Debatte um Tweets von Siegfried Reiprich

Forderungen nach dem sofortigen Rücktritt

11:51 Minuten
Siegfried Reiprich, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Siegfried Reiprich, steht seit einem NS-Vergleich auf Twitter unter Druck. © Stiftung Sächsische Gedenkstätten / Foto: Steffen Giersch
Jens-Christian Wagner im Gespräch mit Vladimir Balzer |
Audio herunterladen
Wegen eines NS-Vergleichs ist der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Siegfried Reiprich, unter Druck geraten. Zu seinen Kritikern gehört auch der Historiker Jens-Christian Wagner. Reiprich sei nicht mehr tragbar, sagt er.
Wegen umstrittener Äußerungen auf Twitter gerät der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Siegfried Reiprich, zunehmend unter Druck. In einer gemeinsamen Presseerklärung fordern verschiedene Leiterinnen und Leiter von Gedenkstätten in Deutschland seinen sofortigen Rücktritt. Sie wollen nicht bis zum 30. November warten.
Der ehemalige Bürgerrechtler hatte am Montag mit Blick auf die Ausschreitungen gegen Polizisten und Plünderungen in Stuttgart vom vorletzten Wochenende getwittert: "War da nun eine Bundeskristallnacht oder 'nur' ein südwestdeutsches Scherbennächtle?"
Tags darauf sorgte er auf derselben Plattform für weitere Irritationen, indem er weiße Menschen als bedrohte Minderheit darstellte. Reiprich war bereits früher wegen seiner Amtsführung in die Kritik geraten.
Auch Jens-Christian Wagner fordert Reiprichs sofortigen Rücktritt. Er ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland sowie Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Die Novemberpogrome von 1938 mit einer Randale in Stuttgart gleichzusetzen, sei "generell nicht tragbar" - und schon gar nicht "für jemanden, der an der Spitze einer Gedenkstättenstiftung sitzt und verantwortlich für die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in einem Bundesland wie Sachsen ist", erklärt Wagner.

Sorge um die Glaubwürdigkeit

Besagte Tweets seien zudem kein Einzelfälle. Regelmäßig hätten Reiprichs Retweets eine rechtskonservative, rechtspopulistische oder sogar rechtsextreme Ausrichtung, so Wagner.
Auch die Entwicklung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten bereite nicht nur ihm, sondern auch seinen Kolleginnen und Kollegen Sorge: "Beide deutsche Diktaturen als totalitäre Diktaturen zu bezeichnen und damit grundlegende Unterschiede zu verwischen - das kann gar nicht funktionieren."
Hier würden letztlich "die wissenschaftlichen Grundlagen unserer Arbeit verlassen", sagt der Historiker und mahnt:
"Da wird es dann ganz gefährlich, weil die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit ganz wesentlich daran hängt, dass das, was wir tun, historisch sauber und nach allen Regeln der Quellenkritik hergeleitet wird."
Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, spricht in der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Für den Leiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, verlässt Siegfried Reiprich wissenschaftlichen Boden.© dpa
Wagner versteht Gedenkstättenarbeit als "historisch-politische Intervention im öffentlichen Raum", vor allem angesichts einer breiten gesellschaftlichen und politischen Umbruchsituation nach rechts. Man dürfe nicht einfach nur darauf warten, dass Besucherinnen und Besucher in die Gedenkstätten kommen.

Aktuelle Probleme historisch betrachten

"Wir können und sollen meines Erachtens auch unsere Stimme erheben, wenn zum Beispiel im Mittelmeer Schiffe mit Flüchtlingen untergehen und es zu Todesfällen kommt. Da können wir auch etwas dazu sagen, aber eben immer aus der Geschichte hergeleitet."
Im Oktober wechselt Wagner nach Thüringen und tritt dort die Nachfolge von Volkhard Knigge als neuer Leiter der Gedenkstätte Buchenwald an. Damit zieht er in ein Bundesland, in dem die AfD sehr stark ist.
Man müsse eben dorthin, wo es am meisten weh tut, sagt der Historiker.
Mehr zum Thema