“Die sumerische Zivilisation entwickelte die Schrift, die Buchhaltung, ein komplexes Rechtssystem und eine ausgeklügelte Finanzarchitektur, die alle auf dem Zinssatz basierten. Dies war ein atemberaubendes Maß an abstraktem Denken, das zu einem Kapitalmarkt führte, der von Kreditnehmern und -gebern finanziert wurde. Der Zinssatz nahm etwas Statisches wie Silber und gab ihm Beweglichkeit.“
David McWilliams: "Money. Eine Geschichte der Menschheit aus Perspektive des Geldes"
© Penguin Random House Verlagsgruppe
Geld als Innovationsmotor und Risikofaktor
06:47 Minuten

David McWilliams
übersetzt von Nikolaus de Palézieux
Money. Eine Geschichte der Menschheit aus Perspektive des GeldesGoldmann Verlag, München 2025400 Seiten
26,00 Euro
David McWilliams legt eine anregend erzählte Geschichte des Geldes vor: von dessen Rolle als Motor für Innovation und Kunst bis zu den Grenzen staatlicher Regulierung. Zugleich fragt er, wie dominant Kryptowährungen in Zukunft werden könnten.
Der Autor hat sowohl bei der irischen Zentralbank als auch bei Investmentbanken gearbeitet. Umso spannender ist die Frage, wie er Geld überhaupt bewertet.
David McWilliams zeigt große Ehrfurcht vor der Macht des Geldes. Er hebt dessen Kraft hervor, soziale und kulturelle Innovationen zu befördern: „Geld erschließt Vergnügen, setzt einen Preis für Gelüste, Kunst und Kreativität fest. Es motiviert uns, etwas erreichen zu wollen, zu erfinden und Risiken einzugehen.“
Die Macht des Geldes: Innovation und Schattenseiten
Aber der Autor würdigt die Macht des Geldes auch sehr realistisch und berücksichtigt seine Schattenseiten, wenn er schreibt: „Geld bringt auch die dunkle Seite der Menschheit zum Vorschein. Es ruft Gier, Hass, Gewalt und natürlich Kolonialismus hervor.“
Diese Charakterisierung hat – mit kleinen Einschränkungen – zu einem anregenden Buch geführt. Es ist blendend und keineswegs unkritisch geschrieben. McWillams erzählt zu jeder neuen Erfindung des Geld- und Bankenwesens eine Geschichte. Sie erhellt den soziokulturellen Hintergrund, indem sie historische Personen ins Zentrum rückt: etwa Xenophanes, Gutenberg, Darwin, Peter den Großen oder Hemingway.
Von Zins bis Zentralbank: Die Geschichte des Geldes
Am Anfang geht es um Kushim, einen der ersten Menschen, deren Namen in der Geschichte aufgezeichnet wurden. Der sumerische Buchhalter Kushim hielt um 3000 vor Christus fest, dass er für eine erhaltene Menge Getreide zweieinhalb Jahre lang Zinsen zahlen musste. Ein bedeutender historischer Schritt, meint McWilliams:
Für McWilliams machte der Zins das Geld selbst zu einer verwertbaren Ware, mit der man in die Zukunft hinein planen und wirtschaften könne. Das sei der Ausgangspunkt dafür gewesen, dass sich immer komplexere Geldformen in einer immer komplexer und abstrakter werdenden Welt entwickelten.
Der Autor schildert chronologisch, wie arabische Zahlen Berechnungen erleichterten, die Entstehung von Münzgeld, Krediten, Hypotheken und Papiergeld. Oder die Gründung von Zentralbanken und ersten Aktiengesellschaften ab 1609 in Holland.
Er stellt sehr enge und damit diskussionswürdige Beziehungen zwischen Geld- und Kunstentwicklung her. Und er schreibt dem Geld einen prägenden Einfluss auf rationales und logisches Denken in der Menschheitsgeschichte zu.
Geld und Evolution: Eine gewagte Theorie
Dabei gelingt dem Autor aber keine klare Antwort auf eine seit Langem diskutierte Frage: War Geld wirklich ursächlich für rationales Denken oder nur ein verstärkendes Medium im Prozess fortschreitender Rationalisierung?
Nicht völlig überzeugend ist auch McWilliams Versuch, die Dynamik geldvermittelten Wirtschaftens mit Darwins Evolutionstheorie zu verbinden. Er schreibt:
„Geld war sowohl der Treibstoff als auch der Schiedsrichter dieser neuen Welt. Erwirtschaftete ein Produkt oder Unternehmen Gewinne, überlebte es. Andernfalls starb es aus. Tatsächlich ist Geld als Profit die Art und Weise der evolutionären Ökonomie, der Welt mitzuteilen, ob ein neues Produkt Erfolg hat oder nicht.“
Die Frage ist jedoch, an welche Umwelt sich das Produkt evolutionär anpassen muss. Ist es nur der Markt oder auch die Natur, die bekanntlich zerstört wird – oder gar die Gesellschaft, die immer wieder in Krisen gerät?
Überzeugender ist der Autor, wenn er einfach nur historisch beschreibt. Spannend zu lesen ist vor allem, wenn McWilliams den historischen Wechsel von Währungen nachvollzieht, die an den Goldstandard gebunden sind hin zu reinem Fiatgeld.
Kryptowährungen und die Illusion der Kontrolle
Letzteres wird von Zentralbanken ausgegeben und allein vom Staat gesichert. Hier wirft der Autor seiner Zunft Illusionen vor, wenn sie behauptet, dass Zentralbank und Staat dieses Geld wirklich regulierten. Zum einen seien aktuell weltweit 20 Billionen Eurodollars auf dem Markt, die ziemlich unreguliert durchs Banken- und Börsensystem flössen. Zum anderen stünden die Zentralbanken keineswegs souverän über dem Marktgeschehen:
„Unzählige Finanzjournalisten und Marktanalysten versuchen, die Aussagen der Geldpolitiker zu entschlüsseln und die Entwicklung der langfristigen Anleihen zu erraten. Die Zentralbanker spekulieren, in welche Richtung sich Wirtschaft und Geldmenge entwickeln könnten, und die Finanzmärkte spekulieren auf diese Vermutungen. Nicht gerade beruhigend, oder?“
Eher die Quelle für immer neue Krisen und Börsencrashs, meint McWilliams. Zum Schluss widmet er sich den neuen Kryptowährungen und fragt kritisch, ob der Staat mit ihnen vollends die Kontrolle über das Geld aufgeben wolle. Zu Bitcoin schreibt er pointiert:
„Die Behauptung, Bitcoin sei Geld, ist schlichtweg falsch. Wie wir gesehen haben, legt die Geschichte nahe, dass eine der wichtigsten Eigenschaften, die Geld braucht, um wirklich nützlich zu sein, die Wertstabilität ist. Für alltägliche Transaktionen ist Bitcoin praktisch unbrauchbar, da sein Preis stark schwankt.“
Im Buch fehlen die Theorien zu einem religiösen Ursprung und Hintergrund des Geldes. Und David McWilliams lobt das mobilfunkgestütze M-Pesa-Geld, das in einigen afrikanischen Ländern eingeführt wurde, erwähnt aber nicht die Stimmen, die bezweifeln, ob es den Armen wirklich hilft.
Doch der Autor gesteht ironisch zu, dass sein Buch selektiv von einem „weißen, fast rosaroten Iren“ geschrieben wurde. Das vorausgesetzt, ist es als Einführungs- und Überblicksbuch zur Geschichte des Geldes auf jeden Fall zu empfehlen.














