Dawoud Bey-Retrospektive im Whitney Musem

Vom Verschwinden schwarzer Identität in Harlem

05:30 Minuten
Schwarzweißfoto von Dawoud Bey: Ein älterer Mann und ein Junge sitzen auf jeweils einem Stuhl und blicken in die Kamera.
1975 stellte der US-Fotograf Dawoud Bey zum ersten Mal seine Bilder aus. © Dawoud Bey
Von Andreas Robertz · 18.04.2021
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1975 porträtierte der Fotograf Dawoud Bey in "Harlem, U.S.A." das gleichnamige New Yorker Viertel. 40 Jahre später zeigte er in "Harlem Redux" die Veränderungen dort. Beide Ausstellungen sind in einer Retrospektive in New York zu sehen.
Ein älterer Mann im schwarzen Anzug mit Mantel und Hut auf einem Stuhl vor einer Metzgerei, sein Blick gelassen und ernst. Eine Frau mit Baby auf dem Arm an einen groben Holzpfosten im Eingang eines Hauses gelehnt, sie und das Baby schauen aufmerksam direkt in die Kamera.
Ein Teenager in eng anliegender Hose, einem Sportjackett und großer Sonnenbrille mit einer Popcorntüte, lässig an eine Barrikade vor dem glitzernden Kassenhäuschen eines Kinos gelehnt.
Mit Bildern wie diesen machte sich der damals 22-jährige Dawoud Bey in seiner ersten Ausstellung 1975 mit dem Titel "Harlem, U.S.A." einen Namen als Porträtist des schwarzen Harlems.
40 Jahre später besucht er sein altes Viertel wieder. Es entsteht eine neue Reihe mit dem Titel "Harlem Redux". Kuratorin Corey Keller erklärt, warum nun beide Reihen nebeneinander zu sehen sind:
"Es war Dawoud sehr wichtig, dass beide Serien in Beziehung zueinander gesehen werden. Hier in Harlem hat er als Fotograf begonnen und die Menschen fotografiert und die Bilder dort ausgestellt. Aber es war ihm auch wichtig, seinen Werdegang damit zu zeigen."

Von der Präsenz und dem Verschwinden schwarzer Subjekte

In "Harlem Redux" sind die Bilder größer und in Farbe. War Harlem zuvor der Hintergrund seiner Porträts, ist es nun in den Vordergrund gerückt. Abgerissene Häuser, weiße Touristen, leere Baugelände und die mit Papier zugeklebten Fenster der berühmten Lenox Jazz Lounge. Schwarze Menschen fehlen oder erscheinen nur wie zufällig im Hintergrund. Dazu Corey Keller:
"In der früheren Reihe ging es um die Präsenz schwarzer Subjekte, deren Repräsentation. Und die spätere Serie handelt vom Verschwinden schwarzer Subjekte aus Harlem und wie Gentrifizierung die Kultur in den Hintergrund gedrückt hat."
Farbfoto von Dawoud Bey: Zwei Schwarze Frauen blicken in die Kamera.
In "Harlem Redux" sind die Bilder größer und in Farbe. War Harlem zuvor der Hintergrund seiner Porträts, ist es nun in den Vordergrund gerückt.© Dawoud Bey
Dawoud Bey hat in seinem Werk mit verschiedenen Formaten und Stilen experimentiert, aber in seinen stärksten Arbeiten kommt er immer wieder auf das einfache Porträt zurück. Viele der Bilder sind großformatig und die Menschen, die er fotografiert hat, ziehen den Betrachter mit ihrem direkten, absichtsvollen, manchmal unverfrorenen, oft konfrontierenden Blick in den Bann.
"Das Format bei einigen der Fotografien ist sehr wichtig. Wenn man einer Person, einem Bild in dieser Größe begegnet, hat man das Gefühl, man begegnet dem Menschen selbst", erklärt Keller.

Meditationen über die Farbe Schwarz

In seiner letzten Reihe von 2017 "Night Coming Tenderly. Black" erkundet Dawoud Bey überraschend ein neues Motiv: Landschaften. Bilder, die auf den ersten Blick wie abstrakte Meditationen auf die Farbe Schwarz wirken, entpuppen sich, wenn man nah herantritt, als Schatten von Bäumen, ein Haus in der Dunkelheit, ein Garten, das dunkle Meer. Kuratorin Corey Keller:
"Visuell ist es völlig anders als alles, was er vorher gemacht hat. Die Bilder zeigen Landschaften, die er in Ohio fotografiert hat, in einer Gegend, die wahrscheinlich zur ‚Underground Railroad‘ gehört hat. Er hat sich vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, wenn man als Sklave auf der Flucht in die Freiheit wäre, in der Nacht durch diese Landschaft", sagt die Kuratorin.
Schwarzweißfoto von Dawoud Bey: Zwei Mädchen einer Marching Band.
Es ist schwer, sich den Blicken von Dawoud Beys Menschen zu entziehen.© Dawoud Bey and courtesy of the artist, Sean Kelly Gallery, Stephen Daiter Gallery, and Rena Bransten Gallery
Die "Underground Railroad" war ein geheimes Netzwerk von Unterkünften, die entflohenen Sklaven erlaubte, ihren Weg aus dem Süden in die Sicherheit nach Kanada zu finden. In diesen dunklen Bildern werden lang vergessene Geschichten erzählt.
"Wie fotografiert man eine unsichtbare Geschichte? Wie können wir Geschichte im Heute lebendig machen? Wie nähern wir uns der Idee von Schwarzsein? Nicht nur die Erfahrung der Afroamerikaner als Schwarze, sondern auch der Farbe Schwarz? Er denkt darüber nach, wie schwarz auch positiv sein kann, wie die Dunkelheit, die beängstigend und beschützend ist", so Keller.
Es ist schwer, sich den Geschichten und Blicken von Dawoud Beys Menschen zu entziehen. Unwillkürlich denkt man an die Bilder von Daunte Wright, dem jungen Mann, der vor wenigen Tagen in der Nähe von Minneapolis bei einer Polizeikontrolle von einer Polizistin erschossen wurde. Sie habe ihren Taser mit ihrer Schusswaffe verwechselt, behauptet diese – nach 36 Dienstjahren.

Die Dawoud-Bey-Retrospektive "An American Project" ist bis zum 3. Oktober im Whitney Museum in New York zu sehen.

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