Podcast über den Fall Jens Söring

Doppelmörder oder Justizopfer?

42:46 Minuten
Jens Söring wird nach seiner Ankunft am Flughafen von einer Unterstützerin umarmt. Nach mehr als drei Jahrzehnten in Haft trifft der Diplomatensohn Jens Söring 2019 am Flughafen ein.
Großer Rummel: Jens Söring wird von einer Unterstützerin umarmt, als er nach mehr als drei Jahrzehnten in Haft in Deutschland eintrifft. © picture alliance / dpa / Andreas Arnold
Alice Brauner und Johanna Behre im Gespräch mit Ramona Westhof · 05.04.2022
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Vor über 30 Jahren gestand Jens Söring den Doppelmord an den Eltern seiner damaligen Freundin in den USA. Später revidierte er seine Aussage, wurde jedoch verurteilt. Seit 2019 ist er frei. Ein neuer Podcast befasst sich ausführlich mit dem Fall.
Der Fall Jens Söring fasziniert als bekanntes Verbrechen – und ist vielleicht noch schillernder als erstaunliche Mediengeschichte. 1985 wurde im US-Bundesstaat Virgina das Ehepaar Derek und Nancy Haysom umgebracht. 1986 gestand der damals 19-jährige Jens Söring, auf der Flucht in London wegen Scheckbetrugs gefasst, seine Schuld an der Tat: Er habe die Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth Haysom brutal umgebracht. Später revidierte Söring seine Aussagen: Er habe nur gestanden, um seine Freundin vor der Todesstrafe zu bewahren – in der Annahme, als Diplomatensohn in den USA Immunität zu genießen.
Das Gericht schenkte Sörings Version seiner eigenen Unschuld keinen Glauben und verurteilte ihn zu zweimal lebenslänglich. Elizabeth Haysom wurde wegen Anstiftung zum Mord zu zweimal 45 Jahren verurteilt, sie leugnete ihre Mittäterschaft nicht. Beide kamen nach 33 Jahren Gefängnis auf Bewährung frei. Als Söring Ende 2019 nach Deutschland überstellt wurde, geriet seine Ankunft zu einem Medienspektakel.
Elizabeth Haysom, hier auf einem undatierten älteren Foto, wurde mit Jens Söring für den Doppelmord an ihren Eltern verurteilt.
Elizabeth Haysom, hier auf einem undatierten, älteren Foto, wurde mit Jens Söring für den Doppelmord an ihren Eltern verurteilt. © picture alliance/AP Photo
In deutschen Medien wird dem Unschuldsnarrativ von Söring seit gut zehn Jahren zumeist unkritisch eine Bühne gegeben. In Reportagen, Filmen, Berichten und Talkshows ist das Bild vom verurteilten Doppelmörder immer wieder in Zweifel gezogen worden. Dabei hat es in den letzten Jahren auch Veröffentlichungen gegeben, die Sörings Erzählung kritisierten.
Aufklärung in das Wirrwarr um den Fall Söring und seine mediale Berichterstattung in Deutschland bringt nun die Podcast-Doku-Serie „Das System Söring“ von Alice Brauner und Johanna Behre.

Die „großen Mythen“ im Fall Söring

Detailliert und präzise geht der Podcast den Behauptungen nach, die Sörings Geschichte seiner angeblichen Fehlverurteilung zusammenhalten. In denen vermeintliche DNA-Beweise und ein sogenanntes FBI-Profil Söring entlasten sollen, es faktisch aber nicht tun. Es gebe private, von Söring bezahlte Gutachten, die etwa zeigen sollen, dass zwei unbekannte Männer am Tatort waren. Das sei aber nie von unabhängigen Instanzen bestätigt worden. „Da gibt es massive Zweifel“.

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Im Zuge der langen Recherchen ist das Podcast-Team immer vorsichtiger geworden, Sörings Auskünften zu trauen. Was Johanna Behre am Beispiel des Bilds von Elizabeth Haysom beschreibt, wie Söring es zeichnet und das von „toxischer Männlichkeit und Sexismus durchzogen“ sei. Bei aller Mitschuld Haysoms sei es notwendig, das Bild der Tatbeteiligten zu korrigieren und geradezurücken.

Schon früher gab es Zweifel an der Version Sörings

Der Anwalt, Dozent, Journalist und Übersetzer Andrew Hammel habe als einer der ersten 2019 in der FAZ geschrieben, „dass etwas nicht stimmen kann“. Er habe sich tief mit der Materie befasst und habe Brauner und Behre erst auf Widersprüche in der Erzählung aufmerksam gemacht. Das „System Söring“ würde indes versuchen, ihn zu diskreditieren und etwa als „texanischen Blogger“ zu framen.
Zu Wort kommt in „Das System Söring“ auch der britische Polizist Terry Wright, der Söring 1986 verhaftete. Wright verfasste für den Gouverneur von Virginia einen mittlerweile auch in deutscher Lesefassung zugänglichen 400-seitigen Report über alle Details des Falls. „Eine aus unserer Sicht außergewöhnliche Polizisten-Persönlichkeit“, sagt Alice Brauner. Ihm habe Söring als Erstem gestanden, dass er die Eltern ermordet habe.
Erstmals kommt in der Podcast-Doku-Serie eine Insiderin zu Wort: Annabelle H., die durch den Film "Das Versprechen" von Karin Steinberger und Marcus Vetter auf Söring und seine Geschichte aufmerksam geworden sei. Annabelle H. war lange Zeit ehrenamtlich im sogenannten Freundeskreis von Söring tätig, einem Netzwerk, das etwa Medien mit verkürzten, irreführenden Darstellungen versorgte, wie der Podcast nun durch ihre Auskünfte zeigt.

Medien haben ihren Teil an der Darstellung

Die Medien hätten sich lange täuschen lassen, sagen Alice Brauner und Johanna Behre. Schließlich eigne sich Sörings Geschichte gut zur Identifikation. „Der Nerd aus bürgerlichem Haus“ – das habe etwas von David gegen Goliath, „ein Mann gegen das System“. Viele Medien hätten sich so einlullen lassen und hätten Söring mit einer großen Bereitschaft medial umarmt.
Alice Brauner, Mitglied der Jury, stellt bei der Verleihung des Shimon-Peres-Preises im Roten Rathaus die Preisträger vor.
Engagiert: Alice Brauner, Mitglied der Jury, stellt bei der Verleihung des Shimon-Peres-Preises 2021 im Roten Rathaus in Berlin die Preisträger vor.© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Zudem habe Söring prominente Fürsprecher wie den Bestsellerautor John Grisham oder den Schauspieler Martin Sheen. Das habe zur Folge, „dass sich alle gegenseitig vergewissern und versichern“. Tatsächlich wurde Sörings Geschichte in den deutschen Medien unkritisch begegnet.
Es bleibe abzuwarten, wie sich der Podcast „Das System Söring“ auf dessen mediales Narrativ auswirke. Im Sommer 2022 soll eine englische Version erscheinen – noch bevor Netflix die beiden Produktionen veröffentlicht, an denen dort mit Zugang zu Söring und in Zusammenarbeit mit „Das Versprechen“-Regisseur Marcus Vetter gearbeitet wird. Die angebotene Ko-Produktion mit den Podcast-Verantwortlichen habe der Streamingdienstleister ausgeschlagen, so Alice Brauner.
(ros)
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