Debatte um Digitalministerium

Was bringt die nötige Durchschlagskraft?

Jeanette Hofmann im Gespräch mit Katja Bigalke und Martin Böttcher  · 02.10.2021
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Die CDU will eins, die SPD ist in Fragen Digitalministerium noch unentschieden. Die Grünen wollen die Digitalisierung weiter vom Kanzleramt aus koordinieren. Was ist denn nun die bessere Lösung?
Bei der Digitalisierung hat sich Deutschland bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Unter den Industrienationen landen wir im Vergleich immer wieder auf den hinteren Plätzen: In der G20 hängen uns selbst Indonesien, Saudi-Arabien und Argentinien locker ab. Ganz vorn ist Estland.
Esten unterschreiben Verträge digital und wählen digital. Ausweis, Krankenversicherung und Führerschein sind auf einer Chipkarte vereint. Auch in Dänemark sind zum Beispiel digitale Heirat und Scheidung kein Problem. Behördenpost auf Papier? Gibt es nicht mehr, auch nicht für ältere Menschen.

Dörfer ohne Breitbandzugang

In Deutschland haben wir das Ministerium für digitale Infrastruktur – als Teil des Verkehrsministeriums. Es gibt eine Abteilung im Kanzleramt mit Dorothee Bär, der Staatsministerin für Digitalisierung. Warum reicht das nicht aus? Warum hinken wir zum Beispiel beim Breitbandausbau so hinterher?
"Da spielt sicher auch eine Rolle, dass die Telekom zu vierzig Prozent immer noch in Bundeshand ist", erklärt Jeanette Hofmann, Leiterin der Forschungsgruppe "Politik der Digitalisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) für Sozialforschung. Um dieses Unternehmen würden sich Zielkonflikte ranken.
"In der Politik im Wirtschaftsministerium wird man sagen, dass man gerne möchte, dass dieses Unternehmen einen großen Marktanteil behält. Und das schlägt sich dann auch in der Regulierung nieder", erklärt Hofmann. "Dass es etwa hier lange Zeit ging, dass man Kreisstädte mit Breitband ausstattete. Aber alle Dörfer ringsrum nicht. Das ist ein echter Fehler im Regulierungskonzept, der aber natürlich Unternehmen wie der Telekom geholfen hat, ihre Profitraten zu stabilisieren."

"Unengagiert und unkoordiniert"

Ist die Digitalisierungspolitik in dem Sinne in Deutschland viel zu unternehmerfreundlich? "Nein, unternehmerfreundlich finde ich sie eigentlich nicht", sagt Hofmann. "Ich finde sie unengagiert und unkoordiniert."
Es gibt also einiges aufzuholen. FDP und CDU wünschen sich deshalb ein eigenes Digitalministerium. Die Idee sei, aus Abteilungen aus dem Innenministerium oder dem Verkehrsministerium ein solches zu bauen. Die Grünen wollen die Digitalisierung weiter vom Kanzleramt aus koordinieren – allerdings mit mehr Mitarbeitern und Durchschlagskraft. Die SPD ist noch unentschieden.

Ein Digitalministerium würde Erwartungen schaffen

Allerdings gibt es kaum Vorbilder für funktionierende Digitalministerien. Auch Estland hat keins, dort treibt eine ressourcenstarke Agentur das Thema voran, unabhängig von der Politik.
"In vielen erfolgreichen Länder, gerade in Skandinavien oder Österreich, sieht man, dass das Digitale an ein starkes anderes Ministerium angegliedert ist, also sei es Wirtschaft oder Finanzen. Entscheidend ist nicht die institutionelle Verankerung, sondern der politische Wille zur Umsetzung", erklärt Ralph Müller-Eiselt von der Bertelsmannstiftung.
Auch Jeanette Hofmann würde sich heute nicht mehr für ein Digitalministerium aussprechen. "Ich fürchte, dass damit Erwartungen geschaffen werden, die so ein Ministerium für lange Zeit nicht einlösen würde", begründet sie.

"Wir verschleppen das Vorankommen"

Früher habe sie noch dafür plädiert: "Wir haben vor ein paar Jahren in meiner Forschungsgruppe gesagt: Ein Digitalministerium ist notwendig, damit das Digitale nicht immer ein Punkt unter vielen in bestimmten Ressorts ist. Wenn Digitalisierung gefördert werden soll, dann braucht es ein eine Organisation, die das Digitale als solches in den Mittelpunkt stellt."
Doch heute müsse man sich fragen, ob das immer noch so gelte: "Vor allem auch deshalb, weil der Aufbau eines solchen Ministeriums selbst wiederum drei Jahre mindestens in Anspruch nimmt. Also wir verschleppen durch solch einen Schritt das Vorankommen noch mehr."

Keine Aufgabe für Einzelpersonen

"Und außerdem mehren sich die Stimmen, die sagen: Das wäre ein großer Konflikt, weil man hierfür ja Kernkompetenzen in anderen Ministerium abziehen müsste. Weil inzwischen haben ja alle Ministerien eine Abteilung für digitale Fragen aufgebaut", erklärt Hofmann.
"Ich glaube, wonach sich alle sehen, ist strategische Kompetenz und koordinative Autorität." Sie ist nicht davon überzeugt, dass einzelne Personen den Wandel bringen können. "Das müssen schon viele Leute in verschiedenen Ministerien seien, die sagen: ‚Wir packen das jetzt an.‘ Das ist eine verteilte Aufgabe. Denn man braucht so viele unterschiedliche Kompetenzen, und die müssen zusammen denken."
(nog)
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