Debatte über Roman "Stella" von Takis Würger

Anwalt kritisiert "Banalisierung"

"Stella" von Takis Würger
"Diese Banalisierung der Lebenssituation dieser Frau ist unerträglich", sagt Anwalt Karl Alich über den Roman "Stella". © Carl Hanser Verlag/imago/Arkivi
Karl Alich im Gespräch mit Frank Meyer · 31.01.2019
Werden mit "Stella" Persönlichkeitsrechte von Stella Goldschlag verletzt, deren Leben als Vorlage für den Roman diente? Karl Alich, der als Anwalt die Erben der publizistischen Persönlichkeitsrechte vertritt, kritisiert die Arbeit des Autors.
Frank Meyer: Der Roman "Stella" von Takis Würger hat sehr harsche Reaktionen hervorgerufen, das Buch wurde heftig kritisiert. Dort würden in dem Roman Opfer des Nationalsozialismus missbraucht, es sei kitschig, es sei Geschichtsklitterung, und jetzt gibt es weitere Vorwürfe: Mit dem Buch würden Persönlichkeitsrechte von Stella Goldschlag verletzt – um Stella Goldschlag geht es in dem Roman. Die Erben der publizistischen Persönlichkeitsrechte von Stella Goldschlag wollen deshalb erreichen, dass das Buch nicht mehr weiter vertrieben wird, und sie werden vertreten von dem Anwalt Karl Alich, der jetzt für uns am Telefon ist. Guten Tag, Herr Alich!
Karl Alich: Tag Herr Meyer, grüße Sie!
Meyer: Die Sachlage ist etwas kompliziert. Erklären Sie uns doch bitte erst mal, wer sind die Erben von Stella Goldschlag?
Alich: Also ich hol mal ein bisschen aus, und zwar 1990 hat der Historiker und Journalist Ferdinand Kroh einen Film begonnen, der 1994 ausgestrahlt wurde, mit Stella Goldschlag, damals verheiratete Gärtner. Und im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu den Filmarbeiten hat Stella Gärtner, geborene Goldschlag, ihre publizistischen Persönlichkeitsrechte an Herrn Ferdinand Kroh abgetreten. Und deshalb lagen meines Erachtens die publizistischen Persönlichkeitsrechte bei Ferdinand Kroh und jetzt bei dessen Witwe, und die Witwe Kroh verwaltet diese publizistischen Persönlichkeitsrechte.
Meyer: Und in welchem Sinne sehen Sie denn jetzt die Persönlichkeitsrechte von Stella Goldschlag verletzt durch den Roman von Takis Würger?
Alich: Also wenn ich mir den Klappentext anschaue des Romans, da heißt es: "Ein junger Mann kommt 1942 nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er eine Frau. Die beiden werden ein Paar. Eines Morgens klopft sie an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht, und sagt: 'Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt'." Die Frau war in Gestapohaft, die Frau wurde halbtot geschlagen und hatte nicht nur Striemen im Gesicht. Also diese Banalisierung der Lebenssituation dieser Frau ist unerträglich und kann so nicht stehen bleiben. Das ist die eine Sache.
Die zweite Sache ist die: In dem Buch werden ohne Zusammenhang Protokolle des sowjetischen Militärtribunals zitiert, indem die Fälle beschrieben werden, die Denunziationsfälle, die es sicherlich so gegeben hat wie dort beschrieben, aber ohne Zusammenhang, ohne auch den Grund zu nennen, warum Stella das getan hat, was dort beschrieben wurde.

"Diffuse Motivationslage"

Meyer: Da müssen wir vielleicht kurz erklären, Stella Goldschlag hat als Jüdin in Berlin gelebt, sie war als Greiferin tätig, das heißt, sie hat andere Juden an die Gestapo verraten, die daraufhin oft zu Tode gekommen sind. Das ist auch der Kern der Handlung in dem Roman.
Alich: Das ist praktisch die Wirkung. Die Ursache war, sie war selber Jüdin, obwohl sie sich nicht zum jüdischen Glauben bekannt hat – weder innerlich noch äußerlich. Sie wollte Christin sein, sie wollte nicht dieses Stigma Jüdin haben. Und es gab eine Vorgeschichte: Sie selber ist denunziert worden durch eine Greiferin, sie selber hat gelitten, bevor sie Greiferin wurde, und nach ihren Aussagen wollte sie ihre Eltern retten. Es ist sicherlich eine diffuse Motivationslage, aber klar ist, es gibt eine Vorgeschichte, und diese Vorgeschichte, nämlich die Ursache für ihre Bereitschaft, Greiferin zu werden, die wird in diesem Roman nicht geschildert. Und es war für Stella wichtig, dass beides geschildert wird – die Ursache und die Wirkung.

Im Gespräch mit dem Verlag

Meyer: Also verstehe ich Sie richtig, die Klage beruft sich nicht darauf, dass Stella Goldschlag dargestellt wird in einem Roman, sondern wie sie dargestellt wird.
Alich: Wie sie dargestellt wird, praktisch selektiv dargestellt wird. Übrigens, eine Klage gibt es noch nicht. Wir sind im Gespräch mit dem Hanser Verlag. Das Thema ist viel zu wichtig, viel zu sensibel, als dass man es durch die Gerichtsinstanzen zieht. Ich bin mir sicher, dass wir uns mit dem Hanser-Verlag verständigen können.
Meyer: Wie würde so eine Verständigung aussehen können?
Alich: Beispielsweise dass die Textstellen, die zusammenhanglos reingesetzten Textstellen über die Protokolle des sowjetischen Militärtribunals geschwärzt werden. Das heißt, die haben da in dem Zusammenhang in dem Buch nichts zu suchen. Wenn es eine seichte Geschichte sein soll, dann auch konsequent. Und eine seichte Geschichte kann man nicht garnieren mit diesen grausamen Geschichten, die völlig zusammenhanglos dargestellt werden. Und das ist unser Ansatz.

Arbeit mit "nicht seriösen Mitteln"

Meyer: Hat denn der Verlag oder der Autor vorher mit Ihnen Kontakt aufgenommen und das Ganze vorher abzuklären versucht?
Alich: Nein, offenbar hat man sich darum überhaupt nicht gekümmert. Es ist auch so, ich vermute, dass die Akten über das Westberliner Gerichtsverfahren in Moabit in den 50er-Jahren nicht vorlagen. Also nach meiner Kenntnis sind diese Akten 1994 auch vernichtet worden. Ich habe Kopien der Akten, und da gibt es Hinweise darauf, dass eine Aufbewahrungszeit von 20 Jahren eingehalten wurde und 1994 sämtliche Akten vernichtet wurden. Also er kannte offenbar auch die Berliner Akten nicht, hat sich berufen auf Protokolle des sowjetischen Militärtribunals und hat das völlig zusammenhanglos in den Roman eingestellt, nicht mal eingebaut. Das ist der eigentliche Skandal, dass also hier wirklich mit, ja, sagen wir mal, mit nicht seriösen Mitteln gearbeitet wird.
Meyer: Das sind die Vorwürfe gegen den Roman "Stella" von Takis Würger, erschienen im Hanser Verlag, erhoben von dem Anwalt Karl Alich im Namen der Erben. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch, Herr Alich!
Alich: Ich danke Ihnen, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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