Debatte um Militärrabbiner

Brauchen jüdische Bundeswehrsoldaten Seelsorger?

08:53 Minuten
Ein Bundeswehrsoldat mit grauen Haaren und in Uniform sitz mit einer Kippa am 3. April 2019 in Berlin unter den Zuhörern der Konferenz des Zentralrats der Juden zu Militärrabbiner bei der Bundeswehr.
In der Regel toleriert: Als religiöses Symbol ist die Kippa nach dem deutschen Soldatengesetz eigentlich verboten. © Picture Alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Igal Avidan · 03.05.2019
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Rabbiner bei der Bundeswehr könnten dabei helfen, antisemitische Vorurteile abzubauen. Beispiele gibt es in Frankreich und den Niederlanden. Fraglich ist allerdings, ob die wenigen jüdischen Soldaten die Geistlichen überhaupt um Rat bitten würden.
Katja Götz beschloss 2011, Zeitsoldatin zu werden. Die Ärztin konnte ihren Militärdienst mit ihrem Judentum problemlos in Einklang bringen. Dabei handelte sie pragmatisch, zum Beispiel was den Dienst am Schabbat und an jüdischen Feiertagen betrifft.
"Man könnte natürlich prinzipiell seine Feiertage frei bekommen. Da ich aber als Ärztin so oder so an Feiertagen gearbeitet habe, habe ich das so gehalten, dass ich an den christlichen Feiertagen gearbeitet habe und versucht habe, zu den jüdischen dann frei zu haben. Medizinische Arbeit an den Feiertagen ist durchaus gestattet. Man rettet ein Leben, man trägt dazu bei das Leben zu erhalten."

Keine seelsorgerische Betreuung benötigt

Einen Militärrabbiner hat die Oberstabsärztin Götz in ihrem vierjährigen Militärdienst niemals gebraucht. Ähnliches sagt auch Oberstleutnant Rainer Hoffmann. Der Sohn einer Schoah-Überlebenden trat freiwillig in die Bundeswehr ein. Damals waren Kinder jüdischer Überlebender von der Wehrpflicht befreit, später auch Enkelkinder. Hoffmann ist Vorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten.
"Ich habe die Militärrabbiner nicht vermisst. Ich brauche auch keine seelsorgliche Betreuung durch einen Rabbiner. Ich kann mich mit einem Rabbiner hervorragend über halachische Fragen unterhalten und das interessiert mich auch. Aber dazu muss ich keinen Militärrabbiner haben und die weitaus meisten jüdischen Soldaten, die ich kennengelernt habe oder die bei uns im Verband sind, haben auch keinen gebraucht."

Rabbiner könnten Vorurteile abbauen

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, plädiert dafür, Militärrabbiner in der Bundeswehr einzusetzen, um gegen Antisemiten in Uniform vorzugehen.
"Insoweit halte ich es für ganz wichtig, dass auch eine jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr eingerichtet wird, die eben nicht nur die Aufgabe hat, jüdische Soldaten seelsorgerisch zu betreuen, sondern gerade im lebenskundlichen Unterricht generell Soldaten mit dem Thema Judentum und Juden vertraut zu machen."
Und somit Vorurteile gegen Juden abzubauen. Das bestätigt auch die Arbeit zweier Militärrabbiner anderer Armeen. Menachem Sebbag, der orthodoxe Oberrabbiner der niederländischen Streitkräfte, leitet auch eine jüdische Gemeinde in Amsterdam.
"Ich muss auf der Grundlage des Judentums die Probleme nichtjüdischer Soldaten lösen. Jeder zweite Soldat kommt zu mir, weil er sich nicht an das Militär wenden will. Wenn er sich zum Beispiel in Scheidung befindet und Hilfe braucht, will er nicht, dass die Armee davon erfährt, damit dies seine militärische Laufbahn nicht gefährdet. Denn es passiert schon, dass ein Militärpsychologe diese Auskunft weitergibt, ein Rabbiner aber nicht."

Hilfe für alle Menschen

Menachem Sebbag ist auch Rabbiner seiner Kaserne, in der 1600 Soldaten dienen, aber nur fünf oder sechs jüdische, die er nicht einmal alle persönlich kennt. Kann ein Rabbi die persönlichen Probleme christlicher oder muslimischer Soldaten lösen?
"Gott hat jeden Menschen nach seinem Vorbild geschaffen und bat mich als Rabbiner, als Jude und als Mensch darum, auf jeden Menschen aufzupassen. Warum soll es ein Problem sein, die jüdische Weisheit, die ich durch die Tora bekam, einzusetzen, um Menschen anderer Religionen zu helfen? Das ist ganz normal."
Obermilitärrabbiner Menachem Sebbag bringt zum Beispiel der Militärpolizei den Umgang mit orthodoxen Juden bei. Denn die Polizisten werden am Flughafen beim Check-in stationiert.
"Sie müssen verstehen, dass ein chassidischer Jude einer Frau die Hand nicht gibt und sie nicht einmal anschauen würde. Ich informiere sie über die verschiedenen Kategorien von Juden und die speziellen Problemen, die sie im Umgang mit Juden haben könnten, damit sie wissen, wie sie sich verhalten sollen."

Vorbild: französisches Militär

Jahrelang hat der französische Militärrabbiner Gerald Rosenfeld mit seinen jüdischen Kollegen koscheres Essen auch für muslimische Soldaten vorbereitet. Denn erst ab 2005 wurden muslimischen Militärseelsorger eingesetzt, die sich mittlerweile um die Halal-Speisen sorgen.
"Schauen Sie, wie viele Franzosen wissen über Juden überhaupt nichts? Und wenn wir versuchen, dass sie sagen: ‚Ich kann mich gut erinnern, während meines Militärdienstes war ich schon in einer Synagoge und ich habe die Erklärungen mitbekommen.‘ So kann man versuchen Tabus abzubauen. Das ist eine sehr gute Regelung, die etwas für einen Rabbiner in der Bundeswehr sein könnte."
Die französischen Militärrabbiner kooperieren zudem mit der Gendarmerie, die polizeiliche Aufgaben im ländlichen Raum übernimmt und Teil der Streitkräfte ist. Auf Initiative der Ministerien von Verteidigung und Bildung treten die Rabbis in Gymnasien gemeinsam mit Militärseelsorger der drei anderen Konfessionen auf.
"Man hat festgestellt, dass die Vorurteile ganz groß sind. In manchen Gegenden, wo die Mehrheit muslimische Kinder sind, können Lehrer nicht mehr über die Schoah unterrichten oder über den Nahostkonflikt, ohne selbst Schwierigkeiten zu bekommen. Sie sehen nicht nur, dass wir zusammen sitzen in Uniform, sondern dass wir Freundschaften schließen können."

Koscheres Essen nur auf Bestellung

Was kann die Bundeswehr von den anderen Streitkräften in Bezug auf Juden lernen? Die französische, die niederländische und die US-Armee erlauben jüdischen Soldaten in Uniform eine Kippa zu tragen.
Anders als die deutschen, christlichen Militärseelsorger tragen Rabbiner Sebbag und Rabbiner Rosenfeld im Inland eine Uniform und setzen vor allem beim Essen eine Kippa auf. Diese ist nach dem deutschen Soldatengesetz als religiöses Symbol verboten, obwohl Vorgesetzte in der Regel wegschauen.
Die Truppenküchen der Bundeswehr bieten prinzipiell kein koscheres Essen an. Aber im Einzelfall kann ein jüdischer Soldat bei rechtzeitiger Anmeldung fertig hergestelltes koscheres Essen erhalten. Die niederländische Armee hingegen ist darin geübt, schnell koscheres Essen zuzubereiten. Im französischen Militär ist dies ebenso möglich.
Die deutschen Militärrabbiner können aus den Erfahrungen des orthodoxen niederländischen Militärrabbiners Menachem Sebbag noch etwas lernen. Sein Sohn ist nach Israel ausgewandert und dient gerade in der israelischen Armee. Rabbiner Sebbag, der sehr stolz darauf ist, wird daher auf seine doppelte Loyalität angesprochen.

Doppelte Loyalität zwischen Ajax und Gott

"In meinem Büro im Verteidigungsministerium in Den Haag hängt die niederländische Fahne vor dem Porträt des königlichen Paars, das mein Gehalt bezahlt. Daneben hängt ein Foto meines Sohnes, der das Wichtigste in meinem Leben ist, zusammen mit der Flagge der israelischen Militäreinheit, wo er als Fallschirmspringer dient.
Viele Besucher sprechen mich darauf an und fragen nach meiner ‚doppelten Loyalität‘. Ich antworte, dass ich – wie jeder Mensch – sogar eine mehrfache Loyalität habe! Ich liebe Gott, meine Frau, meine Kinder und mein Volk. Und täglich plagen mich Probleme der doppelten Loyalität. Wenn mein Lieblingsclub Ajax Amsterdam am Fastentag Jom Kippur spielt, habe ich ein solches Problem: Auf der einen Seite steht mein Fußballverein und auf der anderen mein Gott. Wen soll ich wählen?"
Militärrabbiner könnten Vorurteile gegen Juden in der Truppe abbauen und Kenntnisse über jüdische Tradition vermitteln. Aber würden die wenigen jüdischen Uniformierten sie überhaupt um Rat bitten?
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