Dava Sobel: "Das Glas-Universum"

Wie Frauen die Sterne entdeckten

Dava Sobel: Das Glas-Universum
Die frühe Beobachtung des Weltraums lag in der Hand von Frauen - mutmaßlich, weil sie billigere Arbeitskräfte waren © Berlin Verlag/ Casey Horner/ Unsplash/ Montage: Deutschlandradio
Von Günther Wessel · 03.02.2018
Die frühe Erforschung des Weltalls wurde in wesentlichen Teilen von Frauen geleistet. Die Wissenschaftsautorin Dava Sobel setzt diesen Frauen in dem Buch "Das Glas-Universum" ein Denkmal - und macht deutlich, was die Wissenschaft bis heute von ihnen lernen kann.
Es ist ein faszinierendes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte und ein unbekanntes zudem: Dass die frühe Erforschung des Weltalls und der Sternenwelt in wesentlichen Teilen von Frauen geleistet wurde. Die amerikanische Wissenschafts- und Bestsellerautorin Dava Sobel beschreibt deren Arbeit in ihrem neuen Buch – und setzt so diesen Frauen ein glanzvolles und verdientes Denkmal.

Frauen waren die billigeren Arbeitskräfte

Und dennoch beginnt die Geschichte mit einem Mann, nämlich Henry Draper, einem erfolgreichen Wissenschaftler und Pionier der Astrofotografie. Nach dessen frühem Tod 1882 wendet sich seine Witwe Anna Palmer Draper an den Direktor des Harvard College Observatoriums, Edward Charles Pickering. Sie möchte ihr Erbe auch dafür verwenden, Drapers Forschungen fortzusetzen – den Aufbau eines fotografischen Sterneninventars.
Pickering muss nicht lange nachdenken. Er entscheidet sich, den Forschungsschwerpunkt des Observatoriums auf die fotografische Dokumentation des Weltalls umzustellen. Denn zum einen sieht die Kamera mehr als das menschliche Auge, zum anderen lassen sich die Fotoplatten gut auswerten.
Und hier kommen nun Sobels Protagonistinnen ins Spiel: Angeheuert wohl auch, weil Frauen als Arbeitskräfte billiger sind, beugen sie sich in täglicher mühsamer, oft auch langweiliger und sehr ermüdender Arbeit über die belichteten Glasplatten, notieren, was sie dort sehen und entwickeln Klassifizierungen nach Helligkeit und Farben. Zunächst sind es sechs Frauen, später, nachdem eine weitere Erbin beschlossen hat, Pickerings Observatorium zu unterstützen, werden vierzehn beschäftigt.

Wissenschaft als Gemeinschaftsprojekt

Sie bringen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. Manche sind Ehefrauen von Astronomen, einige Absolventinnen von Frauen Colleges, und Williamina Paton Fleming arbeitet zuvor als Hausmädchen für Pickering. Sie entwickelt ein erstes System zur Klassifizierung von Sternen, sortiert danach, wie viel Wasserstoff in seinem Spektrum vorhanden ist – und ist die erste im Harvard Team, die eine Nova, eine Wasserstoffexplosion auf einem alten Stern, auf einer Fotoplatte nachweisen kann.
Auch andere ihrer Kolleginnen machen sich in der astronomischen Fachwelt einen Namen: Antonia Maury, die das Klassifizierungssystem weiterentwickelte, oder Annie Jump Cannon, die Spektrallinien von Sternen in Spektralklassen einordnete. Sie erhielt 1925 als erste Frau eine Ehrendoktorwürde in Oxford. Henrietta Leavitt entdeckte die sogenannte Perioden-Leuchtkraft-Beziehung, mit der sich kosmische Entfernungen bestimmen lassen.
Sobel hat eine exzellent recherchierte Wissenschaftsgeschichte verfasst; meist sehr anschaulich, mitunter etwas weitschweifig, da sie viel aus Unterlagen, Briefen und Tagebüchern zitiert. Sie verknüpft die persönlichen Biographien hervorragend mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und beschreibt so etwas damals noch sehr Ungewöhnliches: Wissenschaft nicht als Tätigkeit eines einzelnen einsamen männlichen "Genies", sondern als Gemeinschaftsprojekt einer Gruppe engagierter Frauen. Ein Buch, aus dem sich eine Menge lernen lässt.

Dava Sobel: Das Glas-Universum. Wie die Frauen die Sterne entdeckten
Berlin-Verlag, München 2017
464 Seiten, 26 Euro

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