David Christian: "Zukunft Denken"

Big Future

05:39 Minuten
Cover von David Christian: "Zukunft Denken"
© Aufbau

David Christian

Hainer Kober

Zukunft Denken. Die nächsten 100, 1000 und 1 Milliarde JahreAufbau, Berlin 2022

380 Seiten

26,00 Euro

Von Günther Wessel · 17.08.2022
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Der Historiker David Christian ist ein Vertreter der Big-History-Theorie. Jetzt wendet er die Prinzipien dieser Geschichtsbetrachtung auf die Zukunft an – und verschafft uns so einen spannenden Blick auf die Zeit und kommende Zeiten.
Big History betrachtet den Menschen als Teil der Naturgeschichte, als Produkt der Diversifizierung des Lebens auf unserem Planeten. Natur ist dabei nicht die Bühne der Menschheitsgeschichte, sondern das Universum, die Erdgeschichte und die Zivilisation werden als Einheit begriffen.
David Christian holt in seiner Zukunftsbetrachtung weit aus: Er beginnt bei unseren Vorstellungen von Zeit und Zukunft, spricht über Determinismus und Freiheit, über Kausalitätsketten und den Zufall in der Quantenphysik, der Chaostheorie und Evolutionsbiologie. Langsam nähert er sich einem Modell der Zukunftsplanung an, das er sowohl bei Bakterien als auch Pflanzen und Tieren verortet. Alle Organismen gingen von der (nicht bewussten) Frage aus: Welche Zukünfte wünsche ich? Es folge die Abwägung, welche die wahrscheinlichste sei, und schließlich: Wie ist diese erreichbar?

Handlungsorientiertes Zukunftsdenken

Das gelte für Bakterien und Zellen, in denen sich Proteine je nach Anforderung verändern, und auch für Pflanzen, die über Sensorproteine Veränderungen der sie umgebenen Moleküle wahrnehmen, und sich daher der Sonne zuwenden. Beim Menschen (und vielen Tieren) findet handlungsorientiertes Zukunftsdenken hingegen weitgehend auf der Bewusstseinsebene statt – hervorgerufen durch biologische Unterschiede wie die Hirngröße, die auch eine bessere Kommunikation ermöglicht.
Im Laufe der Menschheitsgeschichte änderte sich die Auffassung von Zeit und Zukunft: Von etwas nicht beeinflussbaren, einem stabilen Universum mit einer langsam fließenden Zeit bis heute, wo der Planung und Voraussicht über allem stehen und die Zukunft scheinbar unendliche Möglichkeiten bietet. Schließlich leben wir im Anthropozän, in dem wir Menschen die Zukunft des gesamten Planeten prägen.

Verschiedene Szenarien in 100 Jahren

David Christian taucht tief ein in Geistesgeschichte und Philosophie, in die Naturgeschichte und Mathematik. Zwar erleichtert ein bisschen mathematisch-naturwissenschaftliches und historisch-philosophisches Grundwissen das Lesen, aber Christian findet immer wieder überzeugende Beispiele, um sehr abstraktes Denken zu konkretisieren.
Für die nächsten hundert Jahre entwirft er vier plausible Zukunftsszenarien. Sie reichen vom Aussterben der Menschheit und/oder dem Kollaps der menschlichen Zivilisation über autoritäres Downsizing bis zur Nachhaltigkeit mit hohem Lebensstandard und verantwortungsvollem Ressourcenumgang. Wobei Christian getreu seiner Ausgangsthese – das alle Organismen nach der besten Zukunft streben – durchaus vorsichtig optimistisch ist, er aber ambitionierteres Handeln in Klima- und Biodiversitätskrise anmahnt.

In einer Milliarde Jahre: kein Leben mehr

Wird die Menschheit die nächste 100 Jahre überleben, ist vieles möglich: eine Welt mit erneuerbaren Energien, Nanotechnologie, Künstlicher Intelligenz, technologisch modifizierten Menschen und planetarer Migration, aber auch immer noch der vollständige Kollaps.
In einer Milliarde Jahren wird es schließlich kein Leben mehr auf der Erde geben –  die zunehmende Wärme der Sonne hat dann das atmosphärische Kohlendioxid zerlegt.
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