Debatte in Wien

Soll die Stadt ein Denkmal sein?

08:02 Minuten
Blick vom Rathausturm über Wien, im Vordergrund ist das das Burgtheater zu sehen.
Blick über die Donaumetropole: Die Umgestaltung von Historischem ist in Wien ein heikles Thema. © imago images / viennaslide
Von Paul Lohberger · 04.01.2021
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Wien ist geprägt von Geschichte und Tradition. Historische Architektur und Denkmäler bestimmen den Charakter der inneren Bezirke. Dies sorgt rund um neue Bauprojekte für Diskussionen - und auch über umstrittene Denkmäler wird dort debattiert.
Die Kunsthalle Wien widmet sich allgemein der zeitgenössischen Kunst, aber auch deren Vermittlung an Kinder. Im Herbst 2020 war ein aktueller Diskurs Thema im Ausstellungsraum am Karlsplatz: "Denk (dir) mal" war eine Mitmach-Ausstellung, bei sich Kinder mit dem Wesen von Denkmälern beschäftigten.
Wer kennt zum Beispiel das Wilhelm-Tegethoff-Denkmal? Das historistische Denkmal des damals siegreichen Admirals Tegethoff steht seit 1871 am Praterstern. Aus der Säule ragen links und rechts Schiffsrümpfe.
Heute wirkt ein Admiralsdenkmal seltsam, die kleine Alpenrepublik hat ja gar keinen Seehafen mehr, Österreich-Ungarn aber schon. Hier zeigt sich ganz allgemein, wie Monumente historische Realitäten vergegenwärtigen.

Workshops zur Geschichtsvermittlung

Michael Simku und Michaela Schmidlechner gehören zum Kunsthalle Team, das rund um solche Fragen die Ausstellung "Denk (dir) mal" entwickelt hat. In Workshop-Führungen vermitteln sie den Kindern auch die aktuellen Diskussionen und Bilderstürme.
"Interessiert dich etwas besonders?"
"Ja, weil da eine Statue aus dem oder ins Wasser gehoben wird."
"Die wird gar nicht aus dem Wasser gehoben, sondern das geht in die andere Richtung, die wird hineingeworfen."
Auch in Wien gibt es umstrittene Denkmäler. Eines davon erinnert an Karl Lueger und befindet sich auf einem Platz, der ebenfalls nach dem bedeutenden früheren Wiener Bürgermeister benannt ist.
Die späthistorische Statue steht auf einem Sockel mit Reliefs. Vier Figuren symbolisieren seine Verdienste. Als Bürgermeister bis 1910 baute Karl Lueger die städtische Infrastruktur und soziale Absicherung aus, war aber auch bekannt für seine antisemitischen Positionen, mit denen sich Lueger die kleinbürgerliche Klientel sicherte.

Einordnender Text statt Umgestaltung

"Da gibt es in Wien schon ganz lang große Diskussionen, wie man mit dem umgehen soll. Und schon vor zehn Jahren gab es einen Wettbewerb, wo Leute eingeladen wurden. Wie könnte man das umgestalten? Und da hat ein Künstler gewonnen, der hatte die Idee, das Denkmal einfach um drei Grad zu neigen, damit es nicht mehr so grad und prächtig dasteht, sondern irgendwie schief, als wäre es falsch."
Stattdessen wurde neben dem Denkmal eine vergleichsweise kleine Tafel mit einem Text aufgestellt, historisch fundiert und Lueger-kritisch. Manchen reicht das nicht, erklärt Kurator Michael Simku.
"Darum wurde da jetzt vor Kurzem mehrmals das Wort Schande draufgeschrieben", erzählt er. "Und eine Künstlerinnengruppe hat dieses 'Schande', diesen Schriftzug bewacht, damit es keiner wegmacht. Weil das soll da draufstehen, damit jeder sehen kann, dass es eine Schande ist, dass der immer noch so da rumsteht."
Auf dem Sockel der Luegerdenkmals steht in roter Farbe mehrmals das Wort "Schande".
Denkmal für Karl Lueger: Die Ehrung des früheren Wiener Bürgermeisters ist umstritten.© Deutschlandradio / Paul Lohberger
Matthias Boeckl ist Architekturhistoriker an der Wiener Universität für Angewandte Kunst. Er kommentiert die Konzepte zum Luegerdenkmal aus seiner wissenschaftlichen Fachperspektive.
"Auf der einen Seite ist für mich nicht überzeugend, dass durch eine Schrägstellung automatisch ein Nachdenk- und Rechercheprozess ausgelöst wird", sagt er. "Und auf der anderen Seite bin ich generell skeptisch gegenüber der Veränderung historischer Kunstwerke, und das ist immerhin ein solches."

Kaiserzeit als Image-Faktor

Die Umgestaltung von etwas Historischem ist überhaupt ein heikles Thema in Wien. Die glorreiche Kaiserzeit ist ein wichtiger Image-Faktor, Sehenswürdigkeiten wie Schloss Schönbrunn und die Hofburg in der Stadt ziehen Touristen an.
Immobiliengesellschaften haben den historischen Kern aufpoliert, viele internationale Ketten sind in seinen Einkaufsstraßen vertreten. Altes kaufen und adaptieren, das ist für Investoren möglich. Neues baut man besser anderswo. Die Innenstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe.
Weltkulturerbe zu definieren, wäre eine sehr trockene Materie, meint Matthias Boeckl. Bei allem Respekt, die Geschichte allein ist kein ideales Programm, wie man derzeit gut sehen kann.
"Das gibt uns jetzt schon den Anstoß zur Überlegung, wie wir uns mit Tourismus, Kulturtourismus in Österreich aufstellen, ob wir tatsächlich über zehn Prozent unseres BIP unbedingt nur über den Tourismus erwirtschaften können, ob da nicht Abhängigkeiten entstehen, die sich als fatal erweisen, und ob das auch alles nachhaltige Entwicklungsmodelle sind."
Wenn Kultur und Geschichte nur mehr als Selfie-Kulisse dienen, macht das keine lebendige Stadt aus. Zu viele Hotels und Feriendomizile, zu wenig Einwohner führen zum viel diskutierten "Over-Tourism". In Wien aber noch nicht, obwohl die neuen Entwicklungen an der Peripherie geschehen.

Kaum Kulturfunktionen in neuen Stadtteilen

Zuletzt entstanden große neue Stadtteile am Nordbahnhof und in Aspern. Den Planungen gingen internationale Wettbewerbe voraus, was ein gutes Niveau garantiert. Doch was es im Zentrum im Übermaß gibt, fehlt in den neuen Zonen.
"Es mangelt den Stadtentwicklungsgebieten an Kulturfunktionen, es hat dazu auch viele Ansätze gegeben. Die Stadt hat zum Beispiel einigen Kulturinstitutionen, die in der Innenstadt unter Platznot leiden, vorschlagen, doch in diese Stadterweiterungsgebiete zu ziehen."
Die öffentlichen Institutionen bleiben in ihren symbolträchtigen Gebäuden und bilden einen Gegenpol zum Treiben der Investoren. In Wien ist es zudem kaum möglich, große Projekte an der Öffentlichkeit vorbei umzusetzen. Die Verwaltung ist stark.
Auch lassen die Wiener Dimensionen flächendeckende Projekte nur an der Peripherie zu – was ihre Wirkung auf die Stadt relativiert. Neue Impulse im Zentrum braucht es jedoch immer wieder.
"Eine lebendige, aktive Stadt besitzt Denkmäler, sie kann aber selbst kein Denkmal sein."
Im Fall des Luegerdenkmals fände Matthias Boeckl ein zeitgenössisches Gegenstück am freien Platz gegenüber adäquat, als künstlerischen Kommentar.
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