"Das ist für Italien eigentlich nur eine Bagatelle"

Reinhold Messner im Gespräch mit Nana Brink |
Der Bergsteiger und ehemalige Europa-Parlamentarier Reinhold Messner kann die fortlaufende Diskussion um Bundespräsident Christian Wulff nicht verstehen. Was da angekreidet werde, sei in Italien nur eine Bagatelle. Genausowenig interessiere ihn der Streit um "Rubygate".
Nana Brink: Italien ohne Silvio Berlusconi konnte man sich lange Zeit nicht vorstellen. Mitte November 2011 war es dann so weit: Er trat zurück – natürlich nicht ohne Nachwehen. Heute beschäftigt sich das italienische Verfassungsgericht mit der Frage, ob Mailänder Richter für den sogenannten Rubygate-Prozess zuständig sind. Sie erinnern sich: Berlusconi soll eine Beziehung zu einem hübschen marokkanischen Escortgirl namens Ruby gehabt haben, was ihm ja dann bekanntermaßen ein Verfahren wegen Amtsmissbrauch und Förderung der Prostitution Minderjähriger eintrug.

Jetzt ruhen die Hoffnungen auf dem eher nüchternen Mario Monti, ehemals Wettbewerbskommissar in Brüssel, der seinem Land einen harten Sparkurs aufzwingt. – Am Telefon ist jetzt Reinhold Messner, Südtiroler, Bergsteigerlegende und von 1999 bis 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments für die italienischen Grünen. Schönen guten Morgen, Herr Messner.

Reinhold Messner: Guten Morgen.

Brink: Spüren Sie denn eine Veränderung im Land nach 17 Jahren Silvio Berlusconi und fast 100 Tagen Mario Monti?

Messner: Also zuerst einmal ging eine große Aufatmung durch das Land. Generell ist Italien auch ein demokratisches Land und hat gespürt, dass Berlusconi versucht hat, über die Medien seine Macht zu erhalten, zu zementieren. Mich interessieren diese kleinbürgerlichen Diskussionen im Hintergrund nicht, was nun mit Frau Ruby war, oder was in Deutschland mit diesen spießbürgerlichen Menschen ist, die da irgendwie sich in der Politik wichtig machen; mich interessiert, ob jemand das Land weiterbringt und aus der Krise führt, und da ist Monti sicherlich der richtige Mann.

Ich muss allerdings dazu sagen, Monti wurde nicht vom Volk gewählt. Das Problem ist ja, dass das Volk sich Politiker wählt, die das Blaue vom Himmel herunter versprechen und die Leute mit 40 in Pension schicken und die Pensionen erhöhen und alle möglichen sozialen Errungenschaften auf ihre Agenda schreiben und das dann nicht einhalten können.

Monti ist ein Techniker, Monti ist ein erfahrener Finanzmann, er hat ein technisches Regierungspaket geschnürt, und ich hoffe, dass die Italiener verstehen – und wir Südtiroler sind ja mit im Boot -, dass wir jetzt ernstlich sparen müssen, wieder auf die Beine kommen müssen. Die italienische Wirtschaft war ja relativ erfolgreich mit der Nahrungsmittelindustrie, vor allem auch mit der Küche, mit dem Design, weniger in der Technologie, wie in Deutschland, und wir haben eines der schönsten Länder der Welt zur Verfügung, was die Kultur angeht, die Kunst angeht – denken wir an die Renaissance. Der Tourismus könnte wieder aufblühen. Aber wenn natürlich nur gespart wird und die Preise steigen und die Menschen nicht mehr konsumieren können, weil es nicht mehr reicht, dann wird das auch schwierig und dann wird Monti eine schwierige Zeit kriegen.

Brink: Das klingt alles sehr überzeugend. Trotzdem fragt man sich natürlich, nach dem Schürzenjäger Berlusconi nun der nüchterne Sparkommissar Monti. Geht denn das überhaupt in Italien? Nehmen ihm das die Leute ab, auch gerade dieses Sparpaket?

Messner: Bisher haben sie sie ihm abgenommen. Es ist nicht allzu viel passiert auf der Straße. Aber ich komme noch einmal zurück auf die eigentlichen Probleme. Berlusconi war gefährlich, weil er durch die Massenmedien die vierte oder die erste Macht in der Hand hatte. Das heißt, er hatte die Medien in der Hand und hat damit seine Wahlkämpfe bestritten und ist zum Präsidenten gewählt worden hintereinander. Und es ist niemandem gelungen, ihm diese Präsidentschaft abzunehmen, weil eben mit Hilfe der Medien jede klassische Demokratie unterminierbar ist. Er hat das gezeigt.

Italien hatte die Renaissance, Italien hatte mit Mussolini den ersten Faschismus und den ersten Medienlandeschef, also Ministerpräsident in diesem Fall. Das war weltweit das erste Mal. Aber Sie wissen, dass in allen faschistuiden Ländern die Herren Politiker – das geht heute bis nach Moskau – sich die Medien nehmen und über die Medien dann bestimmen. Sie bestimmen, was rausgeht an Information und was nicht rausgeht, was gedruckt werden darf und was nicht gedruckt oder gesagt werden darf im Fernsehen. Das war unser Problem mit Berlusconi und weniger seine ausschweifenden Spielereien eines pubertierenden 75-Jährigen.

Jetzt mit Monti haben wir einen sehr ernsten Mann, der sich weltweit natürlich auch die Anerkennung holt für seine Sparpakete. Die Italiener waren bisher still. Aber wenn es wirklich den einzelnen trifft, wenn nun diese Immobiliensteuer, wenn die Abschläge bei der Pension, wenn die Abschläge bei den Löhnen wirklich greifen, dann weiß ich nicht, ob die Italiener nicht auf die Straße gehen. Und dann hätten wir nicht griechische Verhältnisse, aber nicht unähnliche Verhältnisse.

Brink: Wir sprechen ja gerade – Sie haben es angedeutet – viel über Griechenland, aber Italien schwingt ja immer mit, gerade auch beim Thema Steuerhinterziehung, eines der großen Probleme in Italien. So beklagt es ja zumindest auch der neue Ministerpräsident. Wird er denn das auch in den Griff kriegen?

Messner: Die Regeln, die er aufgestellt hat, sind ja sehr clever. Ich meine, die gab es auch vorher schon, aber sie werden jetzt offensichtlich befolgt. Jetzt macht man weniger Kontrollen in der Buchführung, sondern man schaut den Leuten wirklich auf ihre Lebensführung. Das heißt, wenn jemand einen Ferrari fährt und keine Steuererklärung macht, wenn jemand einen Luxusdampfer irgendwo stehen hat und vielleicht 5.000 Euro Steuern im Jahr erklärt, dann sagt natürlich die Finanzbehörde, das kann doch nicht stimmen.

So hat man ja schon einige Razzien gemacht und festgestellt, dass an einem Tag A der Umsatz in Cortina zum Beispiel eins war, und als man dann überall Finanzpolizisten aufgestellt hat, um zu schauen, ob da die Rechnungen wirklich ausgestellt werden, war der Umsatz plötzlich viermal so hoch. In dieser großartigen Tourismusstadt Cortina fuhren jede Menge teure Autos herum, man hat festgestellt, dass die meisten dieser Freiberufler, dieser Unternehmer in der Steuererklärung nahezu unter den Mindestverdienern sind, also irgendwas stimmt da nicht, und es ist natürlich relativ einfach, die Sünder herauszufinden, da braucht man gar nicht weit herumzusuchen.

Wenn man es ernst meint und wenn natürlich die Herrschaften nicht bestechbar sind - ich hoffe, dass das aufhört, die waren ja bestechlich; Silvio Berlusconi hat selber einige Bestechungsverfahren am Halse -, dann wird man schon mit der Zeit aufräumen. Italien ist übrigens nur verschuldet, was den Staat angeht.

Brink: Apropos politische Kultur. Der deutsche Bundespräsident, Christian Wulff, weilt gerade in Italien. In Deutschland ist er ja noch immer unter Beschuss. Wird das in Italien registriert und wenn ja, wie?

Messner: Also ich glaube, das ist in Italien ein so kleines Vergehen, das da angekreidet wird, dass die Italiener höchstens darüber lächeln. Ich finde, auch diese Geschichte, langsam reicht sie, und im Grunde ist es ja nur ein Zeichen, dass eben diese Kleinkariertheit, die ja auch in vielen Bürgern steckt, nun auch in der Familie des Bundespräsidenten steckt. Das ist das einzige, was mich zu einem Lächeln herausfordert. Sonst staune ich wirklich, dass die deutschen Wochenzeitungen, Fernsehkanäle und Tageszeitungen ununterbrochen voll sind nur mit diesem "Wulff-Skandal" und den vielen Ableitungen, die man nun auf diesen Namen gemacht hat. Das ist für Italien eigentlich nur eine Bagatelle.

Brink: Reinhold Messner, schönen Dank für das Gespräch.

Messner: Danke schön!


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