David Claerbout im Kunsthaus Bregenz

Meister der Langeweile

Die reine Notwendigkeit / The Pure Necessity, 2016. Installationsansicht Fassade, Kunsthaus Bregenz, 2018
So sieht die Fassade des Kunsthauses Bregenz während der Ausstellung von David Claerbout aus. © © David Claerbout, Kunsthaus Bregenz
Von Johannes Halder · 14.07.2018
Wenn der belgische Künstler David Claerbout seine Werke zeigt, verwandeln sich die Ausstellungsräume vorübergehend in Dunkelkammern oder kinoartige Kabinette. So ist das auch in seiner jüngsten Schau im Kunsthaus Bregenz am Bodensee.
Jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich die Fassade des Bregenzer Kunsthauses in ein Lichtspieltheater. Bis Mitternacht läuft dort als Großprojektion eine spezielle Version des Disney-Klassikers "Das Dschungelbuch". David Claerbout hat den Film von 1967 mit Hilfe von zwölf Animationszeichnern völlig umgestaltet. Mogli, das Menschenkind, kommt darin gar nicht vor, und wer auf Tempo oder Action wartet, wird enttäuscht: kein Ton, keine Musik, kein Dialog. Baghira, Balu und Shir Khan, als Filmcharaktere gegen ihre Natur vermenschlicht, dürfen wieder Panther, Bär und Tiger sein und durch den Dschungel streifen, ganz ihren tierischen Instinkten überlassen.

Alles, nur keine reine Unterhaltung

Claerbouts Video ist vieles: Film- und Gesellschaftskritik, Reflexion über das Medium Kino, vielleicht auch eine Lektion in Ethik – als reine Unterhaltung taugt es nicht. Auch im Erdgeschoss herrscht Gelassenheit. Auf einer riesigen Leinwand läuft "The Quiet Shore", ein halbstündiges Video von 2011. Es ist weder Film noch Foto, sondern eine fließende Folge von zahllosen Einzelbildern, alle schwarz-weiß. Ein Strand in der Bretagne bei Ebbe, Menschen in Badekleidung, das Meerwasser glänzt silbern. Die ganze Zeit passiert fast nichts, nur Stimmung, Atmosphäre. Plötzlich klatscht ein Junge mit den Händen auf die nasse Fläche, dass das Wasser spritzt und kurz erstarrt wie Eis.
Der belgische Künstler David Claerbout
Der belgische Künstler David Claerbout© David Claerbout | Bildrecht, Wien, 2018
David Claerbout braucht keine Geschichte, keine Erzählung, es sind lauter Augenblicke, sagt Kunsthaus-Direktor Thomas Trummer: "Es geht um Zeit, es geht um Bilder, um Medien. Filme werden so verlangsamt, dass sie fast den Rhythmus oder den Takt einer Atmung bekommen. Und Fotografien werden in Gang gesetzt, bewegt, so dass sie Filmen ähnlich werden und man das Gefühl hat, dass Zeit vergeht." Zeit, Stille, Innehalten. Bilder, die, kaum dass wir sie gesehen haben, wieder verschwinden, sagt David Claerbout: "Ich arbeite mit dem bewegten Bild. Ich wollte eigentlich kein fassbares Bild mehr. Und das Bild, das durch die Zeit auch verschwindet, war für mich irgendwie ein logischer Schritt."

Enttäuschte Erwartungen

Um Entschleunigung, aber auch um enttäuschte Erwartungen geht es in "Travel" von 2016. Begleitet von kitschiger Entspannungsmusik nimmt uns Claerbout mit auf eine kleine Reise durch Naturlandschaften, doch je entspannter die Musik, desto spannungsvoller werden die Bilder. Man sollte Claerbouts Filme nicht mit Kino verwechseln. Schon der Begriff "Film" ist ihm suspekt, und die Fotografie, wie wir sie kennen, sagt er, – als visuelles Gedächtnis oder Zeuge der Wirklichkeit – sei dabei, sich aufzulösen.

Claerbout ist ein Meister der Langeweile, der gedehnten Zeit. In einem Video, das theoretisch tausend Jahre dauert, simuliert er den allmählichen Zerfall des Berliner Olympia-Stadions, den sein Erbauer Albert Speer mit seiner "Ruinenwerttheorie" schon eingeplant hatte: Zeit als ideologischen Faktor. Claerbout zeigt, wie sich die mächtigen Gemäuer kaum sichtbar zersetzen und allmählich von Pflanzen überwuchert werden. Am Ende ist es die Natur, die den Sieg davonträgt. In die perfekte Simulation wird selbst das aktuelle Wetter in Berlin einbezogen – digitaler Impressionismus sozusagen, dauerhaft synchronisiert.
Ausstellungsansicht 2. OG, Kunsthaus Bregenz. Ausstellung von David Claerbout.
Ausstellungsansicht im 2. Obergeschoss des Kunsthauses Bregenz während der Ausstellung von David Claerbout.© © David Claerbout, Kunsthaus Bregenz

Zeit als ideologischer Faktor

"In einer Kultur, die die Zeit so kapitalisiert als einen Wert, muss es auch nicht so überraschen, dass es Künstler gibt, die sich dagegen setzen und die aus dieser Ökonomie von Zeit und Zu-wenig-Zeit-haben etwas anderes bauen. Und Zeit als Kapital, aber auch als Reichtum nützen." Tausend Jahre, natürlich wird das niemand sehen. Und wie das Olympia-Stadion während der Nacht zerfällt, wenn das Kunsthaus geschlossen ist, bleibt unserer Phantasie überlassen. Zweieinhalb Stunden reine Spielzeit dauern die anderen Videos der Schau, auch diese Zeit bringt wohl kaum ein Besucher mit.
Ausstellungsansicht im Erdgeschoss des Kunsthauses Bregenz
Ausstellungsansicht im Erdgeschoss des Kunsthauses Bregenz © © David Claerbout, Kunsthaus Bregenz
"Aber das ist öfters bei den Sachen, die ich mache. Wenn ich eine Arbeit schaffe von 14 Stunden zum Beispiel, kann ich nicht damit rechnen, dass es Museumsbesucher sehen. Aber es ist auch eine Kritik natürlich an diesem regulierten Museumsbesuch." Wichtig, glaubt Claerbout, sind die Bilder, die im Kopf entstehen. Wir sollten sowieso nicht Bilder mit der Wirklichkeit verwechseln. Aber vielleicht braucht es einen wie David Claerbout, der uns daran erinnert: "Jedes Bild ist eine Illusion."

Die Ausstellung David Claerbout ist bis zum 7. Oktober 2018 im Kunsthaus Bregenz zu sehen.

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