Das personifizierte Böse in einer Familie

Moderation: Liane von Billerbeck |
Vor 30 Jahren ging die legendäre US-Fernsehserie "Dallas" an den Start. Die Folge "Wer schoss auf J.R.?" zählte nach der Mondlandung zu den am meisten gesehenen Fernsehsendungen. Neu war nach Ansicht des Medienforschers Jo Groebel vor allem, dass eine Familie auch aus bösen Menschen bestand. Er habe später allerdings dem "Denver-Clan" den Vorzug gegeben.
Liane von Billerbeck: Am Telefon ist jetzt Professor Jo Groebel. Der Medienwissenschaftler leitet das Deutsche Digitale Institut. Ich grüße Sie!

Jo Groebel: Ich grüße Sie! Hallo!

von Billerbeck: Hand aufs Herz, waren Sie von Anfang an "Dallas"-Fan?

Groebel: Ich war von Anfang an "Dallas"-Fan, weil einfach das Böse in einer Familie auch mal vorkam und man sich zwar nicht unbedingt mit J.R. identifizieren konnte und wollte, aber es trotzdem ziemlich spannend war zu sehen, dass eine Familie eben auch aus bösen Menschen bestehen kann. Denn das war vorher eigentlich in Familienserien, speziell des amerikanischen Fernsehens, eigentlich gar nicht vorgekommen.

von Billerbeck: Da war immer die schöne, heile Welt?

Groebel: Da war die schöne, heile Welt. Das war, glaube ich, auch damals das wirklich Neue und auch Erleichternde fast schon, dass man irgendwie immer das Gefühl hatte, na ja, wenn Fernsehfamilien gezeigt werden, speziell wie gesagt US-amerikanische, dann sind das immer irgendwelche Sachen, wo dann zum Schluss alles gut ausgeht, wo Mutter die Liebe ist, wo Vater der Beschützer ist, wo die Söhne natürlich alle brav sind. In Deutschland hat es da schon mal Abweichungen von gegeben, aber das jetzt wirklich in ganz großem Stil natürlich ziemlich trivial letztlich und populär gemacht, aber doch fast schon so shakesperianisch eine amerikanische Serie kam, die noch dazu natürlich auch manche Träume, die so Anfang der 80er Jahre auch bei vielen rumspukten, Reichtum, Geld, tolle Autos usw., das waren von den Bösen natürlich die Mercedes, muss man dazu sagen. Das war dann schon ziemlich neu und war vielleicht heute selbstverständlich achselzuckend reagiert, aber schon ein ziemlicher Durchbruch in der Fernsehlandschaft.

von Billerbeck: Der damals noch sehr junge Fernsehkritiker Diedrich Diederichsen, der hat im "Spiegel" "Dallas" als die erste vollmarxistische Serie der USA bezeichnet, also eher in der Tradition von Brecht als von Lukács. Zitat: "Wer oben ist, bleibt oben, man bewegt sich auf einer Ebene vorzugsweise mit dem Auto." Sie haben es ja eben auch erwähnt, horizontal wie der Geldverkehr. Alle Klischees erfüllt, Kapitalismus, wie er im Buche steht?

Groebel: Na ja, als Diedrich Diederichsen ist immer für manchmal auch erzwungene Pointen gut.

von Billerbeck: Damals schon?

Groebel: Damals schon, genau das. Nein, aber das finde ich ein bisschen hochgegriffen. Man kann auch Dinge überspitzen und ihnen eine Bedeutung geben, die Sie vielleicht auch als ein Kulturphänomen haben. Aber noch mal, ich glaube, "Dallas" war einfach durchaus gut gemachte Unterhaltung. Ich fand dann persönlich "Dynasty" oder "Denver-Clan" im Deutschen fast noch besser. Aber gut, ist eine andere Story. Aber jedenfalls, dass man plötzlich das Böse mitbekommt, dass auch das Kapital, insofern mag er da ein kleines Jota Recht gehabt haben, dass das Kapital auch gleichzeitig mit etwas gleichgesetzt wurde, was man nur mit Intrigen aufrechterhalten kann usw., das immerhin war eine Lektion, die erstaunlich eben auch aus dem amerikanischen Fernsehen kam.

von Billerbeck: Die Geschichte von "Dallas", die hat ja gehalten und das sogar über alle Absurditäten hinweg. Bobby Ewing konnte sterben, indem er von einem Auto überfahren wurde. Und obwohl er ganz sicher mausetot war, stand er nach 30 Folgen wieder auf, und man erklärte alles, was geschehen war, samt Tod, Trauerjahr und Elend kurzerhand zum Traum seiner Ehefrau Pam. Wieso machen Zuschauer so einen Quatsch mit?

Groebel: Zuschauer machen eine ganze Menge mit. Interessant ist, man könnte auch hier sagen, "Dallas" ist insofern auch die Mutter der wildesten Castingwendungen, zu Deutsch Besetzungswendungen gewesen. Aber wenn es denn irgendwo von einer Folge zur nächsten Spannung aufbaut, dann scheinen die Zuschauer doch sehr nachsichtig zu sein. Auch wenn ich mich daran erinnere, dass da damals doch schon ganz schön die Achseln gezuckt wurden bzw. gesagt wurde, also das kommt jetzt sehr dick. Ich glaube, diese Wiederauferstehung von Bobby, die war dann doch vielen tatsächlich zu dick, auch wenn es jetzt nicht gerade Demonstrationen auf der Straße gegeben hätte. Insofern zeigt das auch, dass die Gemüter nur begrenzt bewegt wurden. Nein, es ist Unterhaltung und wird natürlich auch vom Zuschauer immer unterstellt, dass es ein ziemlicher Blödsinn manchmal ist, speziell, wenn einem so was zugemutet wird, diese damalige Story, die uns ja immerhin, das muss man dazu sagen, bis heute im Gedächtnis haften geblieben ist. Denn auch das ist ja ein Erfolg, Hauptsache, es bleibt hängen und gerade solche komischen Sachen bleiben eher hängen als jede einzelne Intrige, jede einzelne Autofahrt.

von Billerbeck: Nun haben Sie schon erwähnt, es gab ja eine Nachfolgeserie, nämlich auf Deutsch "Der Denver-Clan", etwas später. War das schon der Anfang vom Ende, oder was war gleich zwischen "Dallas" und "Denver" und was unterschied die beiden?

Groebel: Was gleich zwischen beiden war, und insofern ist das ja auch nicht verwunderlich, ein erfolgreiches Format hat ja dann sehr schnell auch einen Nachfolger, einen Konkurrenten usw., was gleich war, war eben auch diese, heute würden wir sagen, so reiche disfunktionale Familien oder zu Deutsch Familien, bei denen es eben hapert und bei denen Intrigen und alles mögliche eine Rolle spielt. Was der wirklich große Unterschied, wenn man es jetzt so von der Kulturseite her, die dort dargestellt wurde, nimmt, "Denver-Clan" hatte mehr Klasse. "Dallas" war letztlich dann doch so ein bisschen Texas, und der Schick war eben auch ein Texas-Schick, während "Denver-Clan", "Dynasty", tatsächlich auch modemäßig sich ein bisschen weiter ausgewirkt hat damals. Wie hieß sie noch mal?

von Billerbeck: Joan Collins.

Groebel: Joan Collins usw.

von Billerbeck: Das Monster.

Groebel: Da wird sich jeder noch dran erinnern, breite Schultern, Kostümchen, die ja gerade, glaube ich, wieder eine Renaissance irgendwie haben. Das war dann schon auch weiter modeprägend. Es war einfach alles ein bisschen eleganter, ein bisschen schicker. Der Patriarch war ein Großstadtpatriarch, bei "Dallas" war es halt Landbevölkerung mit viel Geld. Oder anders gesprochen, "Dallas" war eher so ein bisschen neureich und "Dynasty" oder "Denver-Clan", das war schon eher ein bisschen so urbaner Schick, um es mal etwas zugespitzt zu formulieren.

von Billerbeck: Nun ist ja damals der Typus des ironischen Zuschauers kreiert worden beim Gucken von "Dallas". Die Nation war vereint, wenn sie sich Dienstag für Dienstag in der ARD versammelte. Man wusste, es ist quasi der Stoff eines Groschenromans und guckte dennoch. Wenn Sie jetzt "Dallas" sehen würden, was würden Sie da sehen?

Groebel: Heute wird es wahrscheinlich schon ein bisschen überholt wirken. Ich glaub, es gibt ja nun viele andere Geschichten, die in Deutschland nicht so bekannt sind, die in den USA aber sehr gut laufen und dann zum Teil sogar in Remix von Filmen landen. "Dallas", glaube ich, würde man heute ja unter so einem Aspekt historisches Dokument sehen, mag trotzdem hier und da relativ viel Aufmerksamkeit bekommen. Nur vielleicht das, um dann selbst auch ein bisschen akademisch klugzuscheißen. Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber wenn wir über "Dallas" sprechen, darf das gestattet sein, hoffe ich. Interessant ist natürlich schon, dass heute die Machart von Serien, gerade auch amerikanischen Serien, doch noch mal eine viel, viel weitergehende ist, das heißt konkret viel aufwendiger, noch viel teurer gemacht. Insofern ist "Dallas" heute, aus heutiger Sicht, sicherlich immer noch amüsant, vielleicht manchmal ironisch zu sehen, vielleicht sogar manchmal mit ein bisschen Spannung zu sehen. Auch die, die dann immer behaupten, wir machen das ironisch, die sind manchmal dann auch einfach nur an Unterhaltung interessiert. Aber wenn Sie sich heute amerikanische Serien anschauen, dann haben wir heute Serien, und das würde ich "Dallas" dann ehrlich gesagt doch nicht zusprechen, die schon auf der Ebene von höchst qualifizierten Spielfilmen laufen. Man denkt an "Sopranos", man denkt an "Sixt Feet Under", an "Dexter", an viele andere Geschichten. Da hat sich die amerikanische Fernsehkultur weiterentwickelt, ist aufwendiger, ist auch noch anspruchsvoller geworden.

von Billerbeck: Aber ist das möglich, was "Dallas" geschafft hat, das als Frage zum Schluss. Eine Folge "Wer schoss auf J.R.", die war nach der Mondlandung die am zweit meisten gesehene Fernsehsendung. Wäre so was heute mit Internet und diversen anderen Dingen eigentlich noch möglich?

Groebel: In dieser Form wird das nicht mehr möglich sein. Wir haben ab und zu noch mal in ganz anderen Genres, wenn man an Deutschland denkt, den "Superstar" denkt, ab und zu noch mal solche "großen", die Nation oder die Welt bewegenden Fragen. Aber es ist auch zumindest in Deutschland schon deshalb schon im Vergleich zu damals nicht mehr möglich, ganz einfach, weil wir heute eine Konkurrenzsituation haben, wo kaum noch irgendeine, auch erfolgreiche Sendung, geschweige denn Serie etwas mehr als 20 Prozent bekommt. Mit anderen Worten, was damals die Nation vereinte, auch aus Mangel an Alternativen, weil es eben nur in Deutschland zwei zentral gesehene Kanäle neben den Dritten gab, ist heute so verteilt, auch beim Publikum, dass diese alles bewegenden Fragen bestenfalls noch bei einer Weltmeisterschaft vorkommen, ganz selten auch mal von einer normalen Fernsehunterhaltung erreicht werden, aber von Serien in der Regel eben nicht mehr.

von Billerbeck: Heute vor 30 Jahren lief im amerikanischen Fernsehen zum ersten Mal die Serie "Dallas". Ein Straßenfeger, wie das heute nur noch der Fußball schafft. Wir sprachen mit dem Medienwissenschaftler Joe Groebel.
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