Judentum für alle zugänglich

Maimonides im Netz

08:12 Minuten
Igor Itkin, Student am orthodoxen Rabbinerkolleg, bei der Arbeit.
Igor Itkin übersetzt Teile der Mischne Thora ins Deutsche. © Arkadiusz Luba
Von Arkadiusz Luba · 26.04.2019
Audio herunterladen
Maimonides ist einer der wichtigsten jüdischen Weisen. Doch seine Texte sind übersetzt schwer zu bekommen. Ein Rabbinatsstudent stellt jetzt eine ältere Übersetzung des "Michne Tora" online und übersetzt ausgelassene Stellen selbst auf talmud.de.
Frau: "Mische Thora und Schulam Auuch? Keine Ahnung!"
Mann: "Weiß nicht. Sag’s mir!"
Selbst nicht alle Juden wissen, was die Wiederholung der Tora, die Mischne Tora ist. Dabei wollte das Buch einst die jüdischen Gesetze für jedermann zugänglich machen… Der Arzt und Rabbiner schrieb sie von 1170 bis 1180 in Ägypten. Rabbi Maimonides ist auch als Rambam bekannt - so kürzen Juden die Namen ihrer großen Gelehrten ab. Bis heute ist dies die einzige Abhandlung aller Aspekte des Judentums nach dem Talmud, einschließlich der Gesetze des Tempeldienstes.
Dabei hatten Juden zur Zeit des Maimonides schon über tausend Jahre keinen Tempel mehr. Die Mischne Tora beinhaltet "365 Verbote und 248 positive Gebote. Die Zahl 365 entspricht der Zahl der Tagen im Jahr, 248 – der Knochenzahl der Menschen, wie sie vor Zeiten Maimonides‘ von den Juden gezählt wurden.
Itkin: "Dieser Gesetzeskodex ist einzigartig, weil zum ersten Mal wurden jüdische Gesetze kodifiziert - zum ersten Mal wurden sie systematisiert. Und auch die Sprache der Mischne Thora selbst ist eine reine hebräische Sprache, es ist nicht das Aramäisch des Talmuds; eine sehr schöne und präzise Ausdrucksweise, damit jeder Mensch verstehen kann, was Gott von ihm möchte. Also es ist wirklich an das Volk gerichtet, in einer unmissverständlichen Sprache."
Igor Itkin, hat an der Freien Universität in Berlin ein Studium der Judaistik absolviert und studiert jetzt am orthodoxen Rabbinerkolleg. Seit einem halben Jahr übersetzt er Teile der Mischne Thora ins Deutsche. Er hat sich die einzige deutschsprachige Ausgabe der Mischne Tora vorgenommen.
Eine Statue des Gelehrten Mosche Ben Maimon, genannt Maimonides oder auch Rambam in Córdoba (Spanien)
Der Gelehrten Mosche Ben Maimon wurde auch Maimonides oder Rambam genannt.© Imago / Leemage
Sie ist im 19. Jahrhundert in St. Petersburg erschienen, und wird nur sehr selten gelesen. Vollständig ist sie auch nicht. Itkin bearbeitet sie und fügt fehlende Teile hinzu.
Zur Mischne Thora habe den 29-jährigen Studenten ihr Autor selbst gebracht. Noch bevor Itkin anfing, sich für jüdische Religion zu interessieren, habe er Maimonides‘ philosophischen Texte gelesen. Er sei von seinem "Wegweiser für die Verwirrten" fasziniert gewesen.
Maimonides versucht darin, die jüdische Religion mit der aristotelischen, z. T. auch der neuplatonischen Philosophie zu verbinden. Das Rationale in Maimonides‘ Werken gefalle Itkin sehr. Selbst manche etwas krude Stelle aus dem Talmud interpretiere Maimonides rational:
Itkin: "Rambam war sehr stark in diese Uminterpretation der Thora. Es steht in Talmud: ‚Man soll nicht geschälte Zwiebeln über Nacht irgendwo lassen, weil es schädlich ist‘. Rambam war ein Arzt, er wusste, dass es nicht schädlich ist. Deshalb hat er das nicht mit in die Gesetze aufgenommen, sondern das einfach weggelassen. Aber er sagt, dass jedes Gesetz in der Thora einen bestimmten Sinn hat, eine bestimmte Absicht, die Gott in dieses Gesetz hineingelegt hat."

Mischne Tora besteht aus 613 Gesetzen mit Erklärungen

"Ashrei tehmimei darech, aholechim betoerat Adonai" – "Glücklich sind, die im Weg untadelig sind, die im Gesetz des Herrn wandeln", besagt Psalm 119, aus dem Maimonides in seiner Vorrede zur Mischne Thora, also der "Wiederholung der Tora", zitiert:
"Az lo evosh behhabiti el kol meetzvoteh'cha"
"Ich brauche nicht zu erröten, wenn ich all Deine Gebote beachte".
Der große Gelehrte sah sich aufgrund der Situation der Juden seiner Zeit gezwungen, eine systematisierte und kritische Sammlung der jüdischen Gesetze auf Hebräisch zusammen zu stellen. Die Juden lebten nämlich in der Diaspora und jedes Land folgte den Entscheidungen der örtlichen Gerichte.
Der Talmud blieb für den Laienjuden geschlossen. Selbst im einstigen Babylonien verstanden die meisten Juden kein Aramäisch und hatten daher keine Einsicht in die mündliche Überlieferung der Thora mit ihren Gesetzen. Das Leben nach jüdischen Vorschriften war gefährdet. Die Frage des religiösen Zusammenhaltes wurde bedeutsam.
So wie sie auch heute ist. Wenn Juden nicht anderen das jüdische Narrativ überlassen wollen, muss man wissen, woher die jüdischen Inhalte kommen, sagt Chajm Guski. Der Blogger und Publizist stellt die Mischne Tora - übersetzt und bearbeitet von Itkin ins Netz – auf seine Plattform talmud.de.
Guski: "Das ist einfach ein großes Projekt, das ja nicht durch eine Forschungsgesellschaft läuft oder durch eine wissenschaftliche Hochschule betreut wird, sondern das machen einfach Leute, die sich dafür interessieren. Der deutschsprachige Bereich ist ja ein sehr kleiner jüdischer Raum und das Interesse ist nicht so groß wie zum Beispiel in den USA, wo es ja zahlreiche englischsprachige Übersetzungsprojekte gibt.

Die Mischna ist die älteste Schicht des Talmud

Wenn man Interesse daran hat, sich damit auseinander zu setzen und zu lernen und zu schauen, woher die Inhalte kommen, dass man die Möglichkeit hat, auf sie zugreifen zu können. Suchen nach Texten und nachlesen und verlinken und weiterreichen und selber vielleicht weiterverwenden, das kannst du natürlich nur, wenn du das im Internet hast."
Zusätzlich zu dem Mischne Thora-Projekt hat Igor Itkin seinen eigenen Podcast. Darin liest er aus der Mischna und erläutert sie. Die Mischna ist die älteste Schicht des Talmud. Traditionell gehen Juden davon aus, dass Mosche am Sinai die schriftliche Thora erhielt, das sind die fünf Bücher Mose, und die mündliche Thora. Die sollen viele Generationen weiter überliefert haben, bis sie schließlich nach vielen Jahrhunderten im Talmud aufgeschrieben wurde.
Jeden Tag erscheint ein neuer Teil des Mischna-Podcasts. So findet man darin beispielsweise Anweisungen, wie man Schabbat und andere Feste feiert, oder wie man betet. Vorschriften zum jüdischen Speisegesetz, den Kashrut, erklären genau, welche Speisen verboten und welche erlaubt werden. Die wenigsten Gesetze seien einfach nur mit einem knappen Ver- oder Gebot ausformuliert. Die Mischna bestehe aus Diskussionen von Rabbinern sagt Chajm Guski:
"Maimonides hat sich sehr oft darauf beschränkt, die Ergebnisse dieser Diskussion zu präsentieren, während die Mischna das nochmal erklärt und nochmal ein wenig ausführlicher darstellt, so dass es nicht direkt eine Anweisung ist. Das wird, glaube ich, gefordert vom Judentum, dass man sich mit den Mitzwot auseinander setzt, und nicht einfach das tut, was in einem Satz formuliert ist."
Die Mischne Tora besteht aus 14 Bänden, 613 Gesetzen mit Erklärungen, auf über eintausend Seiten. Ob Igor alles übersetzen will? – Nein! Er konzentriere sich auf das Meistgelehrte und Relevante für das jüdische Leben heute.
Itkin: "Die Bücher, die es komplett nicht gibt, zum Beispiel Bücher, wo es dort geht um Heirat, um Tempeldienst, ich werde mir nicht die Mühe machen, das selbst zu übersetzen. Diese Bücher sind nicht die, die am häufigsten gelernt werden. Also am häufigsten werden Bücher über die Gebete gelernt, dann die ethisch-philosophischen Teile der Bücher.
Also solche Fragen, wie wenn ein Hund dir hinterher läuft und dich beißen möchte und wenn ich diesen Hund verscheuche, wirst du mich dann dadurch heiraten. Ob das funktioniert oder nicht. Also solche Fragen sind heute natürlich irrelevant."
Als großer Maimonides-Fan fühle sich Itkin verpflichtet, die Mischne Thora komplett ins Deutsche zu übersetzen. Ihm fehlt allerdings das Geld. Ohne | werde er die ehrenamtliche Beschäftigung wohl einstellen müssen...
Itkin: "Wenn ich die finanziellen Mitteln hätte, würde ich alles übersetzen. Aber ich habe diese finanziellen Mitteln nicht und ich arbeite in meiner Freizeit. Ich mache es leshem shamaim, so um Himmels Willen; einfach nur um unsere Lehre des Judentums zu verbreiten; einfach die Möglichkeit das Judentum kennen zu lernen, wie es wirklich ist. Und das kann man am besten verstehen, wenn man den Rambam liest."
Mehr zum Thema