Deepa Anappara: "Die Detektive vom Bhoot-Basar"

Ein junges Trio erklärt das arme Indien

06:42 Minuten
Cover von Deepa Anapparas "Die Detektive vom Bhoot-Basar" vor Deutschlandfunk Kultur Hintergrund.
Deepa Anappara nutzt eine Entführungsgeschichte, um die Leser mit dem Alltag in illegalen provisorischen Armensiedlungen in Indien vertraut zu machen. © Rowohlt / Deutschlandradio
Von Johannes Kaiser · 08.04.2020
Audio herunterladen
Millionen Inder in den Slums kämpfen täglich ums Überleben. Deepa Anappara erzählt im Roman "Die Detektive von Bhoot-Basar“ aus der Sicht dreier junger „Ermittler“ von einem solchen Armutsviertel. Doch plötzlich verschwinden mehrere Kinder spurlos.
Die winzigen Hütten in den illegalen, ständig von Räumung bedrohten Slums, sogenannten Bastis, besitzen weder fließend Wasser noch Toiletten. Ihre Bewohner, eine rechtlose Armee billiger Arbeitskräfte, lebt in ständiger Furcht vor der Polizei. Die meisten Tage macht dichter Smog das Atmen schwer.
In einem dieser Bastis am Rande einer nordindischen Großstadt im Schatten moderner Hochhäuser, in denen die wohlhabende Mittelschicht wohnt, lebt der neunjährige Jai, ein lebhafter Junge mit einer blühenden Fantasie. Er sieht sich und seine beiden Gefährten, den gleichaltrigen muslimischem Freund Faiz sowie die ältere, weitaus klügere Freundin Pari als Detektive. Sie sollen Verbrechen in ihrem Viertel aufklären.

Ein Trio kleiner Detektive

Jai ist keine große Leuchte, denn er hat keine Lust zu lernen, sieht lieber fern und am liebsten "Police Control" und "Live Crime", Sendungen, in denen wahre Fälle nachgestellt werden und kluge Inspektoren Verbrecher jagen.
Sie sind die Vorbilder des Möchtegern-Detektivs, der sich gerne als Anführer ihres kleinen Trios sieht, aber in Wirklichkeit von der weitaus clevereren Pari ständig ausgestochen wird. Als ein Klassenkamerad von Jai und Faiz verschwindet, machen sie sich zusammen mit Pari auf die Suche.

Hindu Fanatiker beschuldigen Moslems

Ihr Aktionsgebiet ist der kleine Basar ihres Viertel, der Bhoot-Bazar. Seine Läden und Garküchen bieten den Anwohnern alles, was sie zum Leben brauchen. Doch nirgendwo eine Spur. Die Polizei lässt sich zwar bestechen, um aktiv zu werden, unternimmt aber nichts. Dann verschwindet ein 16-jähriges Mädchen.
Fanatiker der Hindu-Partei beschuldigen Moslems der Entführungen. Doch schließlich werden auch zwei muslimische Kinder vermisst. Und eines Tages trifft es auch Jais Familie. Seine ältere Schwester kommt abends nicht mehr nach Hause.

Sozialstudie indischer Unterschicht

Deepa Anapparas Roman wird durch Jais kindlich naive, aber sehr lebendige Beschreibung seiner Umwelt auch zu einer Art Sozialstudie der indischen Unterschicht. Jedes der verschwundenen Kinder wird einzeln vorgestellt. Jedes stammt aus einem anderen Haushalt.
So arm alle gleichermaßen sind, so verschieden sind doch die individuellen Lebensverhältnisse. Jedes dieser Schicksale ist einzigartig.
Deepa Anappara nutzt diese auf einer wahren Geschichte basierende Entführungsgeschichte tatsächlich sehr überzeugend, um ihre Leser mit dem Alltag in diesen illegalen provisorischen Armensiedlungen vertraut zu machen, die es überall in Indien am Rande der Städte gibt.

Erzählt aus der Perspektive der Kinder

Indem sie aus der Sicht der Kinder schreibt, kann die Autorin das Leben mit einer gewissermaßen unschuldigen Perspektive beschreiben. So begreift Jai nicht, warum der Slumlord, ein Parteigänger der Hindu-Partei, die Situation ausnutzt, um gegen Muslime zu hetzen. Immerhin ist sein bester Freund ein Moslem. Doch genau dieser Konflikt gehört derzeit zu den drängendsten Problemen Indiens.
Deepa Annapparas Debütroman führt in eine Welt, die bunt und lebendig, leidenschaftlich und dramatisch, kurzum zutiefst menschlich ist. Dabei geht es der Schriftstellerin nicht um billiges Mitleid. Mitgefühl zeichnet ihre Geschichte aus.
Sie endet anders als Bollywood Filme nicht mit einem Happy End. Das entspricht wohl am ehesten der Wirklichkeit. Glück ist in diesen Armenvierteln ein seltener Gast.

Deepa Anappara: Die Detektive vom Bhoot-Basar
Aus dem Englischen übersetzt von Pociao und Robert de Hollanda
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020
399 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema