Debatte um Achille Mbembe

Konflikt der Erinnerungskulturen

Charlotte Wiedemann im Gespräch mit Andrea Gerk · 19.05.2020
Audio herunterladen
Die Debatte um angebliche antisemitische Positionen von Achille Mbembe nimmt durch einen offenen Brief afrikanischer Intellektueller an Schärfe zu. Die Journalistin Charlotte Wiedemann meint, dass auch unbeglichene Rechnungen zu der Initiative geführt haben.
Der Historiker Achille Mbembe sollte ursprünglich bei der Ruhrtriennale als Redner auftreten und über europäisch-afrikanische Beziehungen referieren. Der FDP-Politiker Lorenz Deutsch und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderten Mbembes Ausladung - sie meinen, bei ihm antisemitische Positionen entdeckt zu haben.
Dass wegen der Coronakrise die Ruhrtriennale gar nicht stattfindet, hielt die Dynamik der Debatte keineswegs auf - jüngste Wendung ist ein offener Brief afrikanischer Intellektueller an Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier, in dem sogar die Entlassung Kleins gefordert wird.

Solidarität der Erinnerungskulturen

Die Kernaussage dieses Briefes fasst die Journalistin Charlotte Wiedemann - ihren eigenen Worten nach "etwas salopp" - so zusammen: "Wenn ihr einen so prominenten Afrikaner anklagen wollt, dann haben wir dazu auch etwas zu sagen."
Inhaltlich geht es unter anderem um die Aussage Mbembes, dass es keine menschlichen Leidenserfahrungen gebe, die weniger bedeutsam seien als andere. Kein Leid stehe über oder unter einem anderen. "Das kann man als Hinweis darauf verstehen, dass die Shoah nicht überall auf der Welt als das überragendste Gewaltereignis der Geschichte angesehen wird", sagt Wiedemann.
Darüberhinaus gehe es auch um das Verhältnis der Erinnerungskulturen zueinander. Das solle von Solidarität geprägt sein. Denn nur dann könne es einen effektiven globalen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus geben. Die Unterzeichner appellierten an Deutschland, sich auf eine Ebene von Gleichberechtigung und gegenseitigen Respekt einzulassen, um diesen Kampf zu führen.

Pflicht zur Wiedergutmachung

Die Initiative sei zweifach motiviert, so Wiedemann: Es sei zwar richtig, dass man den Holocaust nicht relativieren soll. Man solle aber auch den Kolonialismus nicht banalisieren, gleichzeitig solle es für einen so hoch geachteten Afrikaner wie Mbembe Meinungsfreiheit in Deutschland geben.
Der Brief stelle zugleich aber auch eine Art Erinnerung dar, dass es noch offene Rechnungen und eine Pflicht zur Wiedergutmachung für alle Arten von Unrecht gebe, sagt Wiedemann. Es werde daran erinnert, dass es immer noch um die Rückgabe von Artefakten aus europäischen Museen und menschlichen Gebeinen gehe. Vor diesem Hintergrund stünde es Deutschland nicht gut zu Gesicht, als Moralprediger jemandem gegenüberzutreten, der einer ehemaligen deutschen Kolonie entstamme.
Dabei müsse man aber berücksichtigen, dass es in Afrika nur eine ungefähre Kenntnis der hierzulande geführten Debatte geben könne, sagt Wiedemann.
"Was es bedeutet, wenn ein nordrhein-westfälischer FDP-Politiker einen Vorwurf erhebt, das kann man wahrscheinlich in Afrika nicht unbedingt einschätzen. Und deshalb wird eher der Fokus darauf gelegt, dass es auch rechtsextreme Gruppen sind, die hier eine Kampagne gegen Mbembe gemacht haben. Das verkennt etwas, wie stark diese Dinge aus der Mitte der Gesellschaft heraus gekommen sind."
(rja)
Mehr zum Thema