David de Jong: "Braunes Erbe"

Reich durch Puddingpulver und Zwangsarbeit 

05:58 Minuten
Das Cover zeigt den NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in einer Runde mit einer Frau und einem Jungen, der eine NS-Uniform trägt.
© Kiepenheuer & Witsch

David de Jong

Übersetzt von Jörn Pinnow und Michael Schickenberg

Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen UnternehmerdynastienKiepenheuer & Witsch, Köln 2022

496 Seiten

28,00 Euro

Von Ursula Weidenfeld · 21.05.2022
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Am Beispiel von fünf mächtigen Familien beschreibt David de Jong, wie deutsche Unternehmer Hitler unterstützt haben und dafür reich belohnt wurden. Die Aufarbeitung betreiben sie bis heute oft lieber in Kommissionen als in der Öffentlichkeit.
Schon wieder ein Buch über die grausamen Nazi-Unternehmer und ihre unwilligen Erben? Das denkt man, wenn man David de Jongs Buch über die braunen Erben der Nationalsozialisten in die Hand nimmt. Und in vielem wird es diesem Vorurteil auch gerecht.
Der Finanzjournalist De Jong erzählt am Beispiel von fünf Unternehmerfamilien – Quandt, Porsche, Flick, von Finck und Oetker –, wie sich deren Chefs Hitler an den Hals geworfen haben. Und er berichtet, wie sich Unternehmenserben bis heute um die Geschichte ihres Erbes herumdrücken, dessen Dividenden sie doch zu gern genießen. Er schildert, wie atemberaubend naiv diese Erben gelegentlich sind, wie zögerlich oder intrigant andere ihre Verantwortung leugnen.

Sehr gut geschrieben und übersetzt

Das hat man alles schon irgendwo ähnlich gelesen, dennoch ist dieses Buch etwas Besonderes: Denn es richtet sich, obwohl es jetzt ins Deutsche übersetzt wurde, gar nicht so sehr ans hiesige Publikum. Es ist geschrieben worden, um Verstrickung, Schuld und Verantwortung der Unternehmer für den Nationalsozialismus auch außerhalb Deutschlands bekannt zu machen.
Wer sich schon in der Vergangenheit mit den Unternehmensgeschichten aus dieser Zeit auseinandergesetzt hat, erfährt nur wenig Neues – die deutsche Übersetzung ist eine Art Einstiegslektüre für Interessierte. Doch hier ist ein Buch, das sehr gut geschrieben (und übersetzt) ist, das an Klatsch und Tratsch aus der Nazi-Zeit nicht spart, und das niemanden überfordert, der vor wissenschaftlichen Büchern mit tausenden von Anmerkungen Respekt hat.

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De Jong zieht von den Großvätern, die die barbarischen Möglichkeiten der Nazi-Zeit – Zwangsarbeit, Arisierung, Kriegswirtschaft – nutzten, so etwas wie eine Charakter-Linie zu ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln, die bis heute von diesen Vermögen profitieren. Für die Quandts, die Flicks, die Porsches, die Oetkers und die von Fincks hat De Jong recherchiert, wie sie zu Nationalsozialisten wurden, was sie davon hatten, und wie sie diesen Teil ihrer Biografie nach 1945 abwuschen.
Das taten sie so erfolgreich, dass der Quandt-Enkel Stefan in einem Interview sagen konnte, sein Großvater sei kein überzeugter Nationalsozialist gewesen. Den Erben bescheinigt De Jong eine ähnliche Mentalität: Der Geschichte ihrer Unternehmen stellten sie sich nur, wenn sie von der Öffentlichkeit dazu gezwungen würden.
Nicht alle Unternehmer waren von Anfang an glühende Nationalsozialisten, doch die fünf haben den Aufstieg Hitlers unterstützt und finanziert, und mehr als die meisten anderen haben die fünf Familien bis weit in die Nachkriegszeit davon profitiert.

Reichtum dank Zwangsarbeit und „Arisierung“

Die Geschichten De Jongs beginnen nicht im März 1933, und sie enden nicht im Mai 1945. Er erzählt, wie Günther Quandt und Friedrich Flick ihr Vermögen in den chaotischen Inflationszeiten der Weimarer Jahre machen. Er schildert ihre Furcht vor politischen Umstürzen von links.
Er beschreibt, wie der Bankier August von Finck deshalb schon 1931 allzu gerne bereit ist, Hitlers SS mit fünf Millionen Reichsmark unter die Arme zu greifen.
Er rechnet vor, wie Friedrich Flick mal neue Stiefel für einen Aufmarsch der SA bezahlt, mal der nationalsozialistischen Presse finanziell hilft, um dann wieder Geld für den Wahlkampf Hitlers zu geben. Die anderen machen es ähnlich.
De Jongs Fazit: Der Erfolg der NSDAP wäre ohne die Finanzspritzen des alten und neuen Unternehmertums so wohl nicht möglich gewesen.
Die Nazis revanchieren sich großzügig: Die neuen Großindustriellen mehren ihren Reichtum und ihr Geschäft, indem sie das Eigentum jüdischer Geschäftsleute „arisieren“, das Reich und seine Wehrmacht aufrüsten, Zwangsarbeiter in ihren Dienst zwingen, und sich in die besetzten Gebiete ausdehnen. Sie steigen weiter auf, werden zu den mächtigsten und reichsten Männern Deutschlands.

Nach dem Krieg so getan, als wäre nichts gewesen

Es sind dieselben Charaktereigenschaften – Geschäftssinn, Opportunismus, Anpassungsfähigkeit – die ihnen den Neuanfang nach 1945 erleichtern. Die Unternehmer werden kurzzeitig interniert, sie werden entnazifiziert, nur einer von ihnen muss wegen Kriegsverbrechen ins Gefängnis.
Die anderen bekommen ihr Vermögen schnell zurück. Für den Kalten Krieg und das Wirtschaftswunder werden Unternehmer gebraucht, da wollen weder die Westalliierten noch die Politiker der jungen Bundesrepublik genau hinschauen – zumal sich einige der Unternehmensführer auch den neuen Parteien im neuen Land gegenüber wieder ausgesprochen großzügig zeigen.
1970 sind die Herren Flick, von Finck, Quandt und Oetker die reichsten Geschäftsleute Deutschlands. So, als wäre nie etwas gewesen.
De Jong erzählt diese Geschichten akribisch und gleichzeitig spannend. Aus dem verrückten Privatleben der Sippe Quandt-Goebbels wird ausführlich geplaudert, der Reichtum und der legendäre Geiz des Unternehmers von Finck wird farbenfroh illustriert – wie der Mann Hitler in München eine Kunsthalle baut, ohne selbst viel Geld einsetzen zu müssen, ist sogar witzig.
Der Ingenieur Ferdinand Porsche schickt die neuesten Ideen gleich per Depesche an den "Führer", und der Chef des Nahrungsmittelherstellers Oetker, Richard Kaselowsky, bietet sich gerne an, die Wehrmacht mit Puddingpulver auszustatten.

Aufarbeitung lieber jenseits der Öffentlichkeit

David de Jong macht auf Verhaltensmuster aufmerksam, die er bei den Erben wiederfindet. Die wenigsten Unternehmen stellen sich ihrer Geschichte im Nationalsozialismus freiwillig, die allermeisten wurden von der Öffentlichkeit, von Journalisten, von Aktivisten dazu gezwungen - unter anderem auch von De Jong selbst.
Die Ergebnisse dieser Forschung sind in Fachkreisen bekannt, von einer breiten Öffentlichkeit aber werden sie nur selten wahrgenommen. Historikerkommission, Forschungsauftrag, Veröffentlichung, Entschädigung, Stiftung, fertig. Das ist das inzwischen übliche Schema, mit dem Unternehmen Vorwürfen begegnen, sie hätten ihre Nazi-Geschichte immer noch nicht aufgearbeitet. Den wenigsten kann man heute noch vorwerfen, sie kümmerten sich nicht.
De Jong aber liefert keine dröge wissenschaftliche Aufarbeitung, er erzählt Geschichten. Dabei schießt er gelegentlich übers Ziel hinaus. Woher will er wissen, dass Günther Quandt an seine Familiengeschichte denkt, als über dem Potsdamer Sommerhimmel ein Gewitter aufzieht? Was treibt ihn zu vermuten, dass des Unternehmers „Gedanken in die Vergangenheit wanderten,“ als die Reden zu seinem 60. Geburtstag gehalten sind?
Dieses Geraune, vermeintlich Enthüllende stört bei der Lektüre – weil De Jong es gar nicht nötig hätte.
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