Afroamerikanische Literatur

Der Kampf gegen Rassismus gehört zur schwarzen Kultur

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Eine Illustration zeigt eine schwarze, zum Himmel erhobene Faust auf rosa Hintergrund.
Dass Polizeigewalt in Büchern schwarzer Autorinnen und Autoren oft eine Rolle spiele, sei kein Wunder, sagt Pieke Biermann. © Getty Images / Effi
Pieke Biermann im Gespräch mit Joachim Scholl · 19.06.2020
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Polizeigewalt und Rassismus gegen Schwarze sind nicht nur auf den Straßen der USA allgegenwärtig. Die Literaturkritikerin Pieke Biermann sagt, diese Erfahrung habe die Kultur der Afroamerikaner geprägt - und spiegele sich in der Literatur wider.
Rassismus spielt in den Büchern sehr vieler schwarzer Autorinnen und Autoren eine zentrale Rolle – genauso in Filmen, in der Musik und generell im Leben schwarzer Menschen. Die Erfahrung, Opfer von Rassismus zu sein oder zu werden, die Angst umgebracht zu werden, der Kampf gegen den Rassismus sei Teil der schwarzen Kultur in den Vereinigten Staaten, sagt die Literaturkritikerin und Übersetzerin Pieke Biermann.
In vielen Büchern schwarzer Autoren sei Polizeigewalt gegen Schwarze ein Thema. Beispiele dafür sind das Buch "The Nickle Boys" des zweifachen Pulitzerpreisträger Colson Whitehead oder auch Nana Kwame Adjei-Brenyahs Erzählband "Friday Black".

Tradition des Rassismus bei der Polizei

Dass Polizeigewalt in den Büchern schwarzer Autoren eine Rolle spiele sei kein Wunder, sagt Biermann. Die Polizei in den Vereinigten Staaten habe eine Tradition in dieser Beziehung. "Die Urgründe der US-amerikanischen Polizei sind die Slave-Guards gewesen. Die Wächter über die Sklaven. Das heißt, die haben von Anfang an gelernt, das sind keine Menschen, die wir wie Menschen behandeln. Die sind eher wie Vieh oder sind unsere Feinde und müssen geprügelt oder gerne auch gleich umgebracht werden."
Nicht jeder weiße, jeder Latino oder jeder schwarze Polizist sei so gepolt, aber das existiere über Generationen hinweg, sagt Biermann. Und obwohl auf der Opferseite nicht jeder davon betroffen sei, gebe es auch dort eine Tradition. "Diese Art von Sklaverei steckt beiden Seiten in den Knochen", sagt sie. "Den Polizisten: weiß oder nicht - und den Schwarzen: Opfer oder nicht."
Biermann wirft einen Blick zurück auf Phasen der schwarzen, amerikanischen Kulturgeschichte und auf afroamerikanische Autorinnen und Autoren der jeweiligen Epoche.

Geschichte der afroamerikanischen Literatur

Die Geschichte habe mit zwei Frauen begonnen, sagt Biermann, Lucy Terry und Phillis Wheatley. "Beide sind als kleine Mädchen gestohlen, verschleppt und dann als Sklavinnen verkauft worden. Und beide durften, weil sie nette Herrschaften hatten, lesen und schreiben lernen", erzählt sie. Terry sei die erste afroamerikanische Autorin, die ein Gedicht geschrieben habe. Und Phillis Wheatley sei die erste schwarze Autorin, deren Gedichte gedruckt wurden.
Eine ganz wichtige Periode der schwarzen Kultur in Amerika sei die Harlem Renaissance zwischen den beiden Weltkriegen gewesen. Mit der Bürgerrechtsbewegung in den 60er- und 70er-Jahren kam eine weitere wichtige Phase für die schwarze Kultur in Amerika hinzu. Und auch seit 2013, seit der Black Lives Matter-Bewegung gehe es wieder darum, eine neue Haltung zu dieser alten Wut zu finden.

Verlage entdecken schwarze Autorinnen und Autoren

Zurzeit gibt es bei verschiedenen Verlagen auffallend viele Bücher schwarzer Autorinnen und Autoren. Darunter sind Romane, aber auch Essays. Es gebe zahlreiche Bücher neuer Autoren und auch alte, wiederveröffentlichte Werke sowie neue Übersetzungen alter Bücher. "Dass jemand wie Baldwin mal neu übersetzt wird, war endlich mal fällig", sagt Biermann.
Pieke Biermann, rötliche kurze Haare, roter Lippenstift und schwarzes Oberteil, lehnt ihren Kopf vor hellblauem Hintergrund an der rechten Hand an.
Baldwin neu zu übersetzen, war fällig, sagt Pieke Biermann.© laif / Isolde Ohlbaum
Begonnen habe diese Entwicklung vor zwei, drei Jahren in den USA und deutsche Verlage gucken natürlich, was auf diesem Markt geschieht und interessieren sich dafür. Seit dieser Zeit habe es aber auch verstärkt afro-deutsche Stimmen gegeben. Darunter seien viele Autorinnen, die mit ihren Romanen Aufmerksamkeit erzeugt hätten.
Der Hintergrund für diese Entwicklung sei, dass auch auf dem deutschsprachigen Markt viele Bücher schwarzer Autorinnen erschienen seien, sagt Pieke Biermann, zum Beispiel von Alice Walker, Toni Morrision, Maya Angelou oder Audre Lorde.

Pieke Biermanns Leseliste neuer und/oder neu übersetzter Bücher von englischsprachigen schwarzen Autorinnen und Autoren:

James Baldwin
"Von dieser Welt" (Go Tell It On The Mountain, 1953) 2018
"Beale Street Blues" (If Beale Street Could Talk, 1974) 2019
"Nach der Flut das Feuer" (The Fire Next Time, 1963) 2019
"Giovannis Zimmer" (Giovanni's Room, 1956) 2020
Aus dem Englischen neu übersetzt von Miriam Mandelkow
dtv, München

Fran Ross
"Oreo" (Oreo, 1974/2015 ff) 2019
Aus dem Englischen von Pieke Biermann
dtv, München
William Melvin Kelley
"Ein anderer Takt" (A Different Drummer, 1962) 2019
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Hoffmann & Campe, Hamburg
Kathleen Collins
"Nur einmal" (Whatever happend to Interracial Love? 2016, postum) 2018
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg
Kampa, Zürich
Marlon James
Bekam 2015 den Man Booker Prize für:
"Eine kurze Geschichte von sieben Morden" (A Brief History of Seven Killings, 2014) 2017
Heyne, München
"Schwarzer Leopard, roter Wolf" (Black Leopard, Red Wolf, 2019) 2019
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner
Heyne, München
Zadie Smith
Erscheint inzwischen komplett bei Kiepenheuer & Witsch
"Zähne zeigen" (White Teeth, 2000) 2000
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Diverse weitere Werke, verschiedene Übersetzer*, vor allem Tanja Handels
Colson Whitehead
"Die Nickel Boys" (The Nickel Boys, 2019) 2019
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
Hanser, München
Nana Kwame Adjei-Brenyah
"Friday Black" (Friday Black, 2018) 2020
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Penguin , München
Jamel Brinkley
"Unverschämtes Glück" (A Lucky Man, 2018) 2019
Aus dem Englischen von Uda Strätling
Kein & Aber, Zürich
Richard Wright
"Sohn dieses Landes" (Native Son, 1940) 2019
Aus dem Englischen neu übersetzt von Klaus Lambrecht und Yamin von Rauch
Kein & Aber, Zürich

Anne Petry
"Die Strasse" (The Street, 1946) 2020
Aus dem Englischen neu übersetzt von Uda Strätling
Nagel & Kimche, Zürich
Zora Neale Hurston
"Vor ihren Augen sahen sie Gott" (Their Eyes Were Watching God, 1937) 2011
"Barracoon" (Barracoon, 2018 postum) 2020
Beide neu übersetzt von Hans-Ulrich Möhring
edition fünf und Penguin
Carl Van Vechten
"Nigger Heaven" (Nigger Heaven, 1926) 2012
Aus dem Englischen von Egbert Hörmann, Walde + Graf
Chester Himes
Verschiedene Übersetzer*, verschiedene Verlag, variable dt. Titel, 1960er/70er
Vier Neuübersetzungen von Manfred Görgens, Alex Bischof, Petra Schreyer 1990er
Unionsverlag, Zürich, und Alexander Verlag, Berlin
Walter Mosley
"Socrates in Watts" (Always Outnumbered, Always Outgunned, 1997) 2000
"Socrates' Welt" (Walkin' the Dog, 1999) 2001
Aus dem Englischen von Pieke Biermann, Unionsverlag

Außerdem verschiedene Romane der Serie mit Privatdektektiv Easy Rawlins,
1992 bis 2010 in verschiedenen Verlagen von verschiedenen Übersetzer*n
Toni Morrison
Die erste Afroamerikanerin, die den Literaturnobelpreis bekam (1993)
Zahlreiche Romane zwischen 1979 und 2017 bei Rowohlt
Verschiedene Übersetzer, keine Neuübersetzungen
Alice Walker
Verschiedene Romane und Storys auf Deutsch seit:
"Die Farbe Lila" (The Color Purple, 1982) 1988

Verschiedene Übersetzer*, keine Neuübersetzungen, verschiedene Verlage, vor allem Rowohlt
Alex Haley
"Wurzeln – Roots" (Roots: The Saga of an American Family, 1976) 1978
Aus dem Englischen von Emil U. Günther
Fischer, Frankfurt am Main
Gayl Jones
"Dunkle Melodie" (Corregidora, 1975, und Evas Mann, 1976 ) 1979
Aus dem Englischen von Liesl Nürenberger
Europa Verlag, München

"Der weiße Nigger" (White Rat, 1977) 1980
Aus dem Englischen von Liesl Nürenberger-Körbler und Andreas C. Körbler
Europa Verlag, München
"Die Vogelfängerin" (The Birdcatcher) 1986
Aus dem Englischen von Uta Goridis
Rowohlt, Hamburg
Paule Marshall
"Ein Loblied für die Witwe" (Praisesong for the Widow, 1983) 1986
Aus dem Englischen von Peter Liebich, Rowohlt (1987 DDR-Ausgabe "Lobgesang …", bei Aufbau)
"Erwählter Ort, zeitloses Volk" (The Chosen Place, The Timless People, 1969) 1981
Aus dem Englischen von Helmut T. Heinrich
Aufbau Verlag, Berlin
Ntozake Shange
"Schwarze Schwestern" (Sassafrass, Cypress & Indigo, 1982) 1984
Aus dem Englischen von Uta Goridis
Rowohlt, Hamburg (DDR-Ausgabe 1988, Aufbau)
Kristin Hunter
"Gott segne das Kind" (God Bless The Child, 1966)
Übersetzt von Otto Wilck
Kiepenheuer & Witsch, Köln
"Das Land der Verheißung"
Aus dem Englischen von Hans-Georg Noack

"Wer überleben will"
Aus dem Englischen von Irmela Brender
Signal-Verlag, Baden Baden
Lorraine Hansberry
"A Raisin in the Sun" (Unterrichtsausgabe, Klett)
Maya Angelou
"Ich weiß, dass der gefangene Vogel singt"
Aus dem Englischen von Harry Oberländer
Audre Lorde
Diverse Titel seit "Macht und Sinnlichkeit"
Verschiedene Übersetzerinnen, Orlanda-Frauenverlag
Sharon Dodua Otoo
Deutsch-britische Autorin, Bachmannpreis 2016
"die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle
"synchronicity"
Übersetzt von Mirjam Nuenning
Fischer Verlag, Frankfurt am Main

Afrodeutsche Literatur:
Katharina Oguntoye / May Opitz / Dagmar Schultz (Hg.)
"Farbe bekennen – Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte"
Orlanda Frauenverlag Berlin

Marion Kraft
Zahlreiche literatur- und sozialwissenschaftliche Werke
Nicht nur über Schwarze Frauen
Vor allem im Orlanda Verlag
Alice Hasters
"Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten"
hanser blau, München

John Eichler
Verbotenes Land
amazon/kindle, 2018
Jackie Thomae
"Momente der Klarheit", 2015
"Brüder", 2019
Hanser Berlin
Olivia Wenzel
"1000 Serpentinen Angst", 2020
Fischer Verlag, Frankfurt am Main
Theodor Michael
"Deutsch sein und schwarz dazu", 2020
dtv, München

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