Ipanema" ihre Reize ausübt, sondern nur noch ein kühles Bier lockt:
"Beer from Ipanema!
Bier Pokal, Bier Bier Pokal
Spiel egal, Bier Bier Pokal
Bier Pokal, Bier Bier Pokal
Spiel egal, Pokal!"
Am Schluss, so das Fazit dieser Rundumkritik an der WM und ihren Wurmfortsätzen, ist wirklich alles gleichgültig geworden: Die Zuschauer sind betrunken, betäubt, betrogen − es kommt, um es mit einer Formulierung von Theodor W. Adorno zu sagen, zu einer "Uniformierung des individuellen Handelns, Denkens und Fühlens". Mit dem Inhalt von Deichkinds Kritik an der Sport- und Kulturindustrie wäre der Philosoph, so dürfen wir vermuten, durchaus einverstanden gewesen. Mit der musikalischen Form hingegen − wahrscheinlich eher nicht.